OLG Stuttgart, Urteil vom 25. April .2024 - 13 U 97/23; BGH, Beschluss vom 15. Januar 2025 - VII ZR 94/24 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)
Sicherheiten in Bauverträgen werden für Auftraggeber immer mehr zur Herausforderung. Während den Risiken der Vorleistungspflicht von Auftragnehmern bereits durch gesetzliche Regelungen Rechnung getragen wird (z.B. durch Sicherheiten nach § 650e und § 650f BGB), gehen gewerbliche Auftraggeber insoweit leer aus. Sicherheiten, die ihr Interesse an einer vertragsgemäßen Leistung schützen, sieht das Bauvertragsrecht nicht vor. Folge: Die Absicherung der Vertrags-erfüllungs- und Mängelansprüche muss auf vertraglicher Ebene erfolgen.
Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an die wirksame vertragliche Vereinbarung solcher Sicherheiten stellt, werden allerdings immer höher. Dadurch scheitert in der Praxis die Geltendmachung der Ansprüche von Auftraggebern gegen Sicherungsgeber (also Bürgen) nicht selten an der Unwirksamkeit der zugrundeliegenden Sicherungsabreden. Bei diesen handelt es sich in aller Regel um Allgemeine Geschäftsbedingungen, weshalb sie der strengen gerichtlichen Inhaltskontrolle unterliegen.
Wie schnell es dadurch passieren kann, dass eine auf den ersten Blick wirksame Sicherungsabrede in Kombination mit anderen vertraglichen Regelungen vor Gericht als unwirksam erachtet wird, zeigt erneut ein nach Zurückweisung der Zulassungsbeschwerde durch den BGH nun rechtskräftiges Urteil des OLG Stuttgart vom 25. April 2024
(Az. 13 U 97/23; BGH, Beschluss vom 15. Januar 2025 –
Az. VII ZR 94/24 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen).
In dem Urteil hatte das OLG Stuttgart über die Wirksamkeit der Sicherungsabrede eines Bauvertrags zu entscheiden. Hintergrund war, dass der Auftraggeber nach Insolvenz des Auftragnehmers dessen Bürgen aus mehreren Vertragserfüllungsbürgschaften in Anspruch genommen hatte. Die Bürgen verweigerten die Erfüllung ihrer Pflichten aus der Vertragserfüllungsbürgschaft jedoch und verwiesen auf die Unwirksamkeit der vertraglichen Sicherungsabrede.
Im streitgegenständlichen Bauvertrag war unter § 13 vereinbart, dass der Auftragnehmer sowohl eine Vertragserfüllungssicherheit als auch eine Sicherheit für Mängelansprüche zu stellen hatte. Dabei sollte die Vertragserfüllungssicherheit neben Erfüllungsansprüchen auch "Mängelansprüche einschließlich bei Abnahme vorbehaltener Mängel" besichern. Die Rückgabe dieser Sicherheit an den Auftragnehmer sollte erst "nach Abnahme seiner Leistung, Vorlage einer prüffähigen Schlussrechnung sowie Gestellung der Sicherheit für Mängelansprüche" erfolgen. Zudem sah § 13 vor, dass der Auftragnehmer für bei Abnahme festgestellte Mängel und für offene Leistungen wahlweise entweder eine neue "Teilerfüllungssicherheit" verlangen oder die Rückgabe der bereits gestellten Vertragserfüllungssicherheit in entsprechender Höhe verweigern konnte. Darüber hinaus regelte § 11 des Bauvertrags zur – für die Rückgabe der Vertragserfüllungssicherheit mitentscheidenden – Abnahme: "Mit dem Abnahmeverlangen hat der AN dem AG folgende Unterlagen zu übergeben: […] Die Übergabe der Unterlagen ist Abnahmevoraussetzung […]".
Die Bürgen argumentierten, bei der Sicherungsabrede in § 13 handle es sich um vom Auftraggeber gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen, die der Inhaltskontrolle unterlägen. Die von § 13 umfasste Regelung, die dem Auftraggeber die Vertragserfüllungssicherheit einräume, sei daher unwirksam. Sie führe im Zusammenwirken mit anderen vertraglichen Regelungen zu einer Übersicherung und benachteilige den Auftragnehmer i.S.d. § 307 BGB unangemessen.
Das OLG Stuttgart bestätigt diese Ansicht: Sowohl die auf 5 % des Bruttovertragspreises vereinbarte Vertragserfüllungssicherheit als auch die auf 5 % der Brutto-Abrechnungssumme vereinbarte Sicherheit für Mängelansprüche besichere dem Wortlaut nach die nach Abnahme bestehenden Mängelansprüche des Auftraggebers. Mit Blick auf diese Mängelansprüche sei daher nach der "kundenfeindlichste[n]" Auslegung der vertraglichen Regelungen die Möglichkeit einer Überschneidung der Sicherheiten gegeben. Die Höhe der Sicherheit für die Mängelansprüche könne dadurch für ungewisse, nicht unerhebliche Zeit nach Eintritt der Abnahmereife das nach der Rechtsprechung zulässige Höchstmaß von
5 % der Auftragssumme überschreiten.
