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    05.09.2023

    Besprechung EuGH-Urteil vom 13. Juli 2023 in der Rechtssache C-106/22 zu den Grenzen der nationalen Vorschriften über Auslandsinvestitionen und zur Anwendung der Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit auf Unternehmen


    Nach Vorlage durch das Hauptstädtische Stuhlgericht in Budapest hatte der Europäische Gerichtshof ("EuGH") über einen durch das zuständige ungarische Ministerium untersagten Erwerb eines ungarischen Zielunternehmens durch eine weitere ungarische Gesellschaft zu entscheiden. Dabei ging der EuGH auf den Anwendungsbereich der Verordnung (EU) 2019/452 vom 19. März 2019 zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Union ("EU-Screening-VO"), sowie auf den Maßstab der Einschränkung der Niederlassungsfreiheit bei einer Investitionskontrolle EU-ansässiger-Gesellschaften ein. 

    1. Der streitgegenständliche Fall 

    Xella Magyarország ("Xella") ist ungarische Herstellerin von Betonbauelementen und ist im 100-prozentigen Eigentum der Xella Baustoffe GmbH – einer deutschen Gesellschaft. In der weiteren Beteiligungskette steht eine in Bermuda ansässige Holding, an deren Ende wiederum ein irischer Staatsbürger steht. Die Xella hatte vor, sämtliche Anteile der ungarischen Gesellschaft Janes és Társa ("Janes") zu erwerben, welche sich mit dem Abbau von Kies, Sand und Ton beschäftigt. Janes hat dabei einen Marktanteil von 0,52% für die Produktion der betreffenden Rohstoffe auf dem ungarischen Markt inne. Nichtsdestotrotz wurde Janes vom zuständigen Ministerium als „strategische Gesellschaft“ eingestuft.

    Nach Mitteilung an das zuständige Ministerium wurde der geplante Erwerb durch ministeriellen Bescheid mit Verweis auf die ungarischen Regelungen zu ausländischen Direktinvestitionen untersagt. Begründet wurde die Untersagung dabei unter anderem mit der Versorgungssicherheit, welche durch die ausländische Investition gefährdet sein könnte. 

    Das ungarische Recht stuft dabei in seinen nationalen Investitionsüberprüfungsvorschriften Xella als "ausländische Investorin" ein, da diese mittelbar im Eigentum und unter mehrheitlichem Einfluss einer unionsfremden Gesellschaft stehe.

    2. Die Fragen

    Sodann ging diese Sache vor das Hauptstädtische Stuhlgericht in Budapest, welches das Verfahren aussetzte und das EuGH um Klärung darüber bat, ob es EU-Mitgliedstaaten möglich sei, den Erwerb von „strategischen inländischen Gesellschaften“ zu verbieten, wenn der unmittelbare Erwerber ebenfalls eine gebietsansässige Gesellschaft ist, allerdings in der Beteiligungsstruktur eine in einem Drittstaat ansässige Gesellschaft mehrheitlich-bestimmenden Einfluss hat.

    3. Die Entscheidung des Gerichts 

    Mithin ging es in der Entscheidung um die Frage, ob die im Raum stehende nationale Vorschrift zur Überprüfung ausländischer Investitionen so weitreichend sein kann, dass diese den Erwerb von Eigentum an gebietsansässigen Gesellschaften durch andere gebietsansässige Gesellschaften, in deren Beteiligungsstruktur eine in einem Drittstaat ansässige Gesellschaft mehrheitlich bestimmenden Einfluss hat, verhindern kann und was in solchen Fällen der Überprüfungsmaßstab ist. 

    3.1 Zur Anwendung der EU-Screening-VO

    Zunächst hat der EuGH entschieden, dass der in Rede stehende Erwerb nicht unter den Anwendungsbereich der EU-Screening-VO fällt. Die Verordnung betrifft lediglich "ausländische Direktinvestitionen", wobei "ausländische Direktinvestitionen" nur solche Investitionen sind, welche auf die dauerhafte und direkte Beteiligung eines ausländischen Investors abzielen. Nicht erfasst sind jedoch "indirekte Eigentumspositionen". Der Anwendungsbereich der EU-Screening-VO ist demnach auf Investitionen beschränkt, welche von ausländischen Unternehmen getätigt werden, also Unternehmen, welche nach dem Recht eines Drittstaats errichtet worden sind. 

    Dies hat zur Folge, dass der durch die FDI-VO geschaffene europäische Kooperationsmechanismus keine Anwendung findet, sofern der unmittelbare Erwerber eine EU-Gesellschaft ist. 

    3.2 Zur Niederlassungsfreiheit

    Der EuGH stellte weiterhin klar, dass beim Beteiligungserwerb der sachliche Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet ist. Gesellschaften, welche nach dem Recht von Mitgliedsstaaten der Union gegründet worden sind und ihren satzungsmäßigen Sitz in der Union haben, sind vom Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit umfasst. Dabei ist die Herkunft der Anteilseigner – unabhängig davon, ob diese natürliche oder juristische Personen sind – irrelevant, sprich, die Zusammensetzung von Eigentümern und Anteilseignern eines innereuropäischen unmittelbaren Investors ist für die Niederlassungsfreiheit irrelevant. 

