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    12.11.2020

    Coronabedingte Schließungen und Lockdown – drei Gerichte, zwei Meinungen!


    Die „COVID-19-Pandemie“ führt dazu, dass zahlreiche behördliche Schließungsanordnungen ergehen und Gewerbemieter ihre Mietzahlungen einstellen. Kann keine Einigung zwischen Mieter und Vermieter erzielt werden, so wird meist der Klageweg bestritten.

     

    In unserem Beitrag vom 21. Oktober 2020 haben wir über die Entscheidung der 15. Kammer des Landgerichts Frankfurt a. M. (Urteil vom 2. Oktober 2020 – 2-15 O 23/20) berichtet. In dieser Entscheidung bestätigt das Landgericht Frankfurt a. M. mit Verweis auf das Landgericht Heidelberg (Urteil vom 30. Juli 2020 - 5 O 66/20), dass behördliche Schließungsanordnungen wegen der COVID-19-Pandemie grundsätzlich weder zum Entfall der Mietzahlungspflicht, noch zu einer Unmöglichkeit, einer Störung der Geschäftsgrundlage oder zu einer Mietminderung führen. Diese Entscheidungen stehen im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur: Volles Verwendungsrisiko beim Mieter! Bisher wurden die Rechte des Vermieters geschützt.

     

    Mit Urteil vom 22. September 2020, AZ: 3 O 4495/20 entschied das Landgericht München I hingegen überraschend anders. Die Miete sei nach Auffassung des LG München I wegen der unterschiedlichen Schwere der Beeinträchtigung durch den Lockdown zu mindern. Das Gericht hat nun zu Gunsten des Mieters entschieden. In diesem Beitrag stellen wir die aktuelle Entscheidung des LG München I vor:

     

    1. Entscheidung des LG München I, Urteil vom 22. September 2020 - 3 O 4495/20

     

    Die Mieterin – ein Möbelgeschäft mit Wohnaccessoires – mietet Geschäftsräume für eine Filiale zur Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume in München. Nachdem die Mieterin eine coronabedingte Schließungsanordnung erhielt, stellte sie die Mietzahlungen für April bis Juni 2020 ein. Die Vermieterin machte die Miete gerichtlich geltend – jedoch nicht mit Erfolg.

     

    Das LG München I nahm mit der „Unbenutzbarkeit“ der Mietsache aufgrund der coronabedingten Schließung nicht nur einen Mietmangel an, sondern erkannte darin auch eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1, Abs. 2 BGB.

     

    In seiner Entscheidung stützt sich das LG München I im Wesentlichen auf vier Urteile des Reichsgerichts aus der Zeit des Ersten Weltkrieges: (JW 1913, S. 596, Nr. 10; Entscheidung vom 09.11.1915, Rep. III.145/15; Entscheidung vom 15.02.1916, Rep. III.333/15; Urteil vom 26.10.1917, Rep. III 212/17). Das Gericht erläuterte mit den vorgenannten Reichsgerichtsurteilen, dass das Verbot der Öffnung von Verkaufsstellen für den Einzelhandel oder des Gastgewerbes grundsätzlich einen Mangel im Sinne des § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB begründet, da die Tauglichkeit der Mieträume während der Schließung und aufgrund der Unbenutzbarkeit für den vertragsgemäßen Gebrauch aufgehoben bzw. gemindert ist.

     

    2. Bewertung der Entscheidung des LG München I

     

    Die Entscheidung des LG München I missachtet die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) aus den letzten Jahrzehnten. Der BGH hat klargestellt, dass öffentlich-rechtliche Gebrauchshindernisse und Gebrauchsbeschränkungen, die dem vertragsgemäßen Gebrauch eines Mietobjekts entgegenstehen, nach der Rechtsprechung des BGH nur dann einen Sachmangel i. S. der §§ 536 ff. BGB begründen, wenn sie auf der konkreten Beschaffenheit der Mietsache beruhen und nicht in persönlichen oder betrieblichen Umständen des Pächters ihre Ursache haben (BGH, NJW 2011, 3151 Rn. 8 mit Verweis auf BGH, NJW 2009, 664; BGH, WM 1994, 1136; BGH, NJW 1992, 3226; BGH, NJW-RR 1992, 267; BGH, NJW 1988, 2664). Vorliegend beruht die betriebsbedingte Schließung nicht auf einem Mangel, der sich aus der konkreten Beschaffenheit der Mietsache ergibt, sondern aus den betrieblichen Umständen des Mieters und der Beziehung zur Umwelt und der Corona-Situation. Dies fällt in den Risikobereich des Mieters. Die Mietsache ist folglich als solche weiter zur Nutzung geeignet. Hier ist nur der geschäftliche Erfolg des Mieters beeinträchtigt.

     

    Auch die Entscheidung zur Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB lässt sich nicht nachvollziehen. Zwar könnte die Schließung einer Filiale durchaus zu einer „Störung der Geschäftsgrundlage“ des betreffenden Gewerberaummietvertrages führen. Gemäß § 313 Abs. 1 BGB ist jedoch bei der anzustellenden Abwägung aller Umstände des Einzelfalls auf die vertragliche Risikoverteilung abzustellen. Zur Risikoverteilung äußerte sich das Gericht nicht. Es entschied lediglich, dass die Störung der Geschäftsgrundlage gegeben sei, da die Parteien die Corona-Pandemie bei Abschluss des Mietvertrags nicht bedacht haben und den Vertrag so nicht abgeschlossen hätten. Entgegen der Auffassung des LG München I hatte die Mieterin das Verwendungsrisiko der Mietsache zu tragen. Eine entsprechende vertragliche Risikoübernahme der Mieterin schließt – abgesehen von extremen Ausnahmefällen - regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei der Verwirklichung des Risikos auf die Störung der Geschäftsgrundlage zu berufen. Extreme Ausnahmefälle sind hierbei nicht zu erkennen.

     

    Die Entscheidung des LG München I kann in der Argumentationstiefe gegenüber dem Urteil des LG Frankfurt a. M. und LG Heidelberg nicht mithalten und lässt die vom LG Frankfurt a. M. angeführten und ausführlich begründeten Argumente überwiegend unbeachtet.

     

    3. Ausblick

     

    Die Entscheidung des LG München I stellt sich – wie ausgeführt – gegen die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung und die herrschende Meinung in der Literatur. Es bleibt abzuwarten, ob mit dieser Entscheidung ein Umdenken beginnt und es bei coronabedingten Schließungen oder Einschränkungen in Zukunft zu einer Risikoverteilung zwischen Vermieter und Mieter kommt.

     

    Klaus Beine / Dr. Angela Kogan

     

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