Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. März 2025 — V ZR 153/23
Der bislang von der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertretene enge Verwendungsbegriff mit subjektiver Betrachtungsweise der Nützlichkeit führte in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Fällen zu wenig tragbaren Ergebnissen. Es ist denkbar, dass einige Rechtsstreitigkeiten deswegen von den Beteiligten gar nicht erst weiterverfolgt wurden. Das könnte sich nun vielleicht ändern.
In einer aktuellen Entscheidung aus dem März 2025 hat der Bundesgerichtshof1 seine seit Jahrzehnten bestehende Rechtsprechung zum engen Verwendungsbegriff nun aufgegeben und sieht jetzt als Verwendung alle Vermögensaufwendungen an, die der Sache während einer Vindikationslage (sog. Eigentümer-Besitzer-Verhältnis) zugutekommen, auch wenn die Vermögensaufwendungen die Sache grundlegend verändern (weiter Verwendungsbegriff). Was auf den ersten Blick sehr theoretisch klingt, stellt einen Paradigmenwechsel in der höchstrichterlichen Rechtsprechung dar und hat zugleich praktisch erheblich Auswirkungen auf die rechtliche Bewertung von Herausgabeansprüchen des (Grundstücks-)Eigentümers gegen den gutgläubigen und unverklagten Besitzer sowie dessen Ersatzansprüche (dazu siehe unten).
Auslöser der Entscheidung war ein (pressewirksamer) Rechtsstreit zwischen dem Eigentümer eines Grundstücks („Eigentümer“) und einem Ersteigerer, der dieses Grundstück im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahren erwarb („Besitzer“), dessen Zuschlag nach grundbuchlicher Eigentumseintragung des Besitzers später jedoch wieder aufgehoben wurde. Für den Besitzer, der auf dem Grundstück in der Zwischenzeit ein neues Gebäude errichtet hatte, stellte sich seitdem die Frage, ob er das Gebäude weiterhin nutzen kann oder das Grundstück räumen und das Gebäude zurückbauen muss; die (hier verkürzt dargestellte) Antwort des Bundesgerichtshofs: er muss das Grundstück nur nach Leistung eines Verwendungsersatzes durch den Eigentümer räumen und das Gebäude nicht zurückbauen.
Erstmalig entschied der Bundesgerichtshof nun, dass Aufwendungen für die Errichtung eines Gebäudes auf einem fremden Grundstück nunmehr auch dann Verwendungen des Besitzers (§ 996 BGB) sein können, wenn der Bau des Gebäudes das Grundstück grundlegend verändert und damit eine Änderung der Zweckbestimmung des Grundstücks einhergeht.2
Der Wortlaut der gesetzlichen Regelung lasse diese Auslegung ebenso zu (zumal es keine Legaldefinition des Verwendungsbegriffs gebe), wie die Gesetzgebungsmaterialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch diese Auslegung decken. Ansonsten müsse der Eigentümer in vielen Fällen trotz erheblicher Vorteile keinen Ersatz leisten und dem Besitzer bleibe vielfach nur ein regelmäßig wirtschaftlich wertloses Wegnahmerecht.
Ob eine solche Verwendung des gutgläubigen und unverklagten Besitzers einen Nutzen für den Eigentümer hat, ist dabei nicht aus subjektiver Sicht des Eigentümers zu beurteilen, sondern aus Gründen der Rechtssicherheit aus objektiver Sicht.3 Das folge aus einem systematischen Vergleich mit weiteren gesetzlichen Regelungen des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses und den Gesetzgebungsmaterialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Allerdings müsse der Eigentümer maximal die Aufwendungen des Besitzers ersetzen, diese jedoch begrenzt durch die beim Eigentümer eingetretene Verkehrswerterhöhung.
Eine Beeinträchtigung des Vermögens des Eigentümers liege dabei nicht vor, lediglich seine Dispositionsbefugnis werde beeinträchtigt.
