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    17.10.2024

    EuGH - Haftung begünstigter Gesellschaften für unbestimmte Verbindlichkeiten im Falle von Spaltungen


    In einer aktuellen Entscheidung des EuGH vom 29.07.2024 hat dieser klargestellt, dass nach EU-Recht die gesamtschuldnerische Haftung der begünstigten Gesellschaften nicht nur für definierte, sondern auch für nicht definierte Gegenstände gilt, die erst nach der Spaltung begründet, bewertet oder konsolidiert wurden und auf einem Verhalten der gespaltenen Gesellschaft beruhen, die vor der Spaltung liegen. 

    1. Sachverhalt

    Hintergrund der Entscheidung ist eine Spaltung der italienischen Gesellschaft SNIA. Diese wurde im Mai 2003 nach italienischem Recht gespalten. Dabei übertrug sie einen Teil ihres Vermögens auf eine neugegründete Gesellschaft, die später LivaNova hieß.

    Nach dem Vollzug dieser Spaltung erhob das italienische Umweltministerium Klagen auf Schadensersatz gegen SNIA wegen Umweltschäden, die durch SNIA vor der Spaltung verursacht wurden. SNIA verklagte daraufhin LivaNova und beantragte die Feststellung, dass LivaNova gesamtschuldnerisch gegenüber den italienischen Behörden für alle Schulden haftet, die sich aus diesen Umweltschäden ergeben.

    Im November 2021 ordnete das italienische Berufungsgericht gemäß italienischen Rechts an, dass LivaNova bis zum Wert des übertragenen Aktivvermögens die Kosten für die Umweltschäden zu erstatten hat, die durch SNIA und ihre Tochtergesellschaften verursacht wurden.

    LivaNova legte gegen diese Entscheidung Kassationsbeschwerde nach italienischem Recht ein. Darin machte sie geltend, dass das Berufungsgericht den Unterschied zwischen "Gegenstände des Passivvermögens" und "Verbindlichkeiten" nicht berücksichtigt habe. Unter den Begriff "Verbindlichkeiten" würden nur Passiva fallen, die bestimmt und belegt seien, nicht aber Rückstellungen für Risken und Verpflichtungen, da diese als "Gegenstände des Passivvermögens" zu definieren seien. Nach Ansicht von LivaNova hätte diese Unterscheidung dazu führen müssen, dass sie nur für "Verbindlichkeiten" haftet und eben nicht für nicht definierte Gegenstände, da nach italienischem Recht die gesamtschuldnerische Haftung nur für "Verbindlichkeiten" vorgesehen sei. 

    Ferner rügte LivaNova, dass sie zu Unrecht für Schäden in Haftung genommen wurde, die durch nach der Spaltung liegende Verhaltensweisen entstanden seien. Damit würde gegen die gesetzliche Frist verstoßen, wonach es sich für das Bestehen einer Haftung um "Gegenstände des Passivvermögens" bzw. "Verbindlichkeiten" handeln muss, die zum Zeitpunkt der Spaltung bereits bestehen.

    Der Kassationsgerichtshof hielt es für erforderlich, diese beiden Rügepunkte im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens aus unionsrechtlicher Sicht durch den EuGH überprüfen zu lassen. 

    Der EuGH hatte somit zu darüber zu entscheiden, ob die gesamtschuldnerische Haftung der begünstigten Gesellschaften nicht nur für "bestimmte Verbindlichkeiten" gilt, die im Spaltungsplan nicht ausdrücklich zugewiesen werden, sondern auch für "unbestimmte Verbindlichkeiten", die zwar nach der Spaltung begründet, bewertet oder konsolidiert werden, aber auf Handlungen zurückzuführen sind, die die gespaltene Gesellschaft vor der Spaltung vorgenommen hat.

    2. Entscheidung

    Der EuGH bejahte die gesamtschuldnerische Haftung der begünstigten Gesellschaften.

