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    01.11.2021

    Vollständigkeitsklauseln im Mietvertrag - Keine unwiderlegbare Vermutung für das Nichtbestehen mündlicher Abreden


    Es hat einen Mehrwert, eine Vollständigkeitsklausel in den Mietvertrag mit aufzunehmen. In der anwaltlichen Beratung ist stets zu berücksichtigen, dass trotz Vollständigkeitsklausel im Vertrag erfolgreich der Gegenbeweis geführt werden kann.

     

    BGH, Urteil vom 03.03.2021 - XII ZR 92/19

     

    Sachverhalt

     

    Die Beklagte mietete von der Klägerin Räume zum Betrieb einer Tagespflegeeinrichtung. Von Beginn des Mietverhältnisses an zahlte die Beklagte nur eine geminderte Miete. Gegen die Zahlungsklage der Klägerin verteidigte sich die Beklagte mit dem Einwand, dass der Mietgegenstand mangelhaft sei. Sie bot Beweise für den Umstand an, dass sich die Klägerin ihr gegenüber vorvertraglich verpflichtet habe, die Fenster des Mietgegenstandes zusätzlich zu verglasen. Der Verpflichtung sei die Klägerin nicht nachgekommen.

    Der Mietvertrag enthielt keine Regelungen zum Zustand der Fenster. Es fand sich im Mietvertrage jedoch eine Vollständigkeitsklausel, wonach die Parteien bestätigten, dass mündliche Nebenabreden zum Mietvertrag nicht bestehen („Mündliche Nebenabreden zu diesem Vertrag bestehen nicht.“).

     

    Entscheidung

     

    Die Vorinstanzen (LG Chemnitz, OLG Dresden) haben die Beklagte zur Zahlung rückständiger Miete verurteilt und wesentlich auf die Vollständigkeitsklausel im Mietvertrag Bezug genommen. Die Beklagte selbst, so die Richter, habe mit ihrer Unterschrift unter den Mietvertrag und unter die Vollständigkeitsklausel bestätigt, dass mündliche Nebenabreden nicht bestehen. Der Beweis des Gegenteils, so die Richter, könne folglich nicht geführt werden.

    Der Bundesgerichtshof (BGH) hat der Auffassung der Vorinstanzen widersprochen. Nach Auffassung der Karlsruher Richter begründen Vollständigkeitsklauseln („Mündliche Nebenabreden bestehen nicht“, „Mündliche Nebenabreden wurden nicht getroffen“, „Mündliche Nebenabreden existieren nicht“) immer nur widerlegbare, keinesfalls aber unwiderlegbare Vermutungen der Vollständigkeit und Richtigkeit der Urkunde. Der Beweis des Gegenteils könne folglich immer geführt werden. Es liege, so die Richter, dann an der jeweiligen Partei, die für sie günstigen Umstände darzulegen und unter Beweis zu stellen.

    Auch der Beklagten, so die Richter, habe es folglich freigestanden, ihre vorvertraglichen Absprachen mit der Klägerin darzulegen und deren Fortgeltung bei Vertragsschluss zu beweisen. Die Instanzgerichte hätten den von der Beklagten angebotenen Beweisen daher nachgehen müssen.

     

    Kommentierung und Ausblick

     

    Bei der Frage um Inhalt und Reichweite von Vollständigkeitsklauseln ist zu berücksichtigen, dass der Vertragsurkunde für sich genommen (ohne Vollständigkeitsklausel) bereits die widerlegbare Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit zukommt. Dennoch hat es einen Mehrwert, eine Vollständigkeitsklausel in den Vertrag mit aufzunehmen. Denn die Bestätigung, dass der Vertrag vollständig und richtig ist, dient den Vertragsparteien immer auch dem Abgleich von schriftlichem Vertrag und mündlichen Absprachen, insbesondere im Zeitraum der Vertragsanbahnung. Damit bietet die Vollständigkeitsklausel die Chance, fehlende oder unvollständige Vertragsregelungen zu ergänzen und Widersprüche im Vertragswerk aufzudecken.

    In der anwaltlichen Beratung ist stets zu berücksichtigen, dass trotz Vollständigkeitsklausel im Vertrag erfolgreich der Gegenbeweis geführt werden kann.

     

    Lena Cebulla