Bemerkenswert ist diese Feststellung vor allem, da das Gericht die Unwirksamkeit der Sicherungsabrede für die Vertragserfüllungssicherheit auch auf Regelungen des streitgegenständlichen Vertrags stützte, die in vielen anderen Bauverträgen zu finden sind, im Zusammenhang mit Sicherheiten aber regelmäßig keine größere Beachtung finden.
Zum einen sei "nicht unproblematisch", dass der Vertrag nicht erkennen lasse, ob es sich bei den nach § 11 des Vertrags als Abnahmevoraussetzung zu übergebenden Unterlagen um wesentliche oder unwesentliche Leistungen handle. Dadurch bestehe die Gefahr, dass das Fehlen von (möglicherweise) nur unwesentlichen Unterlagen bzw. Leistungen die Abnahme herauszögere. Da die Rückgabe der Vertragserfüllungsbürgschaft ihrerseits die Abnahme voraussetze, könne dies dazu führen, dass dem Auftraggeber zur Absicherung seiner Mängelansprüche für einen ungewissen, nicht unerheblichen Zeitraum parallel sowohl die Vertragserfüllungssicherheit als auch die Sicherheit für Mängelrechte zur Verfügung stünden. Zwar ließ das Gericht in dem Urteil nicht erkennen, warum es bereits vor der – ggf. herausgezögerten – Abnahme von einer Pflicht des Auftraggebers zur Übergabe der Sicherheit für Mängelansprüche ausging. Offen ist somit auch, wie genau es nach Ansicht des Gerichts zum problematischen parallelen Bestehen der beiden Sicherheiten kommen könnte.
Zusätzlich bemängelte das Gericht allerdings, dass die Rückgabe der Vertragserfüllungssicherheit gem. § 13 an die Vorlage einer "prüffähigen" Schlussrechnung geknüpft sei. Streitigkeiten über die Prüffähigkeit könnten sich unter Umständen länger hinziehen. Auch hierdurch sei für einen ungewissen, nicht unerheblichen Zeitraum das parallele Bestehen der Vertragserfüllungssicherheit einerseits und der Sicherheit für Mängelansprüche andererseits möglich. Dies könne ebenfalls eine Übersicherung der Mängelansprüche ergeben.
Darüber hinaus erläuterte das Gericht, dass sich die unangemessene Benachteiligung auch durch diejenigen Regelungen in § 13 des Vertrags ergebe, die dem Auftraggeber für bei Abnahme festgestellte Mängel und für zu diesem Zeitpunkt noch offene Leistungen (weiterhin) eine Vertragserfüllungssicherheit einräume. Der Auftraggeber habe ein Wahlrecht, in entsprechender Höhe die Rückgabe der Vertragserfüllungsbürgschaft zu verweigern (statt eine neue "Teilerfüllungssicherheit" zu stellen). Auch durch diese Verweigerung könne für einen ungewissen, nicht unerheblichen Zeitraum eine Überschneidung der Sicherheiten eintreten und dadurch eine Sicherung der Mängelansprüche bestehen, die das zulässige Maß überschreite.
Die Regelung, die dem Auftraggeber einen Anspruch auf die streitgegenständlichen Vertragserfüllungssicherheiten bzw. -bürgschaften einräumte, hielt das Gericht daher "in der Gesamtschau", also im Zusammenspiel den vertraglichen Regelungen in den §§ 11 und 13 des Vertrags, wegen unangemessener Benachteiligung des Auftragnehmers für unwirksam.
Auftraggeber sind gut beraten, bereits bei der Vertragsgestaltung großen Wert auf die sorgfältige Gestaltung der Sicherungsabrede zu legen. Dabei empfiehlt es sich nicht nur, die aktuellen Entwicklungen der Rechtsprechung im Blick zu haben und sich nicht auf "altbewährte" Vertragsmuster zu verlassen. Vielmehr sollte der Vertrag als Ganzes betrachtet werden. Das Urteil des OLG Stuttgart zeigt, dass sich unangemessene Benachteiligungen auch aus dem Zusammenspiel mehrerer Regelungen eines Vertrags ergeben können. So sprach auch das OLG Stuttgart davon, dass es die Sicherungsabrede "in der Gesamtschau" unter anderem wegen der im Vertrag formulierten Abnahmevoraus-setzungen (Vorlage von Unterlagen) für unwirksam hielt, die bei einer Prüfung der Sicherungsabrede möglicherweise nicht direkt in den Fokus geraten. Eine wegen solcher Wechselwirkungen unwirksame Sicherungsabrede bietet dem Auftraggeber nur scheinbare Sicherheit: Der Sicherungsgeber kann sich auf die Unwirksamkeit berufen und die Zahlung im Sicherungsfall verweigern.
Julian Gruß