Die Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea, SE) feiert in diesem Jahr ihr zwanzigjähriges Jubiläum. Ein guter Anlass, um die Rechtsform einmal genauer in den Blick zu nehmen. Dabei zeigt sich, dass sie sich nicht nur für bekannte Großunternehmen wie Porsche, E.ON oder BASF als gute Wahl darstellt. Auch für wachsende Mittelständler und Familienunternehmen ist sie attraktiv. Denn sie bietet Gestaltungsspielräume sowohl bei der Arbeitnehmerbeteiligung als auch bei der inneren Verfassung der Gesellschaft. Das mit der Rechtsform verbundene internationale Prestige ist ebenfalls nicht zu vernachlässigen, wenn es auch für eine rechtliche Betrachtung naturgemäß außen vor bleiben muss.
Das Thema der Arbeitnehmerbeteiligung wird immer dann relevant, wenn Unternehmen an der Schwelle zu 500 oder 2.000 Mitarbeitern stehen. Denn ab 500 Mitarbeitern ist in GmbHs und AGs ein Aufsichtsrat zu bilden, der zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern bestehen muss. Ab 2.000 Mitarbeitern wächst die Beteiligungsquote dann sogar auf die Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder an. Die damit verbundene Einflussnahme der Arbeitnehmer auf die Geschicke des Unternehmens ist nicht immer gerne gesehen. Schließlich können Anteilseigner und Arbeitnehmer durchaus gegenläufige Interessen verfolgen. Wenn Anteilseigner eine unternehmerische Mitbestimmung der Arbeitnehmer vermeiden möchten, bietet sich ein rechtzeitiger Wechsel in die SE als Ausweg an. Denn das deutsche Mitbestimmungsrecht gilt grundsätzlich nicht für die SE. Nur in der Gründungsphase sind Verhandlungen mit Arbeitnehmervertretern über das künftige Beteiligungsregime vorgesehen. Kommt es dabei zu keiner Einigung, gilt grundsätzlich die bestehende Arbeitnehmerbeteiligung fort. Unternehmen unter 500 Mitarbeitern bleiben also mitbestimmungsfrei. Für Unternehmen zwischen 500 und 2.000 Mitarbeitern gilt die Beteiligungsquote von einem Drittel. Spätere Veränderungen der Mitarbeiterzahl, und seien sie noch so erheblich, bleiben dann unberücksichtigt. Der bestehende Status wird eingefroren.
Immer möglich sind individuelle Vereinbarungen mit den Arbeitnehmervertretern. Aus der Praxis sind mehrere Beispiele bekannt, bei denen im Rahmen der Verhandlungen seitens der Arbeitnehmervertreter auf eine künftige Beteiligung verzichtet wurde. Genannt seien etwa der Elektronikhändler Conrad Electronic SE oder der Nahrungsmittelhersteller Hochland SE. Über die Gründe kann nur spekuliert werden. Ein Entgegenkommen bei Urlaubstagen oder Gehalt mag in manchen Fällen schwerer wiegen als eine Arbeitnehmerbeteiligung.
Ein weiteres Argument für die Rechtsform der SE sind die damit verbundenen Gestaltungsspielräume hinsichtlich der inneren Verfassung. Die SE bietet die Wahl zwischen einer dualistischen und einer monistischen Organisation.
Das dualistische System entspricht der aus der AG bekannten Aufteilung von Vorstand und Aufsichtsrat. Der Vorstand leitet die Geschäfte in eigener Verantwortung, wohingegen der Aufsichtsrat mit der Kontrolle und Beratung des Vorstands betraut ist. Beide Organe sind strikt voneinander zu trennen. Ausgeschlossen ist auch eine Betätigung als Vorstands- und zugleich Aufsichtsratsmitglied. Der Vorstand besitzt eine starke Stellung: Er unterliegt nicht den Weisungen des Aufsichtsrats und kann während seiner Amtszeit ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht abberufen werden. Der Gestaltungsspielraum reduziert sich beim dualistischen System auf den Katalog zustimmungspflichtiger Maßnahmen und die Größe des Aufsichtsrats. Letzteres hat bei etlichen Umwandlungen in die SE eine maßgebliche Rolle gespielt: Bei der SE gibt es nämlich – anders als bei einer mitbestimmten AG – keine Untergrenzen für die Anzahl der Aufsichtsratsmitglieder. Aufgeblähte Aufsichtsräte mit den für größere Unternehmen gesetzlich vorgeschriebenen zwanzig Mitgliedern können so bei einem Rechtsformwechsel verkleinert werden. Praxisbeispiele hierfür sind etwa die Allianz, BASF oder MAN.
