Lange Zeit hatte es den Anschein, dass aus diesem Projekt der großen Koalition in dieser Legislaturperiode nichts mehr wird. Zu groß waren augenscheinlich die Differenzen zwischen den Bundesministern Müller, Heil und Altmeier. Die Bundeskanzlerin vermittelte. Nun wurde eine Kompromisslösung gefunden. Bundesminister Heil verkündete heute gemeinsam mit den Bundesministern Heil und Altmeier einen "historischen Durchbruch": Das Lieferkettengesetz solle noch in dieser Legislaturperiode beschlossen werden. Damit werde erstmals die unternehmerische Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten und den Schutz der entlang der Lieferkette geregelt (vgl. die Meldung des BMAS hier). Das Bundeskabinett wird sich mit dem Gesetzentwurf der Ministerien wohl im März beschäftigen.
Eine besondere zivilrechtliche Haftung der Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferkette sieht die nun gefundene Kompromisslösung nicht mehr vor. Allerdings soll die Einhaltung des neuen Gesetzes durch das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle überwacht werden. Bei Verstößen drohen möglicherweise erhebliche Bußgelder sowie der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen. Zudem sollen künftig auch Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften für Betroffene vor deutschen Gerichten klagen können, wenn die Betroffenen dem zustimmen. Bundesminister Heil wies darauf hin, dass Betroffene, die sich in ihren zentralen Menschenrechten verletzt sähen, nach internationalem Privatrecht schon heute vor deutschen Gerichten klagen können (was prinzipiell zutrifft, vgl. die Klage von Opfern des Fabrikbrandes in Pakistan gegen das deutsche Textilunternehmen KIK beim LG Dortmund). Da den Betroffenen hierfür aber häufig die "Power" fehle, sollen sie sich künftig von Nichtregierungsorganisationen bzw. Gewerkschaften vertreten lassen können. Man wird sehen müssen, wie das im Einzelnen ausgestaltet wird. In Kraft treten soll das Gesetz am 1. Januar 2023. Und gelten soll es zunächst für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern. Ein Jahr später soll es dann auf alle Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern erweitert werden.
Soweit die wichtigsten Punkte. Und nun noch kurz zum Hintergrund. Bereits im vergangenen Jahr hatten sich die Überlegungen für ein nationales und/oder europaweites Gesetz zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette immer weiter konkretisiert: Am 14. Juli 2020 informierten die Bundesminister Müller und Hubertus Heil in einer Pressekonferenz über die „erneut enttäuschenden“ Ergebnisse der zweiten Monitoring-Runde zum Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP). Deutlich weniger als 50 Prozent der Unternehmen kämen ihrer unternehmerischen Sorgfaltspflicht nach. Jetzt greife der Koalitionsvertrag für ein Lieferkettengesetz. Ziel sei ein Abschluss noch in dieser Legislaturperiode (vgl. dazu unseren Blog-Beitrag Nationales Lieferkettengesetz im Anmarsch vom 16. Juli 2020). Zum gleichen Zeitpunkt gelangte ein Eckpunktepapier zu dem geplanten deutschen Lieferkettengesetz in die Öffentlichkeit, das wir in unserem Newsletter ESG und Recht: Nachhaltigkeit weiterhin im Fokus der Politik im Juli 2020 näher beleuchtet hatten.
Ebenfalls in diesem Newsletter hatten wir die immer konkreter werdenden Pläne für ein europäisches Lieferkettengesetz beschrieben. Auch hier sind die Arbeiten zwischenzeitlich fortgeschritten. Jüngst hat die EU-Kommission eine Konsultation zu einer EU-Maßnahme für eine nachhaltige Corporate Governance durchgeführt. Hiervon umfasst war insbesondere auch das Thema der unternehmerischen Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette. Gleichzeitig hat sich auch bereits das Europaparlament mit dem Thema beschäftigt. Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments formulierte im Januar mit großer Mehrheit Anforderungen an ein neues EU-Gesetz, das Unternehmen zur Sorgfaltspflicht für ihre Lieferketten verpflichten soll. Er fordert die Europäische Kommission auf, dringend ein Gesetz vorzulegen, das Unternehmen haftbar macht, wenn sie Menschenrechte, Umweltstandards und gute Corporate Governance verletzen oder dazu beitragen. Die Regeln zur Sorgfaltspflicht für Lieferketten sollen auch den Zugang zu Rechtsmitteln für Geschädigte garantieren. Die EU-Kommission hat einen entsprechenden Gesetzesvorschlag für Frühjahr 2021 angekündigt (vgl. hier).
Bundesminister Heil stellte heute klar: Mit dem deutschen Lieferkettengesetz ist das europäische Lieferkettengesetz nicht vom Tisch, sondern im Sinne eines Level Playing Field weiterhin gewünscht. Das deutsche Lieferkettengesetz solle insoweit europäische Maßstäbe setzen.