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    26.05.2025

    Influencer-Marketing: Unerkannte Handelsvertreter als Kostenrisiko


    Influencer1 sind zu einem etablierten Partner für Unternehmen bei der gezielten Bewerbung und dem Verkauf von Produkten aller Branchen geworden. Der Markt für Influencer-Marketing-Dienste wächst dabei stetig und erreichte 2024 mit rund USD 24 Mrd. weltweit einen neuen Rekord (siehe de.statista.com/statistik/daten/studie/1325021/umfrage/ausgaben-von-unternehmen-fuer-influencer-marketing-weltweit/).

    Den meisten Unternehmen und wohl auch einem großen Teil ihrer rechtlichen Berater ist in diesem Zusammenhang nicht bewusst, dass Influencer je nach Vertragsgestaltung und Einsatz als Handelsvertreter i.S.v. § 84 Abs. 1 HGB zu qualifizieren sind. Seit dem letzten Jahr gibt es nun auch eine Gerichtsentscheidung des Tribunale di Roma (Arbeitsgericht Rom, Urt. v. 4. März 2024 Nr. 2615/24), in der ein Influencer, soweit ersichtlich, erstmals gerichtlich als Handelsvertreter eingestuft wurde. Diese Entscheidung ist dabei auch für das deutsche Recht von Bedeutung, weil das Handelsvertreterrecht europäisch durch die EU-Handelsvertreterrichtlinie weitgehend harmonisiert wurde.

    Nun fragen Sie sich vielleicht: "Weshalb ist das relevant?"

    Grundsätzlich ist der Umstand, dass Influencer Handelsvertreter sein können, natürlich kein Problem. Je nach Blickwinkel ist es sogar ein Vorteil. Nämlich vor allem für den Influencer. Denn sofern der Influencer als Handelsvertreter eingesetzt wird, greifen zu Gunsten des Influencers die zwingenden gesetzlichen Regelungen des Handelsvertreterrechts (§§ 84 HGB ff.) Das Handelsvertreterrecht gewährt dabei insbesondere einen zwingenden Anspruch auf Zahlung eines nachvertraglichen Ausgleichs (§ 89b HGB) und auf kostenlose Überlassung von notwendigen Arbeitsmitteln (§ 86a Abs. 1 HGB). Auch bestehen zu Gunsten des Handelsvertreters u.a. gesetzliche Mindestkündigungsfristen (§ 89 Abs. 1 HGB) und spezielle Auskunftsansprüche, wie der für den Unternehmer in der Erfüllung regelmäßig sehr aufwändige Anspruch auf Buchauszug (§ 87c Abs. 2 HGB).

    Vor dem Hintergrund, dass viele Influencer-Marketingverträge nicht von spezialisierten Vertriebsrechtlern mitentworfen werden, bergen viele der derzeit im Markt gängigen Verträge erhebliche finanzielle Risiken für die jeweiligen Unternehmen. Influencer können aus dieser Situation ggf. finanzielle Vorteile ziehen.

    I. Influencer als Handelsvertreter

    Unzweifelhaft können Influencer Handelsvertreter sein, allerdings nur, wenn Sie nach den vertraglichen Vereinbarungen und der tatsächlich gelebten Praxis, die Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 HGB erfüllen.

    Hiernach ist Handelsvertreter, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer konkrete Geschäfte (z.B. Kaufverträge, Automietverträge, etc.) zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen.

    Selbstständigkeit

    Grundvoraussetzung ist, dass der Influencer kein Arbeitnehmer ist, sondern seine Tätigkeit als Selbständiger im Wesentlichen frei gestalten kann (Zeit, Ort, etc.).

    Pflicht zum Vertrieb der Produkte des Unternehmers für gewisse Dauer

    Weiter entscheidend ist, dass der Influencer nicht nur berechtigt, sondern dazu verpflichtet ist, sich fortlaufend um die Vermittlung bzw. den Abschluss einer Vielzahl von Verträgen mit Followern für den Unternehmer zu bemühen. Sofern der Influencer zwar eine Vergütung für vermittelte oder im Namen des Unternehmers abgeschlossene Geschäfte mit Followern erhält, jedoch frei entscheiden kann, ob und in welchem Umfang er sich darum bemüht, ist der Influencer kein Handelsvertreter.

    Daneben ist erforderlich, dass der Influencer nicht nur für einen einzigen Post, sondern für gewisse Zeit laufend tätig werden soll. Nicht erforderlich ist hierfür jedoch eine Tätigkeit für z.B. mindestens ein Jahr. Auch eine Tätigkeit während eines begrenzten Zeitraums, z.B. für die Dauer einer Werbekampagne von einigen Monaten, Wochen oder sogar nur Tagen kann bereits ausreichend sein, sofern sich der Influencer während dieser Zeit laufend um die Vermittlung von Geschäften bemühen muss.

    Vermittlungs-/Abschlusstätigkeit vs. allgemeine Markenwerbung des Influencers

    Besonders relevant ist jedoch die Frage, ob der Influencer auch verpflichtet ist, konkrete Geschäfte mit Kunden für das ihn beauftragende Unternehmen zu vermitteln oder diese im Namen des Unternehmens abzuschließen. Die reine Werbung für ein Produkt (sog. Product-Placement), um dieses bei den Followern lediglich bekannt zu machen und die Marke des Unternehmens zu steigern, ist hierfür nicht ausreichend.