Die Anerkennung des weiten Verwendungsbegriffs durch die höchstrichterliche Rechtsprechung schützt den gutgläubigen und unverklagten Besitzer weitreichender, da sein Anspruch auf Verwendungsersatz nicht mehr nur auf erhaltende, wiederherstellende oder zustandsverbessernde Maßnahmen beschränkt ist, sondern auch für tiefgreifende (kostspielige) Veränderungen gilt. Für Projektentwickler und Investoren, generell für Käufer von Grundstücken, bringt die Entscheidung mehr Rechtssicherheit. Sie können Investitionen tätigen, ohne befürchten zu müssen (solange sie gutgläubig und unverklagt sind), dass daraus resultierende Kosten später nicht im Rahmen eines Verwendungsersatzanspruchs ersetzt werden müssten, sollte die rechtliche Eigentumslage korrigiert werden müssen.
Dies gilt jedenfalls ab der Eintragung des neuen Eigentümers im Grundbuch. Weil der Käufer nach Abschluss des Grundstückskaufvertrages in der Regel nicht so lange mit seiner Investition warten will (zwischen dem Abschluss des Kaufvertrages und der Eigentumsumschreibung im Grundbuch vergehen meist mehrere Wochen/Monate) enthalten Grundstückskaufverträge ganz überwiegend Regelungen zu einem der Eigentumsumschreibung im Grundbuch zeitlich vorgezogenen wirtschaftlichen Eigentumsübergang (sog. Besitz/Nutzen/Lasten-Wechsel). Tätigt der Käufer nach dem Besitz/Nutzen/Lasten-Wechsel Verwendungen im guten Glauben hinsichtlich seines dadurch erlangten Rechts zum Besitz, kann er diese, sollte sich der Grundstückskaufvertrag später als unwirksam herausstellen, gemäß § 996 BGB grundsätzlich geltend machen4.
Die Änderung des Verwendungsbegriffs dürfte auch bei Mietverhältnissen eine Rolle spielen, die sich im Nachhinein als unwirksam herausstellen. Denn bei einem unwirksamen Mietverhältnis kann der Mieter seinen Anspruch auf Verwendungsersatz nicht auf etwaige mietvertragsrechtliche Ansprüche stützen, sondern ist grundsätzlich auf § 994 BGB bei notwendigen bzw. auf § 996 BGB bei nützlichen Verwendungen angewiesen5.
Auch wenn der Verwendungsersatzanspruch für den Eigentümer "nur" eine Beeinträchtigung in seine Dispositionsbefugnis bedeutet, kann dies weitreichende Folgen für ihn haben. Denn er ist u.U. dazu gezwungen, für den Ausgleich des Erstattungsanspruches eine Finanzierung aufzunehmen und/oder das Grundstück (später) zu belasten bzw. zu verkaufen. Das könnte Eigentümer gegebenenfalls davon abhalten, Ansprüche gegen Besitzer geltend zu machen. Hierbei ist aber jeder Fall einzeln zu bewerten.
Ungeachtet dessen sorgt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in der immobilienrechtlichen Praxis für mehr Klarheit und schafft dem gutgläubigen und unverklagten Besitzer mehr Schutz für seine Investitionen. Dem (investierenden) Besitzer sei daher empfohlen, sein gesamtes Invest anhand prüffähiger Unterlagen zu dokumentieren und diese dauerhaft aufzubewahren, damit er seine Kosten bei Bedarf auch noch nach Jahren nachweisen kann.
Mit Interesse wird zu verfolgen sein, wie die Anwendung des weiten Verwendungsbegriffs sich in der Praxis etablieren wird und welche Folgen sich tatsächlich zeigen. Abzuwarten bleibt auch, ob sich die Übertragung des weiten Verwendungsbegriffs auf andere Bereiche durchsetzen wird. Die weitere Entwicklung in der Kautelarpraxis werden wir daher aktiv mitgestalten und die dazu ergehenden gerichtlichen Entscheidungen berücksichtigen.
Ansgar Messow
Rebecca Stielow