Während einige Dax-Konzerne noch damit befasst sind, einen klaren Arbeitszweck zu finden (Handelsblatt v. 18.04.2019 – "Die Frage nach dem Warum: Was unserer Arbeit Bedeutung verleiht") und die unter dem englischen Begriff "Purpose" bekannte Gemeinwohlorientierung wieder in Mode kommt (FAZ v. 11.02.2019 – Timo Meynhardt, "Purpose – mehr als eine Managermode?"), sind viele Start-ups bereits bei der Gründung oder im frühen Stadium entschlossen, sogenanntes Verantwortungseigentum zu vereinbaren und rechtlich abzusichern.
Doch was bedeutet Verantwortungseigentum?
Kurz gefasst gehören Unternehmen sich selbst bzw. haben Verantwortungseigentümerstrukturen, wenn sie rechtlich bindend sichergestellt haben, dass (1) eigenständige Verantwortungseigentümer die volle Verantwortung für das Unternehmen tragen, und (2) nur solche Personen Eigentümer werden, die sich dem Zweck des Unternehmens verbunden fühlen und nicht ausschließlich durch monetäre Anreize motiviert sind.
Dem liegen zwei Grundsätze zugrunde:
Das Selbstbestimmungsprinzip
Entscheidungen werden im Unternehmen von Menschen getroffen und ausgeführt, die aktiv im Unternehmen tätig sind, und nicht von fernen Investoren oder Shareholdern. Die Mehrheit der Stimmrechte – also die Steuerung der Erfüllung des Zwecks des Unternehmens – liegt in den Händen der Verantwortlichen; damit ist das Unternehmen selbstbestimmt. Die Verantwortungseigentümer übernehmen die unternehmerische Verantwortung für das Handeln, die Werte und das Vermächtnis des Unternehmens. Das Eigentum an den Stimmrechten kann nicht weitervererbt oder frei verkauft werden, sondern kann nur an solche Menschen übertragen werden, die direkt mit dem Zweck des Unternehmens verbunden sind. Unternehmen können also nicht als Spekulationsgut behandelt und meistbietend verkauft werden. Wichtig dabei ist, dass Stimm- und Gewinnrechte grundsätzlich voneinander getrennt sind, um sicherzustellen, dass ökonomische Interessen nicht die Entscheidungsfindung dominieren.
Das Sinnprinzip
Außerdem ermöglicht Verantwortungseigentum, dass alle im Unternehmen die Gewinne als Mittel zum Zweck und nicht als Selbstzweck sehen können. Gewinne werden hauptsächlich reinvestiert, zur Rückzahlung von Investoren und zur Zahlung von Gehältern genutzt oder gespendet.
Welche Motivation haben Gründer, die sich für das Verantwortungseigentum entschließen?
Es hat sich hier ein ganzes Bündel an Motivationen herauskristallisiert:
Das Ziel der Einrichtung einer Verantwortungseigentumsstruktur ist die Verankerung der Sinn- und Werteorientierung in den Strukturen des Unternehmens. Es ermöglicht Generationen von treuhänderischen Eigentümern, die Unternehmensidee zu verwirklichen, dabei den Werten des Unternehmens treu zu bleiben und diese weiter zu entwickeln. Die berechtigte Hoffnung ist, dass das Unternehmen in Verantwortungseigentum auf lange Sicht wirtschaftlich erfolgreicher ist.
Wie können die oben dargestellten Ziele rechtlich bindend abgesichert werden?
Es gibt hier verschiedene Modelle. Im deutschsprachigen Raum haben sich vor allem drei Typen entwickelt: (i) Das Veto-Anteil-Modell, (ii) das Einzelstiftungsmodell und (iii) das Doppelstiftungsmodell.
Da die Gründung einer eigenen Stiftung für ein Start-up in der Regel nicht in Frage kommt, bietet sich hier vor allem das Veto-Anteil Modell an:
Das Veto-Anteil Modell zeichnet aus, dass die gesellschaftsrechtliche Struktur eines Unternehmens relativ schlank bleiben kann. Die Fixierung des Verantwortungseigentums wird durch einen "Golden Share" gewährleistet.
In Unternehmen nach dem Veto-Anteil Modell werden drei Klassen von Geschäftsanteilen gebildet:
A-Anteile ("Treuhänderanteile")
Diese Anteile werden von denjenigen Menschen gehalten, die im Unternehmen arbeiten. Sie sind mit Stimmrechten ausgestattet.
Die Anteile sind weder verkehrsgängig, noch können sie vererbt werden. Wie die Geschäftsanteile weitergegeben werden können, wird in der Satzung geregelt. Beispielsweise können die scheidenden Treuhänder Nachfolger vorschlagen, werden Nachfolgegremien gebildet oder obliegt diese Entscheidung den Mitarbeitern.
B-Anteile
Diese Anteile werden von Investoren, gemeinnützigen Organisationen, Mitarbeitern oder Gründern gehalten und gewähren Dividendenrechte ohne Stimmrechte. Die Dividendenrechte sind dann gedeckelt, wenn sie von im Unternehmen beschäftigten Personen gehalten werden, um Interessenkonflikte zu vermeiden. In jedem Fall ist es ratsam, ein Rückkaufrecht zu regeln für den Fall, dass sich die Liquiditätssituation bessert.
Veto-Anteil ("Golden Share")
Das Halten dieser Anteile erlaubt es, jeglicher Entscheidung zu widersprechen, die sich gegen die Prinzipien von Verantwortungseigentum richten, zu denen sich das Unternehmen zuvor verpflichtet hat. Dabei muss bei dem Entwurf der Satzung und der Gesellschaftervereinbarung sorgfältig geprüft und sichergestellt werden, dass sich das auferlegte Korsett nicht in der Zukunft als zu sperrig herausstellt.
Der Anteil wird von einer "Veto-Dienstleister"-Stiftung gehalten. Die Stiftung muss seinerseits bestimmte Anforderungen erfüllen, um für diesen Zweck in Frage zu kommen.
Die Verankerung des Verantwortungseigentums in der rechtlichen Struktur eines Start-ups wird zunehmend attraktiv und angefragt. Zwar hat sich mit dem Veto-Anteil-Modell eine vergleichsweise einfach umzusetzende Struktur entwickelt. Allerdings wurden bereits in mehreren europäischen Ländern eigene Rechtsformen gegründet, die dem Sinn und Zweck des Verantwortungseigentums noch besser gerecht werden. Die Purpose-Stiftung hat für Deutschland bereits einen konkreten Vorschlag gemacht. Es wäre zu begrüßen, wenn sich der deutsche Gesetzgeber dieser Entwicklung zeitnah widmen würde, um keinen Wettbewerbsnachteil zu riskieren.
(Rechtsanwalt)