Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Beschluss vom 9. März 2023 – I ZB 33/22 einen Antrag auf Feststellung der Nichtanerkennung eines ausländischen Schiedsspruchs in analoger Anwendung der §§ 1062 Abs. 1 Nr. 4 Fall 2, 1061 Abs. 2 ZPO für statthaft erklärt. Zudem hat der BGH die umstrittene Frage der Bindung deutscher Gerichte an eine abweisende Entscheidung ausländischer Gerichte über die Aufhebung eines Schiedsspruches geklärt und stellt klar, dass die im Aufhebungsverfahren geltend gemachten Gründe zur Versagung der Anerkennung für das nationale Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht präkludiert sind.
Dem Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem BGH lag ein in Moskau erlassener Schiedsspruch zugrunde. Das Schiedsgericht verurteilte vier selbstständige Konzerngesellschaften (die Antraggegnerinnen) und drei ehemalige Geschäftsleiter eines bekannten deutschen Fruchtsaftherstellers mit Sitz in Rheinland-Pfalz auf gesamtschuldnerische Schadensersatzzahlung in Höhe von rund 50 Millionen Euro an einen ehemaligen Geschäftspartner (den Antragssteller).
Aufgrund einer Schiedsvereinbarung zwischen einer der Antragsgegnerinnen und dem Antragssteller, klagte dieser vor dem vereinbarten Schiedsgericht in Moskau. Die übrigen Antragsgegnerinnen hatten diese Schiedsvereinbarung nicht unterzeichnet, dennoch wurden sie aufgrund weiterer vertraglicher Beziehungen durch das Schiedsgericht in den Schiedsspruch miteinbezogen. Dagegen wehrten sich die Antragsgegnerinnen, indem sie (erfolglos) die Unzuständigkeit des Schiedsgerichts rügten. Die vor den russischen Gerichten gegen den Schiedsspruch gerichteten Aufhebungsanträge blieben ebenfalls ohne Erfolg.
Um einer Vollstreckung des Schiedsspruchs in Deutschland zu entgehen, beantragten die Antragsgenerinnen vor dem Oberlandesgericht (OLG) Koblenz die (negative) Feststellung, dass die Anerkennung des ausländischen Schiedsspruchs versagt werde. Der Antragssteller beantragte im Wege der Widerklage u.a. die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs. Daraufhin erklärten die Antragsgegnerinnen ihre negative Feststellungsklage einseitig für erledigt. Das OLG Koblenz lehnte sowohl den Antrag der Antragstellerin auf Vollstreckbarerklärung also auch den Antrag der Antragsgegnerinnen auf Feststellung der Erledigung des Antrags auf Feststellung der Nichtanerkennung ab und stellte fest, dass der ausländische Schiedsspruch im Inland nicht anzuerkennen sei. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragsstellers zum BGH und die Anschlussrechtsbeschwerden der Antragsgegnerinnen.
Der BGH bestätigt die Entscheidung des OLG Koblenz hinsichtlich der Ablehnung der Vollstreckbarerklärung. Deutsche Gerichte sind im Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht an die ablehnende Entscheidung im ausländischen Aufhebungsverfahren des Schiedsspruchs gebunden. Des Weiteren. gibt der BGH dem Schuldner des Schiedsspruchs die Möglichkeit, einen Antrag auf Feststellung der Nichtanerkennung des ausländischen Schiedsspruchs in analoger Anwendung von §§ 1062 Abs. 1 Nr. 4 Fall 2, 1061 Abs. 2 ZPO zu stellen, noch bevor der Gläubiger die Vollstreckbarerklärung bei Gericht beantragt hat.
Umstritten war bis jetzt, wie sich eine ablehnende Aufhebungsentscheidung im Ursprungsstaat des Schiedsspruches zum Vollstreckbarerklärungsverfahren im Vollstreckungsstaat verhält. Einfach formuliert ging es um die Frage, ob die im Schiedsverfahren unterlegene Partei, die im Ursprungsstaat des Schiedsspruchs erfolglos ein Aufhebungsverfahren durchgeführt hat, dieselben Einwände wie im Aufhebungsverfahren noch einmal im Vollstreckbarerklärungsverfahren im Inland geltend machen darf.