    Für die Xella stellte der geplante Beteiligungserwerb der Janes einen Niederlassungsvorgang dar. Nach ständiger Rechtsprechung sieht der EuGH einen Niederlassungsvorgang dann als gegeben an, wenn es um eine Beteiligung geht, die dem Inhaber einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft verschafft und ihm ermöglicht, deren Tätigkeiten zu bestimmen (EuGH 23.10.2007, C-112/05). Unabhängig davon, wie dabei das Merkmal "sicherer Einfluss" genau zu verstehen ist, sieht der EuGH einen solchen zumindest beim Erwerb von mehr als einem Viertel der Gesellschaftsanteile (EuGH 10.05.2007, C-492/04). 

    In der Anwendung der nationalen ungarischen Rechtsvorschriften zur Investitionskontrolle auf unmittelbare gebietsansässige EU-Gesellschaften sah das Gericht dabei eine besonders schwerwiegende Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit. 

    Diese Beeinträchtigung müsste sich danach am strengen europarechtlichen Rechtfertigungsmaßstab messen lassen. Neben den sog. "zwingenden Gründen des Allgemeininteresses" ist nach Art. 52 Abs.1 AEUV auch die Einschränkung aus Gründen "der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie zum Schutze der Versorgungssicherheit zur Erfüllung der Grundbedürfnisse der Gesellschaft" möglich. 

    Insbesondere in einem mit der Versorgungssicherheit zusammenhängenden Ziel ist eine Einschränkung allerdings nur dann möglich, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, welche ein Grundinteresse der Bevölkerung des Mitgliedsstaats berührt. 

    Für den zu entscheidenden Fall verneinte das Gericht eine solche tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, da die Janes zum einen nur einen geringen Teil des ungarischen Markts beherrschte und das Gericht zum anderen davon ausgegangen ist, dass der Export der Grundrohstoffe aufgrund der im Vergleich hohen Transportkosten ohnehin nicht im Vordergrund stehe, wodurch die Versorgungssicherheit nicht gefährdet sei. Somit waren in dem Fall die Überlegungen des Ministeriums rein protektionistischer Natur und stellten keine Rechtfertigung der Beeinträchtigung dar. Die Versorgungssicherheit des Bausektors war durch den streitgegenständlichen Erwerb nicht gefährdet. 

    4. Fazit und Folgen 

    An der Entscheidung sind für die Praxis vor allem folgende Punkte von Interesse: 

    Der Anwendungsbereich der EU-Screening-VO erstreckt sich nur auf direkte Investitionen von außerhalb der EU (und EFTA) ansässigen Personen. Sobald eine EU-Gesellschaft unmittelbare Erwerberin ist, ist die EU-Screening-VO sachlich nicht anzuwenden. Dabei spielt die Gesellschafterzusammensetzung der Erwerberin keine Rolle.

    Aufgrund des Urteils könnten innereuropäische Gesellschaftserwerbsvorgänge künftig einfacher ablaufen, da der durch die EU-Screening-VO implementierte EU-Kooperationsmechanismus entfällt. Da dies eine Abkehr von der bislang vorherrschenden Praxis bedeutet, bleibt abzuwarten, wie die jeweils zuständigen nationalen Behörden den EU-Kooperationsmechanismus in Zukunft handhaben werden.

    Das Urteil könnte auch auf die Auslegung des deutschen Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) und der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) ausstrahlen. Denn die Beschränkung des "mittelbaren Erwerbs" durch Unionsfremde aus Gründen der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" muss sich nach dem strengen Maßstab messen lassen, ob eine "tatsächlich und hinreichend schwere Gefährdung [vorliegt], die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt". Unter Beachtung des Anwendungsvorrangs des Europarechts müssen die nationalen Behörden die Vorschriften dahingehend anwenden und eine konkrete Gefährdung darlegen. Allgemeine und abstrakte Überlegungen einer potentiellen Gefährdung sowie "voraussichtlicher Beeinträchtigungen" (wie in der AWV bei der sektorübergreifenden Prüfung vorgesehen) reichen danach wohl nicht mehr aus. 

    Im Umkehrschluss heißt das jedoch nicht, dass man über sog. "Beteiligungsvehikel" die Beteiligungsbeschränkungen ohne weiteres umgehen kann. Vielmehr kommt in solchen Fällen ein sog. Umgehungsgeschäft nach Art. 3 Abs. 6 der EU-Screening-VO in Betracht; daher könnten die nationalen Behörden – sofern das Urteil eine Ausstrahlwirkung auf die Auslegung des AWG und der AWV hat – vermehrt Umgehungsgeschäfte dort sehen, wo die Beteiligungsstruktur des Erwerbers mehrheitlich aus Nicht-EU-Ansässigen besteht und ein "Beteiligungs- bzw. Anlagevehikel" vermutet wird. 

    Im Spannungsfeld zwischen der Investitionsfreiheit einerseits und den nationalen Interessen bezüglich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung andererseits, führt das Urteil die Niederlassungsfreiheit beim Erwerb durch unionsansässige Gesellschaften ins Feld und rückt die Grundfreiheiten, nach denen sich die Investitionskontrolle messen lassen muss, ins Licht. Es bleibt abzuwarten, ob der europäische Gesetzgeber die Anwendbarkeit der EU-Screening-VO auf alle mittelbaren Erwerbe durch Käufer aus Drittstaaten im Lichte dieses Urteils durch eine Änderung der EU-Screening-VO klarstellen wird. 

    Lelu Li

    Dieser Artikel ist zuerst in M&A Review, Ausgabe 10/2023, erschienen.

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