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    12.10.2020

    Ist der „Nette“ der Dumme? – Vorsicht bei der Anreise zu Schulungen vor Dienstantritt

    Pressemitteilungen

    München, 13. Oktober 2020 – Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat morgen, am 14. Oktober 2020, in einen Fall zu entscheiden, bei dem der Arbeitgeber einem neuen Mitarbeiter gestattet hatte, zu einer Schulung am ersten Arbeitstag bereits am Vortag anzureisen. Die Vorinstanz (Landesarbeitsgericht Düsseldorf) sah dies als einvernehmlich vorverlagerten Beginn des Arbeitsverhältnisses an – mit gravierenden Folgen für den Arbeitgeber. Denn das Arbeitsverhältnis war zunächst auf ein halbes Jahr befristet und wurde nach Ablauf dieser Befristung genau auf die maximal gesetzlich zulässige Gesamtdauer von zwei Jahren verlängert, die bei sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnissen gilt. Dadurch sei diese Maximaldauer um einen Tag überschritten worden mit der Folge, dass die Befristungsabrede unwirksam sei und ein unbefristetes Arbeitsverhältnis vorliege – mit vollem Kündigungs-schutz für den Arbeitnehmer (Az.: 7 AZR 375/19).


    Der in Düsseldorf wohnhafte Arbeitnehmer hatte sich auf eine Ausschreibung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in der Außenstelle Düsseldorf als "Anhörer" beworben. Vor Beginn seiner Tätigkeit sollte er ab dem 5. September 2016, 9:00 Uhr, für die Dauer von drei Wochen in Nürnberg geschult werden. Der Arbeitgeber unterzeichnete den Arbeitsvertrag, der eine Einstellung zum 5. September 2016 vorsah. Im Nachgang teilte er dem (schwerbehinderten) Mitarbeiter auf dessen Anfrage hin mit, dass er mit einer Anreise am Vortag (Sonntag) sowie der Übernahme der Hotelkosten für die Übernachtung auf den 5. September 2016 einverstanden sei. Danach unterzeichnete auch der Mitarbeiter den Vertrag, allerdings nach wie vor mit Arbeitsbeginn am 5. September. Später verlängerten die Parteien das zunächst auf ein halbes Jahr befristete Arbeitsverhältnis auf zwei Jahre. Das Arbeitsverhältnis wurde vom Arbeitgeber nach Ablauf der zwei Jahre nicht fortgesetzt, der Arbeitnehmer jedoch wollte weiterarbeiten und klagte.

     

    Der Arbeitnehmer hält die Befristung für unwirksam, weil sie den maximalen Zeitraum von zwei Jahren überschreite. Das Arbeitsverhältnis habe wegen der notwendigen Anreise zur Schulung am 4. September 2016 bereits an diesem Tag begonnen. Es habe sich um eine Dienstreise gehandelt, die Arbeitszeit bedeute. Eine Befristung bis zum 4. September 2018

    überschreite daher die maximal zulässige Höchstbefristungsdauer um einen Tag. Der Arbeitgeber meint demgegenüber, die Anreise habe das Arbeitsverhältnis nicht bereits am 4. September 2016 in Vollzug gesetzt.


    "Die Entscheidung des BAG hat sehr wahrscheinlich nicht nur für Befristungsfälle Bedeutung, sondern auch für andere typische Konstellationen zu Beginn eines Arbeitsverhältnisses", meint Markus Künzel, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der internationalen Wirtschaftskanzlei BEITEN BURKHARDT: "Schulungen bei Dienstantritt sind weit verbreitet, genauso wie zum Beispiel die Vereinbarung einer Probezeit. Nicht selten kommt es vor, dass am letzten Tag einer Probezeit gekündigt wird. Sollte das BAG entscheiden, dass die Anreise am Vortag den Beginn eines Arbeitsverhältnisses vorverlagert und dann erst am letzten den Tag der Probezeit gekündigt würde, wäre diese Kündigung nicht mehr rechtzeitig während der Probezeit erklärt worden. Der Arbeitnehmer hätte dann Kündigungsschutz, die Kündigung ist in der Regel unwirksam."

     

    Zum Ausgang des Verfahrens meint der Anwalt: "Man kann in diesem Fall vertreten, dass die Anreise zur Schulung am Vortag eine vorbereitende Maßnahme zur Aufnahme der Tätigkeit war, letztendlich der Weg von der Wohnung zum Arbeitsplatz, der nicht Teil der Tätigkeit im Rahmen des Arbeitsverhältnisses ist. Daher ist die Anreise nicht zum maximal möglichen Zwei-Jahreszeitraum zu rechnen". Weiter meint der Anwalt: "Zudem hat der Arbeitnehmer widersprüchlich gehandelt, indem er sich auf einen früheren Arbeitsbeginn berufen hat, obwohl die vorzeitige Anreise in seinem Interesse lag. Er hat den Vertrag, der den Arbeitsbeginn am Schulungstag vorsieht, unterschrieben, nachdem der Arbeitgeber ihm die frühere Anreise gestattet und zudem die Übernachtungskosten übernommen hat. Es wäre ein unbilliges Ergebnis, wenn der Arbeitgeber 'der Dumme' bleiben würde, nur weil er 'zu nett' gewesen ist. Außerdem müsste Unternehmen dann künftig geraten werden, in vergleichbaren Fällen nicht so mitarbeiterfreundlich zu agieren. In diesem Fall konkret: Um halb fünf Uhr morgens zur Schulung loszufahren", so der Anwalt.


    Markus Künzel ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei BEITEN BURKHARDT am Standort München. Gerne steht er für Interviews, Gastbeiträge etc. zu diesem Thema zur Verfügung.

     

    Kontakt


    Markus Künzel

    Tel.: 089 35065-1131

    Markus.Kuenzel@bblaw.com