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    11.10.2022

    Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht eines ausgeschiedenen Gesellschafters – Zur Abgrenzung von Geschäftschancenlehre und Wettbewerbsverbot


    Urteil des OLG Naumburg vom 24.3.2022 – 2 U 143/21

     

    Im Gesellschaftsrecht besteht eine mitgliedschaftliche Treuepflicht jedes Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft. Die Treuepflicht besteht grundsätzlich nur bis zum Ausscheiden des Gesellschafters. Auch danach bestehen jedoch noch Treuepflichten, insbesondere Unterlassungs- und Loyalitätspflichten. Deren Umfang ist im Einzelnen unklar. Ein ausgeschiedener Gesellschafter unterliegt keinem gesetzlichen nachvertraglichem Wettbewerbsverbot. Aber es ist ihm untersagt, konkrete Geschäftschancen der Gesellschaft selbst für sich zu nutzen. Mit der Abgrenzung zwischen konkreten Geschäftschancen und Wettbewerb hatte sich jüngst das OLG Naumburg zu beschäftigen.

     

    Hintergrund

     

    In dem zugrunde liegenden Fall war der Beklagte Mitgesellschafter eines Software-Unternehmens in der Rechtsform einer GmbH (Klägerin). Er war nicht Geschäftsführer, arbeitete aber im Unternehmen auf Grundlage eines Arbeitsvertrags mit. Nach seinem Ausscheiden (als Gesellschafter und Arbeitnehmer) wandte sich eine Kundin der Gesellschaft an ihn und beauftragte ihn mit einer Beratungsleistung. Der Beklagte übernahm den Auftrag und stellte der Kundin die ursprünglich zwischen der Klägerin und der Kundin vereinbarte Pauschalvergütung in Rechnung. Die Klägerin forderte vom Beklagten Schadensersatz wegen eines umgeleiteten Umsatzgeschäfts.

     

    Das OLG Naumburg gab der Gesellschaft Recht. Es entschied, dass ihr Schadensersatz gegen den Beklagten wegen zumindest fahrlässiger Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht durch den Beklagten als ausgeschiedener Gesellschafter der Klägerin nach der sog. Geschäftschancenlehre zustehe.

     

    Das OLG Naumburg begründete diese Entscheidung mit nachwirkenden Treuepflichten eines ausgeschiedenen Gesellschafters. Danach dürfe der (ausgeschiedene) Gesellschafter nicht konkrete Geschäftschancen der Gesellschaft auf sich selbst oder auf Dritte, an denen er beteiligt ist, umleiten.

     

    Problematisch ist dabei die Abgrenzung von einem Wettbewerbsverbot – denn ein Wettbewerbsverbot endet grundsätzlich mit dem Ausscheiden aus der Gesellschaft. Beides sind eigenständige aus der Treuepflicht folgende Institute. Das Wettbewerbsverbot umfasst sämtliche Geschäftschancen im Tätigkeitsfeld der Gesellschaft. Das Verbot, Geschäftschancen der Gesellschaft zu nutzen, beschränkt sich hingegen auf geschäftliche Möglichkeiten, die bereits in bestimmter Weise „konkretisiert“ der GmbH zuzurechnen sind.

     

    Das Gericht sah die Voraussetzungen der Geschäftschancenlehre im vorliegenden Fall erfüllt. Obwohl die Kundin an den Beklagten von sich aus herangetreten sei, habe der Beklagte zunächst seiner Informationspflicht nachkommen müssen. Er hätte die Gesellschaft über das Interesse der Kundin unterrichten und ihr den Vorrang bei der Bearbeitung des konkreten Projekts anbieten müssen. Dies habe der Beklagte unterlassen.

     

    Anmerkungen und Praxistipp

     

    Das OLG Naumburg hat einen wichtigen Aspekt der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht anschaulich dargelegt und bestätigt, dass die sog. Geschäftschancenlehre als Ausprägung der (nachvertraglichen) gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht anzuwenden ist. Sie gilt auch dann, wenn der ausgeschiedene Gesellschafter kein Geschäftsführer war. Gleichzeitig grenzt das Urteil die Geschäftschancenlehre überzeugend vom Wettbewerbsverbot eines ausgeschiedenen Gesellschafters ab. Ohne ausdrückliche vertragliche Regelung unterliegt ein ausgeschiedener Gesellschafter keinem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot; er hat es jedoch zu unterlassen, konkrete Geschäftschancen der Gesellschaft selbst zu nutzen. Und zwar selbst dann, wenn der Kunde von sich aus auf ihn zukommt. Anders ist die Lage hingegen, wenn der Kunde mit einem ganz neuen Projekt an einen ausgeschiedenen Gesellschafter herantritt. Dann kann der ausgeschiedene Gesellschafter das Projekt übernehmen, ohne durch eine nachvertragliche Treuepflicht gebunden zu sein.

     

    Für die Praxis zeigt dieses Urteil einmal mehr, wie wichtig es ist, vorausschauend vertragliche Gestaltungen für den Fall der Trennung zu treffen, um Klarheit zu schaffen – und zwar für die Gesellschaft und den ausscheidenden Gesellschafter gleichermaßen. 

     

    Dr. Barbara Mayer

    Christian Burmeister

     

    Dieser Blogbeitrag erscheint ebenso im Haufe Wirtschaftsrechtsnewsletter.

     

    Zur besseren Lesbarkeit wird in dem vorliegenden Beitrag auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Es wird das generische Maskulin verwendet, wobei alle Geschlechter gleichermaßen gemeint sind.

     

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