Ihre
Suche

    08.05.2023

    „Verbrauch” des Selbsthilferechts eines GmbH-Gesellschafters nach erfolgter, aber nichtiger Beschlussfassung


    Die GmbH-Gesellschafterversammlung wird gem. § 49 I GmbHG grundsätzlich durch die Geschäftsführer einberufen. Gesellschafter haben demgegenüber keine (gesetzliche) Einberufungskompetenz. Sie können, sofern deren Geschäftsanteile zusammen mindestens 10% des Stammkapitals entsprechen, gem. § 50 I GmbHG jedoch unter Angabe des Zwecks und der Gründe von den Geschäftsführern die Einberufung verlangen. Wird dem Verlangen nicht entsprochen, können Gesellschafter gem. § 50 III GmbHG die Versammlung selbst einberufen (sog. Selbsthilferecht). Ist ein in einer nach § 50 III GmbHG einberufenen Versammlung gefasster Beschluss wegen Verfahrensfehlern (möglicherweise) nichtig, stellt sich die Frage, ob der einberufende Gesellschafter – unter Berufung auf § 50 III GmbHG – erneut zu einer Versammlung einberufen kann. Das Kammergericht Berlin (KG) hat dies nunmehr verneint.

     

    Sachverhalt

     

    Die Mehrheitsgesellschafterin einer GmbH beabsichtigte, die Geschäftsführer abzuberufen. Zu diesem Zweck forderte sie die Geschäftsführer auf, eine Gesellschafterversammlung einzuberufen. Nachdem die Geschäftsführer dieser Aufforderung nicht nachkamen, berief die Gesellschafterin selbst eine außerordentliche Gesellschafterversammlung ein. Der in dieser Gesellschafterversammlung gefasste Abberufungsbeschluss litt an einem Ladungsfehler und war nichtig. Aus diesem Grund leitete die Gesellschafterin ein schriftliches Beschlussverfahren unter Berufung auf das erste, gescheiterte Einberufungsverlangen ein, um den Abberufungsbeschluss zu bestätigen bzw. vorsorglich zu wiederholen.

     

    Da die Geschäftsführer weiterhin für die GmbH handelten, beantragte die Gesellschafterin eine einstweilige Verfügung, um den Geschäftsführern weiteres Handeln für die GmbH zu untersagen. Die einstweilige Verfügung wurde erstinstanzlich bestätigt. Im streitgegenständlichen Berufungsverfahren war vom KG zu entscheiden, ob der Geschäftsführer im schriftlichen Beschlussverfahren wirksam abberufen wurde.

     

    Entscheidung des KG

     

    Das Kammergericht urteilte gegen eine wirksame Abberufung. Der in der gem. § 50 III GmbHG einberufenen Versammlung gefasste Beschluss sei wegen fehlerhafter Ladung nichtig. In analoger Anwendung der §§ 241 Nr. 1, 121 II AktG sei jedoch auch der in der Folgezeit im schriftlichen Beschlussverfahren gefällte (zweite) Abberufungsbeschluss nichtig, da die Beschlussfassung von einem Gesellschafter initiiert worden sei, der dazu nicht befugt war. Das Selbsthilferecht sei erledigt gewesen, da in der von der Gesellschafterin (in einem ersten Schritt) einberufenen Versammlung bereits über die begehrten Tagesordnungspunkte abgestimmt worden war. Die Gesellschafterin habe folglich nicht das Recht, eine erneute Versammlung einzuberufen bzw. ein Umlaufverfahren zu initiieren.

     

    Die auf dem Ladungsfehler beruhende Nichtigkeit des (ersten) Beschlusses führe zu keinem anderen Ergebnis. Die klare Kompetenzregelung der §§ 49, 50 GmbHG würde verwässert, wenn die Einberufungskompetenz davon abhinge, ob eine Beschlussfassung (möglicherweise) nichtig ist. §50 III GmbHG habe auch nicht den Zweck, eine wirksame Entscheidung im Sinne des Gesellschafters zu erzwingen. Sie solle lediglich sicherstellen, dass eine Gesellschafterversammlung zu einem bestimmten Tagesordnungspunkt durchgeführt werde. Es sei daher grundsätzlich von einem „Verbrauch“ des Selbsthilferechts auszugehen, wenn eine Beschlussfassung tatsächlich erfolgt ist. Abweichendes gelte nur dann, wenn eine Umgehung des § 50 GmbHG zu besorgen sei.