Vorzüge gerade für mittelständische Unternehmen bietet das bei der SE zur Wahl stehende monistische System. Dabei obliegt die Leitung der Gesellschaft einem Verwaltungsrat und Geschäftsführenden Direktoren. Der Verwaltungsrat leitet die Gesellschaft, bestimmt die Grundlinien ihrer Tätigkeit und überwacht deren Umsetzung. Er ist damit sowohl Leitungsorgan mit Blick auf die strategische Ausrichtung des Unternehmens als auch Kontrollorgan. Den Geschäftsführenden Direktoren obliegt lediglich die Umsetzung der Leitungsentscheidungen im Alltagsgeschäft. Die Stellung des Verwaltungsrats ist deutlich stärker als die Position eines Aufsichtsrats im dualistischen System. Entsprechend schwächer ist die Stellung der Geschäftsführenden Direktoren. Sie unterliegen den Weisungen des Verwaltungsrats und können jederzeit ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes abberufen werden. Zudem können Mitglieder des Verwaltungsrats zugleich als geschäftsführende Direktoren eingesetzt werden, solange die Mehrheit des Verwaltungsrats aus nicht geschäftsführenden Direktoren besteht.
So kann zugunsten einzelner Personen ein erheblicher Einfluss begründet werden. Der "starke Mann" kann zugleich Mitglied des Verwaltungsrats als auch Geschäftsführender Direktor sein. Zusätzlich kann in der Satzung vorgesehen werden, dass Geschäftsführende Direktoren nur aus wichtigem Grund abberufen werden dürfen. Dies gibt ihnen eine enorme Machtfülle im Unternehmen: Sie entscheiden nicht nur über die strategische Ausrichtung des Unternehmens, sondern sind zugleich mit der Führung der Geschäfte betraut.
Für Familienunternehmen bietet es sich an, den Verwaltungsrat mit Vertretern verschiedener Familienstämme und die Posten der Geschäftsführende Direktoren mit externen Managern zu besetzen. Auf diese Weise haben die Familienmitglieder deutlich mehr Einfluss auf die Unternehmensleitung als dies im Aufsichtsrat einer AG der Fall wäre. Gleichzeitig sind sie aber nicht mit dem Alltagsgeschäft im Unternehmen belastet.
Denkbar ist schließlich auch, die SE im Bereich der Unternehmensnachfolge einzusetzen: Die ältere Generation kann zunächst sowohl als Verwaltungsrat als auch als Geschäftsführender Direktor agieren und sich dann langsam aus der Geschäftsführung zurückziehen. Das monistische System kann also auf die jeweilige Gesellschaft und die Situation der Gesellschafter passgenau zugeschnitten werden.
Die SE bietet gerade auch für Mittelständler und Familienunternehmen erhebliche Vorzüge. Vor allem für Unternehmen, die vor der Grenze von 500 oder 2.000 Mitarbeitern stehen, lohnt sich eine Auseinandersetzung mit dieser Rechtsform-Alternative. Das gilt weitergehend auch für die Spielart der SE & Co. KG, die gegenüber einer GmbH & Co. KG ebenfalls mitbestimmungsrechtliche Vorteile bietet. Die Gestaltungsmöglichkeiten der SE sind ebenso vielseitig wie die Bedürfnisse verschiedener Unternehmen. Daher sollte die SE neben den deutschrechtlichen Gesellschaftsformen nicht vorschnell außer Acht gelassen werden.