"Potius sero, quam numquam." (Titus Livius, ab urbe condita)
Die Frist zur Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie lief am 25. Juni 2023 aus. Am 7. Juli 2023, dem letzten Sitzungstag vor der Sommerpause, nahm der Bundestag mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der CDU/CSU und AFD bei Enthaltung der Fraktion Die Linke den Gesetzesentwurf zum Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG) an.
In unserem Blog haben wir bereits über den Referentenentwurf (Blogbeitrag vom 17. Februar 2023), den Regierungsentwurf (Blogbeitrag vom 31. März 2023) sowie die Anhörung im Rechtsausschuss (Blogbeitrag vom 11. Mai 2023) berichtet.
Das VDuG schafft eine neue Verbandsklageform, die Abhilfeklage durch Verbände, und nimmt die Vorschriften der Musterfeststellungsklage aus der Zivilprozessordnung auf. Die Bundesregierung vermutet, dass die Abhilfeklage die Bürgerinnen und Bürger, die Wirtschaft und besonders die Gerichte entlasten wird. Die Möglichkeiten dieses Gesetzes sollen 22.500 Individualklagen durch 15 Abhilfeklagen ersetzen.
Eine Abhilfeklage ist eine Klage durch klageberechtigte Stellen für eine Vielzahl von Verbrauchern gegen Unternehmer in bürgerlichen Rechtstreitigkeiten. Kleine Unternehmer mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanz unter EUR 2 Mio sollen als Verbraucher im Sinne dieses Gesetzes gelten. Qualifizierte Verbraucherverbände und Einrichtungen, die im entsprechenden Verzeichnis der Europäischen Union eingetragen sind, sollen klageberechtigt sein. Qualifizierte Verbraucherverbände dürfen (i) sich nicht zu mehr als 5 % aus Zuwendungen von Unternehmern finanzieren und müssen (ii) in der Liste nach § 4 des Unterlassungsklagegesetz eingetragen sein. Die klageberechtigten Stellen müssen ebenso wie das Klageregister öffentlich über die Abhilfeklagen berichten und Verbraucher darüber aufklären, wie sie teilnehmen können. Eine Abhilfeklage soll nur zulässig sein, soweit nachvollziehbar dargelegt wird, dass Ansprüche von mindestens 50 Verbrauchern betroffen sein können.
Das VDuG beschränkt die Finanzierung einer Abhilfeklage durch Dritte. Die Finanzierung muss unabhängig vom Erfolg der Klage und dem verklagten Unternehmen sein. Sie muss - zusammen mit den getroffenen Vereinbarungen - dem Gericht gegenüber mit Klageeinreichung offengelegt werden.
Eine Abhilfeklage ist entweder auf Leistung an die betroffenen Verbraucher oder auf Zahlung eines kollektiven Gesamtbetrages gerichtet. Die dabei geltend gemachten Ansprüche der Verbraucher müssen im Wesentlichen gleichartig sein. Dabei sind ein im Wesentlichen vergleichbarer Sachverhalt und die entscheidungserheblichen Tatsachen- und Rechtsfragen ausschlaggebend. Verbraucher müssen ihre Ansprüche im Verbandsklageregister anmelden. Eine Anmeldung ist sogar noch bis zum Ablauf von drei Wochen nach Schluss der mündlichen Verhandlung möglich.
Zuständig für eine Abhilfeklage ist das Oberlandesgericht am Sitz des betroffenen Unternehmens. Eine Revision ist von Gesetzes wegen ohne Zulassung im Urteil vorgesehen.
Eine Abhilfeklage soll im Regelfall mit einem Urteil, Vergleich oder Abhilfeendurteil enden. Vor einem Abhilfeendurteil ergeht ein Abhilfegrundurteil. Ein Abhilfegrundurteil soll erlassen werden, wenn eine Abhilfeklage dem Grunde nach begründet und nicht auf Leistung an einen Verbraucher gerichtet ist. Ein Abhilfegrundurteil muss in der Urteilsformel konkrete Voraussetzungen zur Anspruchsberechtigung für Verbraucher und den hierfür zu erbringenden Berechtigungsnachweisen enthalten. Wird zu einem kollektiven Gesamtbetrag verurteilt, so muss ein Urteil entweder den Betrag je berechtigtem Verbraucher oder die Methode der Bestimmung der zustehenden Einzelbeträge enthalten. Erfolgt zunächst ein Abhilfegrundurteil können die Parteien vom Gericht aufgefordert werden, schriftliche Vergleichsvorschläge vorzulegen. Wird kein Vergleich abgeschlossen, endet das Verfahren durch ein Abhilfeendurteil.
Dem Abhilfeklageverfahren schließt sich das Umsetzungsverfahren an. Sollte in diesem der festgesetzte kollektive Gesamtbetrag nicht ausreichen, kann dieser auf Antrag erhöht werden. Für das Umsetzungsverfahren bleibt das Prozessgericht der Abhilfeklage zuständig. Es wird ein Sachwalter bestellt, der das Urteil umsetzt. Dabei wird ein Umsetzungsfonds eingerichtet, in den die festgesetzten Beträge einzuzahlen sind. Aus diesem Umsetzungsfonds erfüllt der Sachwalter berechtigte Ansprüche der Verbraucher. Am Umsetzungsverfahren nehmen nur Verbraucher teil, die ihre Ansprüche wirksam zum Verbandsklageregister angemeldet haben.
Der Sachwalter prüft die Ansprüche der teilnehmenden Verbraucher und entscheidet über die Anspruchsberechtigung anhand der im Urteil festgelegten konkreten Voraussetzungen und Berechtigungsnachweise. Gegen die Entscheidung des Sachwalters können die Verbraucher oder Unternehmen Widerspruch einlegen. Über die Widerspruchentscheidung des Sachwalters entscheidet abschließend das Gericht. Das Umsetzungsverfahren endet mit dem Schlussbericht des Sachwalters, der vom Gericht geprüft wird. Die Beendigung des Umsetzungsverfahrens wird vom Gericht durch Beschluss festgestellt. Für einen nicht im Umsetzungsverfahren positiv berücksichtigten Anspruch eines Verbrauchers verbleibt im Einzelfall der Weg der nachträglichen Individualklage gegen das Unternehmen.
Die Bundesregierung erhofft sich von der Abhilfeklage und dem Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz, dass Verbraucher ihre Ansprüche leichter geltend machen können. Dabei soll die Justiz in großem Umfang entlastet werden. Die erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte unter Anwendung der Regeln für erstinstanzliche Verfahren vor den Landgerichten beschränkt die zulässigen Rechtsmittel de facto auf die Revision. Diese ist zumindest in jedem Fall zugelassen. Ein weiteres Rechtsmittel bei Entscheidungen durch das Oberlandesgericht auf Widerspruch im Umsetzungsverfahren gibt es aber nicht.
Besonders die letzten Änderungen im Rechtsausschuss werden in Zukunft das dynamische Bild der Abhilfeklage beeinflussen. Die klageberechtigten Stellen müssen nur darlegen, dass 50 Verbraucher betroffen sein können und nicht zur tatsächlichen Betroffenheit weiter ausführen. Kleine Unternehmen können, wie Verbraucher, als Betroffene an den Verbandsklagen und Abhilfeklagen partizipieren. Die Möglichkeit der Anmeldung zum Verbandsklageregister selbst nach der mündlichen Verhandlung wird das Verhalten von Verbrauchern beeinflussen.
In den kommenden Jahren wird sich zeigen, ob die neue Verbandsklage von der Praxis angenommen werden wird und ob das Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz die erhofften Wirkungen erzielt.