Am 1. April 2025 ist das sog. Justizstandort-Stärkungsgesetz in Kraft getreten. Zum Start dieser bemerkenswerten Reform im Bereich des deutschen Zivilprozessrechts haben bereits einige Länder Commercial Courts bei ihren Oberlandesgerichten eingerichtet. Bislang gibt es diese in Berlin, Bremen, Düsseldorf, Hamburg und Stuttgart und demnächst auch in München (ab Juni 2025) und Frankfurt (ab Juli 2025).
Doch was sind Commercial Courts? Welche Vor- und Nachteile bieten Sie? Sind Verfahren vor den neuen Commercial Courts einem Schiedsverfahren vorzuziehen und sollte ich als Unternehmer meine Verträge nun anpassen? Diesen Fragen widmet sich dieser Beitrag.
Die Commercial Courts sind Spezialsenate in Zivilsachen, die bei den Oberlandesgerichten der jeweiligen Länder eingerichtet werden bzw. bereits wurden. Anders als sonst entscheiden in diesen Verfahren die Mitglieder des Commercial Courts (Richter am Oberlandesgericht) erstinstanzlich über die jeweiligen Streitigkeiten. Eine Berufung gegen diese Entscheidung findet sodann, anders als bei Verfahren vor den Landgerichten, nicht statt. Stattdessen gibt es die (zulassungsfreie) Möglichkeit der Revision zum Bundesgerichtshof (BGH). Zulassungsfrei heißt: Die Revision ist möglich, ohne dass der Commercial Court dies gesondert zulassen müsste. Das ist deshalb interessant, weil Oberlandesgerichte in der Praxis sehr zurückhaltend sind, die Revision gegen ihre Urteile zuzulassen. Über die Commercial Courts kommt man also leichter zum BGH als sonst.
Commercial Courts können gem. § 119b GVG nur bei Vorliegen der folgenden Voraussetzungen direkt angerufen werden:
Wichtig: Die meisten Länder haben sich bislang entschieden, nur für bestimmte Sachgebiete die Zuständigkeit der Commercial Courts zu begründen. So existiert etwa am Kammergericht Berlin ein Commercial Court nur für Bausachen. Bremen hat einen spezialisierten Commercial Court für Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Fracht-, Speditions- und Lagergeschäft und Streitigkeiten im Bereich der zivilen Luftfahrt- und Weltraumtechnologien errichtet. München spezialisiert sich auf Streitigkeiten in der Lieferkette und bestimmte gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten. Stuttgart sieht Sonderzuständigkeiten für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten und solche aus Unternehmensverkäufen vor. Auch in Düsseldorf gibt es bestimmte Sonderzuständigkeiten bei den Commercial Courts. Frankfurt und Hamburg gehen einen etwas anderen Weg: Dort können alle oben unter Ziffer 2 genannten Streitigkeiten ab einem Streitwert von EUR 500.000 vor die Commercial Courts gebracht werden.
Vor der Vereinbarung der Zuständigkeit eines Commercial Courts muss daher stets geprüft werden, ob der gewählte Commercial Court auch für das betroffene Sachgebiet errichtet wurde.
Doch welche Vorteile bietet nun die neuen Commercial Courts im Vergleich zu erstinstanzlichen Verfahren vor den Landgerichten?
a) Verfahren kann in englischer Sprache geführt werden
Anders als bei den Verfahren vor den originären Kammern der Landgerichte ist es bei Verfahren vor einem Commercial Court gem. § 184a GVG möglich, das Verfahren in englischer Sprache zu führen. Bei internationalen Streitigkeiten entfallen so Kosten für Übersetzer und die ausländischen Parteien können dem Prozess einfacher folgen und vom Gericht persönlich angehört werden.
b) Grds. hohe Qualität der Entscheidungen
Die Entscheidungen der Commercial Courts versprechen eine hohe Qualität, da diese Streitigkeiten von den erfahrenen Richtern am Oberlandesgericht entschieden werden. Daneben soll auch innerhalb der Commercial Courts die Fachexpertise durch Spezialisierungen der Mitglieder gewährleistet werden.