     

    Anmerkung

     

    Das Urteil des KG überzeugt. Ein Abweichen vom Grundsatz der Einberufung durch die Geschäftsführung gebietet eine restriktive Anwendung des Selbsthilferechts. Ob ein Selbsthilferecht von Gesellschaftern nach § 50 III GmbHG (fort-)besteht, kann konsequenterweise ausschließlich davon abhängen, ob über den betreffenden Tagesordnungspunkt bereits tatsächlich Beschluss gefasst wurde, nicht aber davon, ob die Beschlussfassung auch wirksam war. Anderenfalls bestünde – worauf das KG zutreffend hinweist – bis zu einer endgültigen gerichtlichen Klärung dieser Frage Ungewissheit, ob das Selbsthilferecht bereits „verbraucht“ ist oder der Gesellschafter selbst (erneut) eine Gesellschafterversammlung einberufen kann. Es ist Minderheitsgesellschaftern vielmehr zuzumuten, nach einer möglicherweise unwirksamen Beschlussfassung und vor einer (erneuten) Einberufung nach § 50 III GmbHG zunächst (erneut) die Voraussetzungen hierfür zu schaffen und ein Einberufungsverlangen an die Geschäftsführung nach § 50 I GmbHG zu richten.

     

    Dr. Moritz Jenne

    Christian Burmeister

     

    Dieser Blogbeitrag erscheint ebenso im Haufe Wirtschaftsrechtsnewsletter.

     

    Zur besseren Lesbarkeit wird in dem vorliegenden Beitrag auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Es wird das generische Maskulin verwendet, wobei alle Geschlechter gleichermaßen gemeint sind.

     

    ADVANT Beiten Mandantin erzielt Erfolg vor dem OLG Köln im Maskenlieferstreit
    München, 10. Januar 2025 – Die internationale Wirtschaftskanzlei ADVANT Beiten h…
    Weiterlesen
    China: Ab 1. November 2024 gelten neue Meldepflichten für wirtschaftlich Berechtigte
    Am 1. November 2024 sind in China neue Regeln zur Meldung wirtschaftlich Berecht…
    Weiterlesen
    Zulässigkeit von Hinauskündigungsklauseln in Form einer Vesting-Regelung bei Start-ups
    In der Start-up-Finanzierung können Hinauskündigungsklauseln wirksam sein, die v…
    Weiterlesen
    Warum man das LkSG weiterhin ernst nehmen muss (auch die Geschäftsleitung) und was das (auch) mit der ausstehenden Umsetzung der CSRD zu tun hat
    Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (kurz: LkSG) war schon von Beg…
    Weiterlesen
    Zwischen Nutzen und Risiko: Was bei Online-Recherchen im Bewerbungsprozess erlaubt ist
    Online-Recherchen zu Bewerbern können eine heikle Angelegenheit sein. Wann Arbei…
    Weiterlesen
    BGH begrenzt Zulässigkeit von Skonti auf verschreibungspflichtige Arzneimittel
    Beim Vertrieb von verschreibungspflichtigen Medikamenten an Apotheken dürfen kei…
    Weiterlesen
    Europäische Aktiengesellschaft: Diese Vorzüge und Gestaltungsoptionen machen sie so interessant
    Zum 20-jährigen Jubiläum der Societas Europaea (SE) beleuchtet Dr. Barbara Mayer…
    Weiterlesen
    ADVANT Beiten berät die Gesellschafter der HECHT Contactlinsen GmbH beim Verkauf ihrer Anteile an Novum Capital
    Freiburg, 21. November 2024 – Die internationale Wirtschaftskanzlei ADVANT Beite…
    Weiterlesen
    ADVANT Beiten berät Mainova bei Kapitalerhöhung über EUR 400 Mio.
    Frankfurt, 19. November 2024 – Die internationale Wirtschaftskanzlei ADVANT Beit…
    Weiterlesen