Im Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2021 haben die Koalitionsparteien die Einführung einer kontrollierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften vereinbart. Maßgebend soll dabei sein, die Qualität zu kontrollieren, die Weitergabe verunreinigter Substanzen zu verhindern, bestmöglichen Jugendschutz sowie Gesundheitsschutz für Konsumentinnen und Konsumenten zu gewährleisten sowie den Schwarzmarkt einzudämmen. Das 1. Eckpunktepapier der Bundesregierung hierzu wurde im Oktober 2022 vorgestellt, begegnete aber von verschiedenen Seiten erheblichen europarechtlichen und völkerrechtlichen Bedenken.
So hat die bayrische Landesregierung ein Rechtsgutachten zur Vereinbarkeit der Cannabislegalisierung mit Europa- und Völkerrecht in Auftrag gegeben. Das Gutachten von Prof. Bernhard Wegener von der Universität Erlangen-Nürnberg wurde im März 2023 vorgestellt und kam zu dem Ergebnis, dass die geplante Cannabis-Legalisierung völker- und europarechtlichen Vorgaben widerspricht, insbesondere den einschlägigen UN-Übereinkommen zur Drogenbekämpfung.
Es gibt in der europäischen Rechtswissenschaft jüngst auch gegenteilige Meinungen. So kommt eine rechtswissenschaftliche Untersuchung der Universität Nijmegen, veröffentlicht in einem Fachbeitrag, zu dem Ergebnis, dass die Einführung eines staatlich kontrollierten, nationalen Lizenzsystems für Genusscannabis durch einen EU-Mitgliedstaat unter bestimmten Voraussetzungen europa- und völkerrechtlich möglich ist. Aber auch der Fachbeitrag der Universität Nijmegen sieht in den UN-Übereinkommen zur Drogenbekämpfung eine hohe – aber nicht unüberwindbare – Hürde für die Legalisierung von Cannabis.
Die Frage der Vereinbarkeit mit Europa- und Völkerrecht wird sicherlich einen erheblichen Anteil daran gehabt haben, dass der für März 2023 geplante Gesetzesentwurf bisher noch nicht vorliegt. Statt eines Gesetzesentwurf hat der Bundesgesundheitsminister Lauterbach jüngst erklärt, dass die im Oktober 2022 vorgestellten Eckpunkte überarbeitet wurden. Die überarbeiteten Eckpunkte hat das Bundesgesundheitsministerium nunmehr vorgestellt.
Gemäß den überarbeiteten Eckpunkten ist nunmehr ein sogenanntes 2-Säulen-Modell ("Club Anbau & Regional-Modell/CARe") geplant. Insbesondere wird es danach einen freien Verkauf in lizenzierten Geschäften, wie ursprünglich geplant, zunächst nicht geben, jedenfalls nicht flächendeckend. Dies soll als 2. Säule erst einmal nur in Modellregionen (Kreise/Städte in mehreren Bundesländern nach dem Opt-in-Ansatz) für eine Projektlaufzeit von 5 Jahren unter wissenschaftlicher Begleitung umgesetzt werden. Danach wird Unternehmen die Produktion, der Vertrieb und die Abgabe in Fachgeschäften von Genusscannabis an Erwachsene in einem lizenzierten und staatlich kontrollierten Rahmen unter Geltung einer räumlichen Begrenzung ermöglicht.
Dagegen sieht die 1. Säule neben einem begrenzten straffreien Eigenanbau von Cannabis vor, dass Nicht-gewinnorientierte Vereinigungen (maximal 500 Mitglieder) unter engen, klar definierten gesetzlichen Rahmenbedingungen gemeinschaftlich Cannabis zu Genusszwecken anbauen und an Mitglieder für den Eigenkonsum abgeben dürfen. Dabei soll die Abgabe des Cannabis ausschließlich an Mitglieder erlaubt sein und nicht an Dritte. Zudem soll straffreier Besitz zum Eigenkonsum bis 25g möglich sein. Offen ist dabei aber, ob diese geplanten Regelungen tatsächlich zu einer Eindämmung des Schwarzmarktes führen. Hier gilt es zunächst den Gesetzesentwurf abzuwarten.
Weiterhin sieht das überarbeitete Eckpunktepapier mit Blick auf die europa- und völkerrechtlichen Bedenken vor, dass die Regelungsvorhaben zur 1. Säule so ausgestaltet werden sollen, dass keine Notifizierungspflicht und keine Zustimmungspflichtigkeit des Bundesrates ausgelöst wird. Für die Regelungsvorhaben zur 2. Säule geht man aber weiterhin von einer Notifizierungspflicht aus.
Neben den europa- und völkerrechtlichen Fragestellungen werden aber auch insbesondere die strafrechtlichen Folgen einer Legalisierung diskutiert. Hierzu könnte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) demnächst einen maßgebenden Beitrag leisten. Das BVerfG hat angekündigt, bis zum Frühsommer 2023 über diverse Richtervorlagen zu Strafvorschriften im Betäubungsmittelgesetz (BtMG), die das Cannabisverbot betreffen, zu entscheiden. Insofern könnte das BVerfG der Politik und Gesetzgebung sogar zuvorkommen und damit neuen Schwung in die Angelegenheit bringen, vielleicht sogar dem überarbeiteten Eckpunktepapier entgegenstehen.
Nicht nur die Politik und Rechtswissenschaft wartete bisher mit Spannung auf den Gesetzesentwurf, sondern auch die Wirtschaft. In der Legalisierung von Cannabis sehen insbesondere mittelständische Unternehmen und Startups neue Geschäftschancen, natürlich aber auch Unternehmen aus Ländern, in denen die Legalisierung von Cannabis schon weiter fortgeschritten ist. Dabei ist man von einer flächendeckenden Legalisierung von Cannabis und dem damit einhergehenden lizenzierten Verkauf in ganz Deutschland ausgegangen. Erste Überlegungen gingen von 1,2 bis 2,3 Milliarden Euro Umsatz im Jahr aus, der aufgrund der Legalisierung generiert werden könnte. Aus Sicht der Bundesrepublik Deutschland hätte allein dies schon den Nebeneffekt von geschätzt ca. EUR 350 Millionen an zusätzlichen Steuereinnahmen nur durch die auf den legalen Verkauf erhobene Umsatzsteuer gehabt. Jedoch werden diese Erwartungen nach Veröffentlichung der überarbeiteten Eckpunkte am Anfang wohl nicht erfüllt werden können, da nunmehr der freie Verkauf in lizenzierten Geschäften zumindest in dem erwarteten Umfang zunächst nicht vorgesehen ist. Hier bleibt abzuwarten, wie die Eckpunkte gesetzlich umgesetzt werden sollen und schließlich, wie sich das "Projekt" Modellregionen entwickelt.
Ein erster Gesetzesentwurf für die 1. Säule des 2-Säulen-Modells soll noch im April vorgelegt werden, danach der Gesetzesentwurf für die 2. Säule.
Da noch sehr viele Details im Unklaren sind, sollte sich jeder, der auf diesem Markt tätig werden will frühzeitig Beratung suchen.