    Des Öfteren wird der Influencer durch das ihn beauftragende Unternehmen jedoch auch verpflichtet, in den Posts sog. Affiliate-Links zu den jeweiligen Produktseiten des Onlineshops mit einzubinden. Verbreitet ist auch die Nutzung von individuellen Rabattcodes, mit denen die Follower die Produkte des Unternehmens vergünstigt erwerben können. Auch gibt es auf manchen Verkaufsplattformen bereits Influencer-Online-Shops, worüber die Follower die jeweiligen Produkte direkt bestellen können. Alle drei dürften ausreichend konkret auf die Vermittlung von Verträgen zwischen dem Unternehmen und den Followern gerichtet sein. Sofern die anderen vorgenannten Voraussetzungen ebenfalls erfüllt sind, wäre der Influencer daher als Handelsvertreter anzusehen. 

    Vertragstitel irrelevant

    Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es rechtlich ohne Belang ist, wie der entsprechende Vertrag mit dem Influencer bezeichnet wird. Der Bezeichnung von Verträgen durch die Parteien kommt im Allgemeinen keine entscheidende Bedeutung zu, sondern kann stets nur ein zusätzliches Indiz für die rechtliche Einordnung darstellen. Entscheidend ist allein der Inhalt der vertraglichen Vereinbarungen und ihre praktische Handhabung.

    II. Folgen - Insbesondere Folgeprovisionen, Mindestkündigungsfristen und Handelsvertreterausgleich 

    Sofern nun der etwa als "Marketing-Vertrag" bezeichnete Vertrag rechtlich als Handelsvertretervertrag zu qualifizieren ist, so finden die §§ 84 ff. HGB mit all ihren rechtlichen Folgen Anwendung.

    Der Influencer hat dann ohne abweichende Vereinbarung zum Beispiel grundsätzlich Anspruch auf eine sog. Folgeprovision für gleichartige Geschäfte, die der Unternehmer mit vom Influencer zum ersten Mal geworbenen Kunden getätigt hat, § 87 Abs. 1 S. 1 HGB. Sofern also der Influencer für mit seinem Rabattcode getätigte Käufe seiner Follower eine umsatzabhängige Vergütung erhält und ein Anspruch auf Folgeprovision vertraglich nicht ausgeschlossen wird, hat der Influencer auch für gleichartige Nachbestellungen des geworbenen Erstkunden einen entsprechenden Anspruch auf Vergütung. Und zwar unabhängig davon, ob der Influencer für diese Nachbestellung in irgendeiner Form noch einmal tätig geworden ist!

    Daneben sind aber auch die Mindestkündigungsfristen nach § 89 Abs. 1 HGB zu beachten. Werden diese zwingenden Fristen missachtet, hat der Influencer grundsätzlich Anspruch auf Schadenersatz. 

    Als Letztes sei zudem noch der mögliche Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB hervorgehoben. Dieser stellt eine zusätzliche nachvertragliche Vergütung des Handelsvertreters für den von ihm geworbenen Kundenstamm des Unternehmens dar. Dieser gewährt dem Influencer dabei einen Zahlungsanspruch von bis zu einer durchschnittlichen Jahresvergütung, § 89b Abs. 2 HGB. Je nach Fall kann dieser Anspruch daher finanziell für den Influencer äußerst attraktiv sein, zumal der Influencer diese Zahlung ohne weitere Tätigkeit erhält. Sofern Sie an der groben Vorberechnung eines möglichen Ausgleichsanspruchs interessiert sind, finden Sie unseren kostenlosen Ausgleichsrechner einschließlich weiterführender Hinweise zum Ausgleichsrecht unter www.ausgleichsrechner.de.

    III. Fazit

    Influencer sollten ihre Verträge dahingehend prüfen, ob sie in Wirklichkeit einer Handelsvertretertätigkeit nachgehen. Sofern dies der Fall ist, kann der Influencer diesen Umstand ggf. nutzbar machen. 

    Aus Sicht der Unternehmen ist es wichtig, dass die eigenen Influencer-Marketing-Verträge auch mit Blick auf das Handelsvertreterrecht geprüft und entsprechend entworfen werden. Sollte es beispielsweise dem Unternehmen nicht entscheidend darauf ankommen, dass die Influencer die Produkte fortlaufend aktiv vertreiben, so sollte dies entsprechend vertraglich klar geregelt werden. Aber selbst, wenn es dem Unternehmen auch um den aktiven Vertrieb der einzelnen Produkte über die Influencer an deren Follower, z.B. durch entsprechende Affiliate-Links oder personalisierte Rabattcodes, ankommt, so bestehen je nach Fall mehrere Möglichkeiten, um die oben beschriebenen Folgen abzumildern oder gänzlich auszuschließen. Entscheidend ist, dass man sich der Thematik bewusst ist und auf dieser Basis die entsprechenden Maßnahmen ergreift.

    Helena Thiel
    Christopher D. Harten

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