OLG Köln, Urt. v. 2.2.2024 – 19 U 73/23: Unternehmer muss Handelsvertreter EDV-System kostenlos zur Verfügung stellen.
Streitigkeiten zwischen Handelsvertretern und vertreibenden Unternehmen über die Wirksamkeit von vereinbarten Nutzungsentgelten für Arbeitsmittel des Handelsvertreters ist ein "Evergreen" in der Vertriebsrechtspraxis. Das Oberlandesgericht Köln (Urt. v. 02.02.2024 – 19 U 73/23) hat hierzu zuletzt entschieden, dass ein Telekommunikationsunternehmen für das von ihr vorgegebene und bereitgestellte EDV-System kein Nutzungsentgelt vom Handelsvertreter verlangen darf, weil dieses EDV-System insb. für den Abschluss der Kundenverträge im Shop benötigt wird.
Das Urteil des OLG Köln bietet dabei die Gelegenheit, sich einmal näher mit der Pflicht des Unternehmers zur kostenlosen Überlassung von erforderlichen Arbeitsmitteln an seine Handelsvertreter zu beschäftigen.
Im Rahmen unserer Tätigkeit stellen wir in diesem Zusammenhang des Öfteren fest, dass sowohl die Unternehmer als auch ihre Handelsvertreter die Reichweite dieser zwingenden Pflicht sowie die möglichen Konsequenzen unterschätzen. Denn nach § 86a Abs. 1 HGB hat der Unternehmer dem Handelsvertreter die zur Ausübung seiner Tätigkeit erforderlichen "Unterlagen" kostenfrei zur Verfügung zu stellen. „Unterlagen“ bedeutet dabei aber nicht (nur) das, was üblicherweise unter dem Begriff verstanden wird – dazu gleich mehr.
Entgegenstehende Vereinbarungen innerhalb des Handelsvertretervertrags sind unwirksam, § 86a Abs. 3 HGB. Berechnet der Unternehmer gleichwohl eine Gebühr oder Entgelt für erforderliche "Unterlagen", so kann der Handelsvertreter die Zahlung verweigern und bereits geleistete Zahlungen grds. zurückverlangen. Rückforderungsansprüche in fünfstelliger Höhe sind hierbei keine Seltenheit.
Doch wann, sind nun "Unterlagen" dem Handelsvertreter kostenfrei zu überlassen und was ist unter dem Begriff "Unterlagen" zu verstehen?
Der Begriff der "Unterlagen" ist nach der Rechtsprechung weit zu verstehen und geht über die in § 86a Abs. 1 HGB genannten Beispielsfälle ("Muster, Zeichnungen, Preislisten, Werbedrucksachen, Geschäftsbedingungen") weit hinaus. Von dem Begriff der Unterlagen wird nach der Rechtsprechung des BGH alles erfasst, was dem Handelsvertreter zur Ausübung seiner Vermittlungs- oder Abschlusstätigkeit – insbesondere zur Anpreisung der Waren bei dem Kunden – dient und aus der Sphäre des Unternehmers stammt (BGH Urt. v. 04.05.2011 − VIII ZR 11/10). So kann beispielsweise auch eine Vertriebssoftware des Unternehmers "Unterlage" im Sinne des Gesetzes sein.
Ein weiteres Beispiel sind Musterkollektionen im Modevertrieb, die der Handelsvertreter zur Präsentation neuer Kollektionen gegenüber dem Einzelhandel benötigt. Diese Präsentation ist in aller Regel essenzieller Bestandteil des Verkaufsprozesses, da die Kunden zu "Blindbestellungen" regelmäßig nicht bereit sind.
Keine erforderlichen Unterlagen in diesem Sinne sind hingegen z.B. die allgemeine Büroausstattung oder der DSL-Anschluss. Diese stammen nicht aus der Sphäre des Unternehmers und sind allgemeine Aufwendungen des selbstständigen Handelsvertreters.
Wie bereits erwähnt, können auch EDV-Systeme eine erforderliche Unterlage im Sinne des § 86a Abs. 1 HGB sein, was zuletzt das OLG Köln (Urt. v. 02.02.2024 – 19 U 73/23) erneut bestätigte (früher etwa schon: BGH, Urt. v. 04.05.2011 − VIII ZR 11/10; OLG Hamm, Urteil vom 17.06.2016 – 12 U 165/15; OLG Köln, Urteil vom 24.11.2023 – 19 U 146/22).
Das OLG Köln hatte über die Wirksamkeit einer Entgeltvereinbarung für die Nutzung eines vom Telekommunikationsunternehmen zur Verfügung gestellten EDV-System zu entscheiden. Der Handelsvertreter vertrieb u.a. Mobilfunkverträge und war vertraglich vom Unternehmer zur Nutzung des EDV-Systems des Unternehmers gegen Zahlung einer monatlichen Pauschale verpflichtet.
Der nun auf Rückzahlung der geleisteten Nutzungsentgelte (insg. über 40.000 EUR) klagende Handelsvertreter war nach Ansicht des OLG Köln auf die Nutzung der Software des Unternehmens aus mehreren Gründen angewiesen, weshalb die Entgeltvereinbarung unwirksam war. Der Handelsvertreter benötigte das EDV-System u.a. zum Abruf der Kundendaten, Auftragsformulare oder der aktuellen Angebote des Telekommunikationsunternehmers. Zudem mussten neue Kundenverträge in das EDV-System eingepflegt werden, damit der Handelsvertreter seinen Anspruch auf Provision verwirklichen konnte.
In der Folge war der Handelsvertreter nach Auffassung des Gerichts berechtigt, die gezahlte Pauschale vollständig zurückzuverlangen. Zwar erfasste die Pauschale noch weitere Leistungen des Unternehmers (u.a. etwa die Stellung von Mobiliar). Allerdings erachtete das Gericht die gesamte Pauschale für unwirksam, da es sich um eine nicht näher aufgeschlüsselte Standardpauschale handelte.
Der Fall des OLG Köln zeigt, dass Entgeltvereinbarungen mit Handelsvertretern stets rechtlich genau geprüft werden sollten. Zugleich ist es ratsam, Entgeltvereinbarungen für unterschiedliche Leistungen einzeln aufgeschlüsselt zu vereinbaren und von Gesamtpauschalen abzusehen.