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    31.10.2024

    Wachstumsinitiative 2024 – Das müssen Sie dazu wissen


    Nachdem sich die Regierungsfraktionen im Juli 2024 auf unterschiedliche Maßnahmen im Rahmen einer sog. Wachstumsinitiative geeinigt hatten, hat die Bundesregierung nunmehr im September zusammen mit dem Haushalt 2025 eine umfassende Wachstumsinitiative beschlossen. Mit einem Maßnahmenbündel bestehend aus über 130 konkreten Schritten sollen der deutschen Wirtschaft kurzfristig Impulse für eine neue wirtschaftliche Dynamik gegeben werden, um den Wirtschaftsstandort Deutschland und seine Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig stärken. Das Maßnahmenpaket enthält auch unterschiedliche Regelungsvorschläge aus dem Arbeits- und Sozialrecht. Hierzu gehören im Wesentlichen:

    Reduzierung datenschutzrechtlicher Anforderungen 

    Im Rahmen eines erweiterten Bürokratieabbauprogramms sollen u. a. datenschutzrechtliche Anforderungen reduziert und die Anwendung auf europäischer Ebene vereinheitlicht werden. Vereinbart sind hierzu unterschiedliche Einzelmaßnahmen, wie etwa die Erhöhung des Schwellenwerts für die Bestellung eines Datenschutzbeauftragten von derzeit 20 auf 50 Beschäftigte. 

    Änderung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) 

    Die Europäische Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) soll noch in dieser Legislaturperiode durch Änderung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) so „bürokratiearm wie möglich“ umgesetzt werden. Dabei sollen alle Pflichten aus der CSDDD, auch die Regelungen zur zivilrechtlichen Haftung, erst zum spätesten europarechtlich vorgeschriebenen Zeitpunkt verbindlich gelten. 

    Verabschiedung eines Bundestariftreuegesetzes

    Im Zuge einer umfassenden Novellierung des Vergaberechts soll ein Bundestariftreuegesetz geschaffen werden, um Tarifverträge zur Bedingung bei Ausschreibungen zu machen. 

    Steuer- und Beitragsbefreiung für Mehrarbeit

    Zur Förderung von Mehrarbeit sollen hierfür anfallende Zuschläge, die über die tariflich vereinbarte Vollzeitarbeit hinausgehen, steuer- und beitragsfrei gestellt werden. Als Vollzeitarbeit soll dabei für tarifliche Regelungen eine Wochenarbeitszeit von mindestens 34 Stunden, für nicht tariflich festgelegte oder vereinbarte Arbeitszeiten eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden gelten. Zudem sollen Arbeitgeberprämien für die Ausweitung der Arbeitszeit steuerlich begünstigt werden. 

    Abweichungen von der Tageshöchstarbeitszeit durch Tarifvertrag 

    Unternehmen sollen von den derzeit bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit abweichen können, wenn Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen aufgrund von Tarifverträgen dies vorsehen. Die Regelung soll befristet gelten. Zugleich soll bei der Weiterentwicklung des Arbeitsrechts Vertrauensarbeitszeit auch zukünftig möglich bleiben. 

    Überprüfung der aktuellen Sonderregelungen zur telefonischen Krankschreibung 

    Die Sonderregelungen zur telefonischen Krankschreibung durch Arztpraxen sollen überprüft und ggf. im Rahmen einer möglichst bürokratiearmen Lösung angepasst werden. 

    Lockerung des Vorbeschäftigungsverbots i. S. d. § 14 Abs. 2 TzBfG 

    Um Anreize zur Beschäftigung Älterer zu setzen, soll im SGB VI eine Ausnahme vom sog. Vorbeschäftigungsverbot (vgl. § 14 Abs. 2 TzBfG) geregelt werden, wenn der Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Altersrente hat und die sachgrundlose Befristung die Gesamtdauer von acht Jahren oder die Anzahl von zwölf Vertragsbefristungen nicht übersteigt. Zusätzlich sollen im Sozialversicherungsrecht bei Weiterarbeit nach Erreichen der Regelaltersgrenze neue Optionen für die Vergütung zusätzlicher Arbeitsjahre im Rentenalter geschaffen sowie die Möglichkeit eingeführt werden, den Arbeitgeberbeitrag zur Arbeitslosenversicherung und zur Rentenversicherung zu streichen. 

    Erlaubnis für Zeitarbeit von ausländischen Arbeitnehmern

    Die Einwanderung von ausländischen Arbeitnehmern in die Zeitarbeit soll erlaubt werden, sofern ab dem ersten Tag der Beschäftigung der Grundsatz des „equal pay“ befolgt wird und eine Mindestbeschäftigungsdauer von 12 Monaten vereinbart wird. 

    Überarbeitung der Regeln für die betriebliche Altersversorgung 

    Die betriebliche Altersversorgung soll überarbeitet werden, sodass künftig mehr Unternehmen eine bAV anbieten und insbesondere Beschäftigte mit geringem Einkommen gefördert werden können. 

    Erschwerung der erleichterten Regeln zum Bezug von Bürgergeld

    Es sollen die Zumutbarkeitskriterien, die Mitwirkungspflichten der Bezugsberechtigten sowie die Regeln zum Schonvermögen neu justiert werden.

    Bewertung der Maßnahmen

    Vor einer abschließenden Bewertung der angekündigten Maßnahmen bleibt abzuwarten, ob und wie die angekündigten Eckpunkte in Gesetzentwürfe überführt werden. Der soeben erst abgeebbte Streit um das Bürokratieentlastungsgesetz IV belegt, dass die "Ampelkoalition" auch verabredete Punkte wieder in Frage stellt und in der Sache durchaus sinnvolle Maßnahmen hierdurch verhindert oder zumindest erheblich verzögert werden.

    Darüber hinaus sieht sich die Initiative einem Vorwurf ausgesetzt, der insbesondere von der Opposition nachvollziehbar bereits gegenüber dem Bürokratieentlastungsgesetz erhoben wurde. Die nicht zuletzt auch von der Wirtschaft geforderte Entbürokratisierung, d.h. die Vereinfachung von Verfahren und der Abbau administrativer Verpflichtungen kann tatsächlich nicht gelingen, wenn ständig neue Fachgesetze den "Wildwuchs" an Regularien wieder befeuern. So soll mit dem Bundestariftreuegesetz der weiter sinkenden Tarifbindung entgegengewirkt werden. Ungeachtet der Frage, ob dem Gesetzgeber die Verfolgung dieses Zwecks gebührt, bestehen bereits offenkundige Vorbehalte gegen die Sinnhaftigkeit des Gesetzes. Die längst bestehenden Vergabe- und Tariftreuegesetze (teilweise mit Bindung an Allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge, wie z.B. in NRW) haben die schwindende Tarifbindung in Deutschland nicht aufhalten können. Weshalb nunmehr das Bundestariftreuegesetz gleichwohl die erstrebte Trendwende herbeiführen soll, wird aus dem Papier der Bundesregierung nicht deutlich. Der administrative Aufwand für Unternehmen bei der Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen wird jedenfalls steigen, die avisierte Bürokratieentlastung somit konterkariert.

    Dr. Andreas Imping