c) Zulassungsfreie Revision zum BGH
Wie bereits erwähnt, besteht bei den Verfahren vor den Commercial Courts ein wesentlicher Vorteil darin, dass, anders als bei erstinstanzlichen Verfahren vor den Landgerichten, stets die Möglichkeit der Revision zum Bundesgerichtshof offensteht (§ 614 ZPO). Hierdurch kann gerade bei strategischen Prozessen schnell eine Grundsatzentscheidung des BGH erreicht werden.
d) Potenziell höhere Effizienz (Zeit- und Kostenersparnis)
Angestrebt wird auch eine Zeit- und Kostenersparnis.
Verständigen sich die Parteien auf die Zuständigkeit eines Commercial Courts, verkürzt sich damit der mögliche Instanzenzug um eine Instanz (OLG – BGH; statt LG – OLG – BGH), was im Einzelfall potenziell zu einer Kostenersparnis führen kann.
Weiter ist für Verfahren der Commercial Courts in § 612 ZPO vorgesehen, dass zu Beginn des Verfahrens grds. ein sog. Organisationstermin durchzuführen ist. In diesem Termin soll sodann der Ablauf des Verfahrens zur Steigerung der zeitlichen Effizienz festgelegt werden (insb. Schriftsatzfristen, Termin für die mündliche Verhandlung). Ein solcher Organisationstermin ist in Schiedsverfahren („Verfahrenskonferenz“) üblich und hat sich zur Verfahrensbeschleunigung grds. bewährt.
Eine zusätzliche Beschleunigung des Verfahrens verspricht etwa der Commercial Court beim Oberlandesgericht Hamburg dadurch, dass die Gerichtsverwaltung vorgesehen hat, dass Verfahren vor den Commercial Courts vorrangig zu anderen Verfahren der Richter behandelt werden dürfen (vgl. Geschäftsverteilungsplan des Hanseatischen Oberlandesgerichts).
Nachteile im Vergleich zu den Verfahren vor den Landgerichten dürfte vor allem sein, dass die anfallenden Gerichtsgebühren in der ersten Instanz vor den Commercial Courts etwas höher sind als bei einem erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht. Bei den Verfahren vor den Commercial Courts fällt eine zusätzliche 1,0 Wertgebühr für die erstinstanzliche Entscheidung an. In der Regel wird dies nicht entscheidend ins Gewicht fallen. Die oben genannten, potentiellen Vorteile können im Einzelfall auch als nachteilig empfunden werden: Vielleicht ist es einer Partei gerade wichtig, dass etwaige Streitigkeiten nicht oder jedenfalls nicht allzu schnell beim BGH landen könnten – je nach Interessenlage wird man dann von einer Wahl der Commercial Courts absehen wollen.
Neben der Frage, ob die Zuständigkeit eines Commercial Courts anstelle der eines Landgerichts sinnvoll ist, stellt sich zusätzlich die Frage, ob im Einzelfall u.U. ein Schiedsverfahren vorteilhafter wäre.
Festzuhalten ist hierbei zunächst, dass die speziellen verfahrensrechtlichen Neuerungen für Commercial Courts den Versuch darstellen, die wesentlichen Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit zu übernehmen und mit den Vorteilen der staatlichen Gerichtsbarkeit zu kombinieren.
Gleichwohl bestehen weiterhin wesentliche Unterschiede, die im Einzelfall für und gegen die Vereinbarung von Commercial Courts im Vergleich zu Schiedsverfahren sprechen können.
Ein wesentlicher Vorteil der Schiedsgerichtsbarkeit ist, dass die Parteien grds. fachlich hochspezialisierte Schiedsrichter frei wählen können und die Verfahrensregeln sowie das anzuwendende materielle Recht weitgehend autonom selbst bestimmen können. Dies ist bei den staatlichen Gerichtsverfahren nicht der Fall, wenngleich auch die Commercial Courts fachliche Spezialisierungen aufweisen.
