Ihre
Suche

    22.01.2024

    Insolvenzanfechtung, Wissenszurechnung und Factoring


    Weiß ein Forderungsverkäufer von der Zahlungsunfähigkeit seines Schuldners, muss sich der Factor diese Kenntnis im Rahmen eines echten Factorings nicht allein deshalb zurechnen lassen, weil der Factoringvertrag Informations- und Unterstützungspflichten des Forderungsverkäufers vorsieht.

     

    Überblick

     

    Das Insolvenzverfahren bezweckt die geordnete Befriedigung aller Gläubiger eines überschuldeten oder zahlungsunfähigen Schuldners. Dieser Schuldner darf deshalb nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit grundsätzlich keine Insolvenzgläubiger bevorteilen, indem er Zahlungen an sie leistet. Erhält ein Gläubiger dennoch eine solche Zahlung, kann ein späterer Insolvenzverwalter sie unter gewissen Voraussetzungen anfechten und den Betrag zur Insolvenzmasse zurückholen. Eine solche Anfechtung ist etwa dann möglich, wenn die Zahlung binnen drei Monaten vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung erfolgt ist und der Gläubiger Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hat oder zumindest von den Umständen, die auf eine Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Von zentraler Bedeutung ist also die Frage, wann und ob dem bevorteilten Gläubiger die Kenntnis anderer Personen zuzurechnen ist. In der kommentierten Entscheidung wiederholt der Bundesgerichtshof (BGH) die geltenden zivilrechtlichen Grundsätze zur Wissenszurechnung von Repräsentanten und spricht sich gegen eine generelle Zurechnung der Kenntnis des Forderungsverkäufers zu Lasten des echten Factors aus.

     

    Sachverhalt

     

    In dem vom BGH entschiedenen Fall klagte der Insolvenzverwalter der Schuldnerin im Wege der Insolvenzanfechtung auf Rückzahlung eines Geldbetrages, den die Schuldnerin nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit an die Beklagte geleistet hatte.

    Die Schuldnerin hatte einen Vertrag mit einem Mittelstandsfinanzierer geschlossen. Nach diesem Vertrag sollte der Mittelstandsfinanzierer auf Anforderung der Schuldnerin Waren oder Investitionsgüter erwerben und diese mit einem Zahlungsziel von 60 Tagen an die Schuldnerin weiterveräußern.

    Der Mittelstandsfinanzierer hatte seinerseits einen echten Factoringvertrag mit der Beklagten geschlossen. Danach sollte der Mittelstandsfinanzierer der Beklagten künftig entstehende Forderungen zum Kauf anbieten und bereits im Voraus abtreten. Als Gegenleistung zahlte die Beklagte dem Mittelstandsfinanzierer den Bruttobetrag der Forderung abzüglich einer Factoringgebühr und Zinsen aus. Daneben enthielt der Factoringvertrag Regelungen zur Forderungsdurchsetzung und Mahnung: Diese Pflichten verblieben zwar bei der Beklagten, jedoch musste der Mittelstandsfinanzierer erlangtes Wissen, das für die Zahlungsfähigkeit des Debitors relevant war, der Beklagten mitteilen.

     

    Einige Zeit nach Abschluss des Factoringvertrags stellte der Mittelstandsfinanzierer der Schuldnerin eine Rechnung für Warenlieferungen und teilte ihr gleichzeitig mit, dass er die Forderung an die Beklagte abgetreten habe und deshalb schuldbefreiend nur an diese gezahlt werden könne. Erst nachdem der Mittelstandsfinanzierer die Schuldnerin mehrmals zur Zahlung aufgefordert und schließlich mit Streichung ihrer Einkaufslinie gedroht hatte, beglich sie die Rechnung. Kurz darauf beantragte die Schuldnerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Daraufhin forderte der Insolvenzverwalter der Schuldnerin den an die Beklagte gezahlten Betrag im Wege der Insolvenzanfechtung zurück.

     

    Das Landgericht hatte die Klage des Insolvenzverwalters abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers wurde die Beklagte jedoch zur Zahlung verurteilt. Das Berufungsgericht erachtete die Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung nach §§ 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 143 Abs. 1 InsO für erfüllt. Die Beklagte müsse sich das Wissen des Mittelstandsfinanzierers entsprechend § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen. Dieser sei dazu berufen gewesen, für die Beklagte im Rechtsverkehr aufzutreten, was sich auch aus den Regelungen des Factoringvertrags ergebe. Außerdem habe die Beklagte Kenntnis davon gehabt, dass der Mittelstandsfinanzierer die Forderungseintreibung übernommen habe und dies akzeptiert. Hiergegen wandte sich die Beklagte mit ihrer Revision.

     

    Die Entscheidung

     

    Der BGH hob das Urteil des Berufungsgerichts auf. Die – unstreitig vorliegende – positive Kenntnis des Mittelstandsfinanzierers könne dem Factor nicht analog § 166 Abs. 1 BGB zugerechnet werden. Wissensvertreter nach dieser Norm sei nach ständiger BGH-Rechtsprechung nur, wer "nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie gegebenenfalls weiterzuleiten".