    Begünstigte Gesellschaft haften somit gesamtschuldnerisch gemeinsam mit der gespaltenen Gesellschaft für bestimmte Verbindlichkeiten, wenn eine Verbindlichkeit im Rahmen der Spaltung nicht zugewiesen wird und die Auslegung dieser Verbindlichkeit eine Zuweisung nicht zulässt. Die begünstigte Gesellschaft haftet außerdem gesamtschuldnerisch gemeinsam mit der gespaltenen Gesellschaft für unbestimmte Verbindlichkeiten, die zwar erst nach der Spaltung begründet, bewertet oder konsolidiert wurden, sich aber aus einem Verhalten der gespaltenen Gesellschaft vor der Spaltung ergeben.

    Die Mitgliedstaaten können diese gesamtschuldnerische Haftung auf das den einzelnen begünstigten Unternehmen zugewiesene Nettoaktivvermögen beschränken.

    Eine solche Auslegung entspreche dem Ziel, die Interessen der Gesellschafter und Dritten zu schützen und die Rechtssicherheit bei Unternehmensumstrukturierungen zu wahren.

    3. Bedeutung für Deutschland

    Zur Wahrung der Interessen der Gesellschafter und Dritten sieht das deutsche Recht vor, dass die an der Spaltung beteiligten Gesellschaften für die Verbindlichkeiten der sich spaltenden Gesellschaft, die vor dem Wirksamwerden der Spaltung begründet wurden, unabhängig vom Fälligkeitszeitpunkt gesamtschuldnerisch haften. In dieser Hinsicht entspricht das deutsche Recht der vorliegenden Entscheidung.

    Um die Interessen aller Beteiligten zu wahren, sieht das deutsche Recht bestimmte Beschränkungen für die Haftung von Gesellschaften vor, denen im Spaltungsvertrag oder -plan keine Verbindlichkeiten zugewiesen wurden. Zum einen wurde in § 133 Abs. 3 Nr. 2 UmwG eine Regelung umgesetzt, wonach die Haftung solcher Gesellschaften auf den Wert des zugewiesenen Nettoaktivvermögens zum Stichtag beschränkt ist. Zum anderen verjährt die Haftung dieser Gesellschaften nach fünf Jahren nach Wirksamwerden der Spaltung. Für Ansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung verlängert sich diese Haftung auf zehn Jahre. Der deutsche Gesetzgeber macht somit von der Möglichkeit, die Haftung zu beschränken, Gebrauch.

    Hinsichtlich der den Gläubigern nach § 133 Abs. 1 UmwG zustehenden Sicherheiten hat sich der deutsche Gesetzgeber entschieden, im Falle einer Spaltung vom Grundsatz der gesamtschuldnerischen Haftung abzuweichen. Danach ist nur noch die Gesellschaft sicherungspflichtig, gegen die die zu sichernde Forderung besteht. Der Gesetzgeber begründet dies damit, dass sonst unklar wäre, welcher der an der Spaltung beteiligten Rechtsträger zur Sicherheitsleistung verpflichtet ist. Die Verpflichtung zur Sicherheitsleistung kann zu erheblichen wirtschaftlichen Belastungen für das betroffene Unternehmen führen.

    Im Innenverhältnis zwischen den Gesellschaftern sieht das deutsche Recht eine Auslegungsregel für den Fall vor, dass Verbindlichkeiten keiner Partei zugerechnet werden können. Wird ein Gegenstand keiner der Gesellschaften zugeordnet, erfolgt zunächst eine Auslegung des Spaltungsvertrags oder -plans. Führt dies nicht zum Erfolg und können die Gegenstände keiner Partei zugeordnet werden, verbleiben vergessene Verbindlichkeiten im Falle einer Abspaltung und Ausgliederung beim Übertragenden.

    Im Außenverhältnis bestätigt das Urteil des EuGH die deutsche Rechtslage. Die Rolle in der Spaltung (Übertragender oder Übernehmender), die Struktur der Spaltung oder der Umfang der Vermögensübertragung sind für die gesamtschuldnerische Haftung unerheblich - alle an der Spaltung beteiligten Gesellschaften haften gesamtschuldnerisch.

    Für den Teil, der das italienische Recht betrifft, Martina Da Re (ADVANT Nctm), für den Teil, der das deutsche Recht betrifft, Simone Schmatz (ADVANT Beiten).

    Die Vollversion dieses Beitrags wird in der IWRZ – Zeitschrift für Internationales Wirtschaftsrecht Heft 6 veröffentlicht.

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