Ein Vorteil der staatlichen Gerichtsverfahren kann hingegen sein, dass diese aufgrund der relativ günstigen Gerichtsgebühren und der grundsätzlich begrenzten Erstattungspflicht für gegnerische Anwaltskosten im Falle des Unterliegens des Öfteren kostengünstiger als Schiedsverfahren sind. Dies begrenzt das Prozesskostenrisiko, wenngleich sich dieser Umstand im Falle eines gewonnen Prozesses auch als Nachteil herausstellen kann.
Ambivalent erscheint zudem, dass die Schiedsrichter nach der jeweilig anzuwendenden Verfahrensordnung in Schiedsverfahren wesentlich freier als die staatlichen Richter sind: Einerseits mag in Konsequenz das Verhalten des Schiedsgerichts für die Parteien schwerer vorhersehbar sein als das der staatlichen Gerichte. Andererseits erlaubt diese größere Flexibilität ein maßgeschneidertes Verfahren, das dem Einzelfall ggf. besser gerecht wird.
Die international weitgehend gewährleistete Vollstreckbarkeit der Schiedssprüche ist zudem ein weiterer wesentlicher Vorteil der Schiedsgerichtsbarkeit. Grund hierfür ist das international weit verbreitete New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche: 172 Vertragsstaaten haben sich verpflichtet, ausländische Schiedssprüche in ihrem Hoheitsgebiet zu vollstrecken.
Dieser Aspekt dürfte daher vielfach entscheidend sein, sofern die Parteien nicht ihren Sitz innerhalb der EU, dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) oder der Schweiz haben, wo die EU-Verordnung Nr. 1215/2012 (Brüssel-Ia-VO) bzw. das Luganer Übereinkommen von 2007 die Vollstreckbarkeit der Entscheidung eines deutschen Gerichts sicherstellen. Muss ggf. später aus dem Urteil in anderen Staaten vollstreckt werden, ist die Vollstreckbarkeit von deutschen Gerichtsentscheidungen nicht in gleichem Maße wie bei Schiedssprüchen durch internationales Recht abgesichert – es kommt dann i.d.R. darauf an, ob die „Gegenseitigkeit verbürgt“ ist (d.h., ob sich eine Vollstreckungspraxis herausgebildet hat, wonach wechselseitig Urteile als vollstreckbar akzeptiert werden; das ist eine Frage des Einzelfalls und von Staat zu Staat unterschiedlich).
Abstrakt und allgemein lässt sich nicht sagen, dass Verfahren vor den Commercial Courts Schiedsverfahren unter- oder überlegen sind. Die genannten Aspekte müssen im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden. Gerade dann, wenn beide Parteien in der EU bzw. dem EWR oder der Schweiz ansässig sind, wird sich häufig die Wahl der staatlichen Gerichte in Form der Commercial Courts als eine gute Entscheidung herausstellen.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Einführung der Commercial Courts zur Steigerung der Attraktivität der staatlichen Gerichtsbarkeit beiträgt und teilweise die Vorteile aus staatlicher Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit kombiniert. Die Commercial Courts werden jedoch auch mit ihrem stärker auf Effizienz und Internationalität ausgelegten Ansatz die Schiedsgerichtsbarkeit nicht verdrängen. Sie sind vielmehr eine gute Ergänzung der bislang bereits zur Verfügung stehenden Streitbeilegungsmechanismen.
Sofern man sich für die Wahl der deutschen Gerichte entscheidet, dürfte es mit Blick auf die speziellen Vorteile der Commercial Courts empfehlenswert sein, die bisherigen Gerichtsstandsvereinbarungen in den Verträgen entsprechend zu ergänzen und wegen der Streitwertabhängigkeit der Zuständigkeit gestaffelte Gerichtsstandsvereinbarungen vorzusehen (etwa: grundsätzliche Zuständigkeit der Gerichte am Sitz einer der Parteien; ab Erreichen eines Streitwerts von EUR 500.000 und bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen Zuständigkeit eines bestimmten, genau bezeichneten Commercial Courts).
Oliver Korte
Christopher D. Harten