     

    Allein die Vertragsgestaltung lasse nicht auf eine Stellung des ursprünglichen Gläubigers als Wissensvertreter des Factors schließen. Diese entspreche nämlich nur dem typischen Vertragsinhalt beim echten Factoring. So ergebe sich bereits aus § 402 BGB die Nebenpflicht des Forderungsverkäufers, dem neuen Gläubiger die zur Geltendmachung der Forderung nötige Auskunft zu erteilen. Daraus folge nach allgemeiner Meinung zwar auch eine Auskunftspflicht bezüglich der ihm bekannten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners, jedoch stelle § 402 BGB keine Vorschrift zur Wissenszurechnung dar. Auch der Umstand, dass Mahn- und weitergehende Rechtsverfolgungsmaßnahmen im Vertrag ausdrücklich dem Factor auferlegt wurden, spreche gegen eine Wissenszurechnung. Der ursprüngliche Gläubiger solle damit gerade nicht am Forderungseinzug beteiligt werden. Hier zeige sich die für das echte Factoring charakteristische Risikoaufteilung: Der Factor kauft die Forderung zur eigenen Durchsetzung, auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko.

     

    Auch die Untätigkeit des Factors bei der Forderungseintreibung lasse nicht den Schluss zu, dass er den ursprünglichen Gläubiger mit der eigenverantwortlichen Durchsetzung der Forderung betraut habe. Zwar komme eine Wissenszurechnung analog § 166 Abs. 1 BGB auch dann in Betracht, wenn der ursprüngliche Gläubiger bei der eigenverantwortlichen Forderungsdurchsetzung ohne Vertretungsmacht oder Auftrag handele. Dafür müsse dem Factor aber nachzuweisen sein, dass er das Tätigwerden des ursprünglichen Gläubigers kenne und billige. Die Untätigkeit des Factors an sich sei kein ausreichendes Indiz für eine Duldung, weil der ursprüngliche Gläubiger auch ein eigenes Interesse an der Durchsetzung einer Forderung habe. Zum einen erhöhe sich die Vergütung, die bei Factoringverträgen an den Factor zu zahlen ist, üblicherweise mit einer verspäteten Zahlung durch die Schuldner. Zum anderen könne das Bestehen unbezahlter Forderungen den Factor in Zukunft davon abhalten, weitere Forderungen anzukaufen, worauf der Forderungsverkäufer zur Sicherung der eigenen Liquidität jedoch regelmäßig angewiesen ist.

     

    Anmerkungen

     

    Mit dem Urteil hat der BGH seine Rechtsprechung bestätigt, wonach eine Wissenszurechnung analog § 166 Abs. 1 BGB auch bei der Insolvenzanfechtung gemäß §§ 130 Abs. 1 Nr. 1, 143 InsO Anwendung finden kann. Gleichzeitig gibt das Urteil weiteren Aufschluss darüber, unter welchen Voraussetzungen eine solche "Wissensvertretung" insbesondere bei Factoring-Konstellationen anzunehmen ist.

     

    Eine generelle Zurechnung der Kenntnis des Forderungsverkäufers zu Lasten des Factors lehnt der BGH ab. Die typische Vertragsgestaltung des echten Factorings mit Unterstützungs- und Informationspflichten des Forderungsverkäufers bezüglich der Forderungsdurchsetzung reicht noch nicht aus, um dem Factor das Wissen des Forderungsverkäufers zuzurechnen.

     

    Zugleich stellt der BGH aber klar, dass auch einem echten Factor das Wissen seiner Repräsentanten nach den allgemeinen Grundsätzen des § 166 Abs. 1 BGB analog zuzurechnen ist. Wäre dem Insolvenzverwalter im kommentierten Fall der Nachweis gelungen, dass der Factor die Durchsetzung der Forderung dem Mittelstandsfinanzierer vertraglich überlassen hatte oder diese auch nur faktisch geduldet hatte, wäre eine Wissenszurechnung zu Lasten des Factors erfolgt.

     

    Damit bestehen Anfechtungsrisiken auch beim echten Factoring und insbesondere in der Konstellation des sog. Inhouse-Factorings, das zuletzt knapp zwei Drittel des Factoringvolumens in Deutschland ausmachte (Jahresbericht Deutscher Factoring-Verband e.V. 2022, S. 5, hier abrufbar). Beim Inhouse-Factoring verbleiben das Debitorenmanagement sowie das Mahn- und Vollstreckungswesen beim Forderungsverkäufer, der dieses treuhänderisch für den Factor ausübt. Diese arbeitsteilige Vorgehensweise würde nach den vom BGH entwickelten Kriterien in aller Regel eine Wissenszurechnung analog § 166 Abs. 1 BGB rechtfertigen und den Factor einem erhöhten Anfechtungsrisiko aussetzen.

     

    Etienne Sprösser

    Jennifer Wulf

     

    Dieser Blogbeitrag erscheint ebenso im Haufe Wirtschaftsrechtsnewsletter.

     

    Zur besseren Lesbarkeit wird in dem vorliegenden Beitrag auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Es wird das generische Maskulin verwendet, wobei alle Geschlechter gleichermaßen gemeint sind.