Amtsgericht Dachau, Urteil vom 10. 05. 2024 – 4 C 240/22
Der Vermieter hat einen Wohnraummietvertrag gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB gekündigt. Die Kündigung hat er damit begründet, dass er den Verkauf der Immobilie anstrebe und durch das bestehende Mietverhältnis an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung der Immobilie gehindert sei. Im gerichtlichen Verfahren hat er schlüssig dargelegt, dass der Verkauf der vermieteten Immobilie im Vergleich zum Verkauf der Immobilie in unvermietetem Zustand zu einem erheblichen Kaufpreisabschlag führen würde. Das Gericht holte im Verfahren Sachverständigengutachten ein, aus denen sich ergab, dass der Verkehrswert der vermieteten Immobilie 26,77 Prozent unter dem Verkehrswert der Immobilie im unvermieteten Zustand liegt.
Das Amtsgericht Dachau hat entschieden, dass der Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung gehindert sei, dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde und deshalb berechtigt gewesen sei, den Mietvertrag gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB ordentlich zu kündigen.
Das Gericht stellt in seiner Urteilsbegründung darauf ab, dass ein erheblicher Nachteil für den Vermieter im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB, der zu einer ordentlichen Kündigung berechtigt, immer dann vorliege, wenn die Differenz zwischen dem Verkehrswert der unvermieteten Immobilie und dem Verkehrswert der vermieteten Immobilie die Erheblichkeitsgrenze von 15 bis 20 Prozent überschreite.
Zwar sei der erhebliche Nachteil immer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu prüfen, insbesondere sei wegen der Sozialbindung des Wohnungseigentums auch der dem Mieter durch den Verlust der Wohnung entstehende Nachteil zu berücksichtigen und gegen das Interesse des Vermieters an der Erzielung eines wirtschaftlich guten Kaufpreises abzuwägen. Bei Überschreiten der vom Amtsgericht Dachau postulierten Erheblichkeitsgrenze überwiege insoweit aber das Interesse des Vermieters.
Zudem komme es, jedenfalls sobald die Schwelle von 20 Prozent überschritten sei, auf die konkreten wirtschaftlichen Verhältnisse des Vermieters nicht an, da der beim Verkauf der vermieteten Immobilie entstehende Nachteil für den vermögenden Vermieter – bezogen auf die konkrete Immobilie, und nur hierauf komme es an – nicht geringer ausfalle als für den wirtschaftlich schwächeren Vermieter.
Die Verwertungskündigung des Vermieters gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB spielte in den letzten Jahren eine allenfalls untergeordnete Rolle. Obwohl es offenkundig ist, dass eine nicht vermietete Immobilie zu einem höheren Kaufpreis veräußert werden kann als eine vermietete, haben nur sehr wenige Vermieter vor der Veräußerung ihrer Immobilien Verwertungskündigungen ausgesprochen.
Dies hat einen einfachen Grund: der Ausspruch einer Verwertungskündigung war für Vermieter mit einem großen Risiko behaftet. Obwohl die Vorschrift des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB seit vielen Jahren im BGB verankert ist, gab es bislang keine einheitliche Rechtsprechung zu der für die Wirksamkeit einer Kündigung stets entscheidenden Frage, wie groß die Differenz zwischen dem Verkehrswert der unvermieteten Immobilie und dem Verkehrswert der vermieteten Immobilie sein muss, damit eine Verwertungskündigung wirksam ist. Vermieter sind in der Vergangenheit nicht selten selbst dann mit ihrer Verwertungskündigung gescheitert, wenn die Differenz über 40 Prozent betrug.
Indem das Amtsgericht Dachau diese Grenze zu Gunsten der Vermieter nun bei 15 bis 20 Prozent verortet, öffnet es Vermietern die Tür, im Verkaufsprozess ernsthaft über eine Verwertungskündigung nachzudenken. Denn diese Schwelle dürfte in guten Lagen und bei unrentablen Mietverhältnissen recht häufig erreicht werden.
Auch wenn es sich lediglich um die Entscheidung eines Amtsgerichts handelt und die Rechtspraxis noch weit von einer gefestigten ober- oder gar höchstrichterlichen Entscheidung entfernt ist, dürfte das Urteil vom 10. 05. 2024 nicht wenige Vermieter, die ihre Immobilie veräußern möchten, aufhorchen lassen. Das Urteil wird bereits in der juristischen Fachliteratur diskutiert, die ihm das Potenzial bescheinigt, die Verwertungskündigung aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken.
Ein Selbstläufer ist eine Verwertungskündigung freilich nicht. Der Vermieter trägt zum einen die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Erheblichkeitsschwelle überschritten ist, wozu es mindestens eines Verkehrswertgutachtens bedarf. Zum anderen ist nicht geklärt, wie etwa der Umstand zu berücksichtigen wäre, wenn der Vermieter die Immobilie bereits vermietet zu einem günstigen Kaufpreis erworben hat. Wenn der Vermieter die Immobilie beispielsweise mit dem nun zu kündigenden und möglicherweise unrentablen Mietvertrag erworben und deshalb selbst einen eher geringen Kaufpreis gezahlt hat, dürfte dies bei der Bewertung der Wirksamkeit einer Verwertungskündigung ebenfalls zu berücksichtigen sein. Allerdings dürfte dies der Ausnahmefall sein – die meisten verkaufswilligen Vermieter sollten jedenfalls die Zulässigkeit einer Verwertungskündigung aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Dachau nun konkret prüfen.