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    16.06.2020

    Der Gesetzgeber ist gefragt: Die Raison d’ Être der mündlichen Verhandlung angesichts des Social Distancing


    Covid-19 wirkt sich erheblich auf den Zivilprozess aus. Grundsatzdogmatik und Justizalltag gehen auseinander. Schriftliches Verfahren, Terminverlegung und Fristverlängerung, Videoverhandlung und Unabhängigkeit in der Verhandlungsführung sollen es richten. Verhandlungen werden hier großzügig verschoben, dort wird eisern am Termin festgehalten, auch für nur wenige Minuten Verhandlung. Justizgewährungsanspruch versus Gesundheitsrisiko! Ein in Deutschland bemerkenswert ungeordneter Zustand und Anlass, die Praxis der mündlichen Verhandlung im Lichte des § 128a ZPO zu hinterfragen.

     

    Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit heute

     

    Die forensische Tätigkeit spielt sich überwiegend in der Kanzlei und im Richterzimmer ab. Dennoch steht im Mittelpunkt immer die mündliche Verhandlung. Schriftsätze dienen ihrer Vorbereitung. Der Unmittelbarkeitsgrundsatz des § 169 GVG verlangt die mündliche Verhandlung. Die Kontrahenten treffen aufeinander, das Gericht äußert ein paar Gedanken oder haucht eine Frage in den Saal – und schon stürzt das aufwendig konstruierte Gebäude an Argumenten in sich zusammen. Wird man endlich gehört, wird über Stunden hinweg längst bekannter Vortrag repetiert, doch das Gericht schweigt. Dafür reisen Scharen von Prozessvertretern durch die gesamte Republik. Jeder Dispute-Resolution-Experte erinnert sich aber auch an die großen Tage vor Gericht, an denen er mit rhetorischer Gewalt dem unschlüssig erscheinenden Gericht jeden Zweifel genommen oder, dem sicher geglaubten Untergang geweiht, zumindest verunsichert, erschüttert und den Prozess gedreht zu haben meint. Diese Bühne verdanken wir dem römischen Recht und einer Zeit, als Wort und Bild ihre ganze Kraft nur in einem Moment entfalten konnten. In Zeiten der Kernschmelze virtueller und realer Welten ist dies möglicherweise anders zu bewerten.

    Und die Öffentlichkeit? Anders als im Strafprozess suchen wir deren einsame Vertreter oft vergeblich. Geradezu verschreckt wirkt das Gericht, wenn ein nicht identifiziertes Gesicht an der Verhandlung teilnimmt. Immer öfter wird der Gerichtssaal zum Zweck moderner Konfliktbewältigung gegen ein kuscheliges Verhandlungszimmer getauscht – ohne Öffentlichkeit.

     

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