Per Klick zum Arbeitnehmer? – Arbeitgeber aufgepasst bei Crowdwork-Angeboten
München/Erfurt, 30. November 2020 – Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entscheidet am Dienstag, den 1. Dezember 2020 darüber, ob wenige Klicks in einer App, in der kleinere Aufträge angeboten werden, ein Arbeitsverhältnis entstehen lassen können. Die Auftragnehmer würden damit all die Privilegien genießen, die der Status „Arbeitnehmer“ bietet: Erholungsurlaub, Kündigungsschutz und im vorliegenden Fall Weiterbeschäftigung in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis (9 AZR 102/20).
Die Beklagte bot über eine Website und über eine App diverse Aufträge ihrer Kunden an eine Vielzahl von Auftragnehmern, der Crowd, an. Der Kläger registrierte sich über die App als Crowdworker und schloss hierzu eine Basisvereinbarung mit der Beklagten ab, die ihn berechtigte, Aufträge innerhalb eines Radius von 50 km anzunehmen und innerhalb eines Zeitfensters von zwei Stunden abzuarbeiten. Im Rahmen dieser Vereinbarung führte er einzelne Aufträge wie Kontrollen der Warenpräsentation im Einzelhandel und in Tankstellen durch. Dabei bestand weder eine Verpflichtung zu Angeboten durch die Beklagte, noch zu Annahmen durch den Kläger. Nach einjähriger Zusammenarbeit kündigte die Beklagte die Basisvereinbarung per E-Mail. Dagegen klagte der Crowdworker – er sei nach Abschluss der Basisvereinbarung „Arbeitnehmer" geworden, habe seinen Lebensunterhalt zu großen Teilen über diese Einnahmequelle erzielt und genieße den Schutz und die Privilegien, die ein solcher Status mit sich bringe: Er klagt auf Vergütung, Urlaubsgewährung und Weiterbeschäftigung.
Die Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht München, entschied: Um Arbeitnehmer zu sein, braucht es ein Arbeitsverhältnis und das sei jedenfalls nicht durch die Basisvereinbarung zustande gekommen. Die wirtschaftliche Abhängigkeit des Klägers reiche zur Bejahung eines Arbeitsverhältnisses nicht aus. Es fehle hier an der gesetzlich ausdrücklich normierten „persönlichen Abhängigkeit“ hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt der Leistungserbringung. Offen blieb, ob durch Anklicken eines einzelnen, zeitgebundenen Auftrags, ein befristetes Arbeitsverhältnis zustande kommen konnte.
„Das Urteil könnte folgenschwer für Arbeitgeber sein, die per App oder über Websites kleine Aufträge anbieten, wenn das BAG das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses annimmt. Denn dann müssten Arbeitgeber fürchten, bei jedem angenommenen Auftrag, also bei jedem Klick in ihrer App, einen Arbeitsvertrag abzuschließen – mit allen Konsequenzen“, sagt Dr. Thomas Drosdeck, Rechtsanwalt bei der internationalen Wirtschaftskanzlei BEITEN BURKHARDT und Leiter des Arbeitsrechtsteams am Standort Frankfurt. „Es wird darauf ankommen, wie das BAG die indirekten Instrumente zur Disziplinierung der Microtasker einordnet und in dem Zusammenhang die Merkmale 'Fremdbestimmung' und 'Weisungsbindung' des in § 611a BGB kodifizierten Arbeitnehmerbegriffs versteht. Die höchstrichterliche Rechtsprechung in Frankreich sieht den Druck, den die Beurteilung der Performance jedes einzelnen Arbeitsauftrags mit sich bringt, dass bei Minderleistung das Risiko besteht, von Folgeverträgen abgeschnitten zu werden, als so fremdsteuernd an, dass sie für Frankreich bei Crowdworkern zu einem Arbeitsverhältnis kommt. Das LAG München hatte dies anders gesehen. Es ist daher spannend, wie das BAG sich angesichts der international differenzierten Betrachtungsweise entscheiden wird“, so Drosdeck.
Dr. Thomas Drosdeck steht für weitere Informationen, Stellungnahmen und Gastbeiträge gerne zur Verfügung.
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