Für inländische Schiedssprüche ist diese Frage explizit in den §§ 1060 Abs. 2 S. 2 und 3 ZPO geregelt. Für ausländische Schiedssprüche gilt über § 1061 Abs. 1 S. 1 ZPO das New Yorker Übereinkommen (UNÜ). Das UNÜ trifft nur für den Fall einer erfolgreichen, also den Schiedsspruch aufhebenden Entscheidung, eine Aussage (vgl. Art. V Abs.1 Buchst. e UNÜ).
Der BGH hat nun entschieden, dass die deutschen Gerichte nicht an eine abweisende Aufhebungsentscheidung des Ursprungsstaats des Schiedsspruchs gebunden sind und klargestellt, dass die dort geltend gemachten Gründe zur Versagung der Anerkennung im Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht präkludiert sind. Eine solche weitgehende Wirkung des Aufhebungsverfahrens sei dem UNÜ nicht zu entnehmen. Zudem lägen beiden Verfahren unterschiedliche Streitgegenstände und damit andere Beurteilungsmaßstäbe zugrunde. Im Aufhebungsverfahren, bei dem es um die Existenz des Schiedsspruches gehe, seien die Aufhebungsgründe der lokalen Schiedsverfahrensgesetze (lex arbitri) maßgeblich. Wohingegen im inländischen Vollstreckbarerklärungsverfahren die Aufhebungsgründe des Art. V UNÜ maßgebend seien. Andernfalls würde das ausländische Aufhebungsverfahren faktisch über die Vollstreckbarkeit in anderen Nationen entscheiden und es würde letztlich der Anwendungsbereich des UNÜ ausgehöhlt.
Mit seiner Entscheidung erweitert der BGH die prozessualen Möglichkeiten der im ausländischen Schiedsverfahren unterlegenen Partei um eine Klage auf Feststellung der Nichtanerkennung des ausländischen Schiedsspruches in analoger Anwendung der §§ 1062 Abs. 1 Nr. 4 Fall 2, 1061 Abs. 2 ZPO. Der zukünftige Anspruchsgegner eines Vollstreckbarerklärungsverfahrens nach § 1061 Abs. 1 ZPO kann nun die Nichtanerkennung des Schiedsspruches prüfen lassen noch bevor das Vollstreckbarerklärungsverfahren durch den Gläubiger des Schiedsspruchs eingeleitet wurde.
Dies sei allein aufgrund des Gebots des effektiven Rechtsschutzes schon erforderlich. Einer in einem ausländischen Schiedsverfahren unterlegenen Partei müsse ein Rechtsbehelf zustehen, mit dem sie die Frage der Anerkennungsfähigkeit des ausländischen Schiedsspruchs klären lassen könne.
Dieser Feststellungsantrag sei weder fristgebunden (i.S.v. § 1059 Abs. 3 S. 1 bis 3 ZPO), noch sei die Präklusionsvorschrift des § 1060 Abs. 2 S. 2 ZPO anzuwenden. Zum einen solle der Schuldner des Schiedsspruches nicht gezwungen werden, vorschnell einen Rechtsbehelf einlegen zu müssen, nur um zu verhindern, dass er schon verfristet sei, bevor ein im Ursprungsstaat laufendes Aufhebungsverfahren entschieden ist. Zum anderen solle dadurch auch eine Doppelbefassung der Gerichte vermieden werden.
Der BGH schafft ein Instrument, das für schnellere Rechtssicherheit und Klarheit über die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs sorgt. Schuldner, die sich der Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche ausgesetzt sehen, können nun mit dem negativen Feststellungsantrag frühzeitig – schon vor oder während eines laufenden Aufhebungsverfahrens am Schiedsort – Gewissheit über die Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs erlangen. Dies ist begrüßenswert. Häufig fallen die Aufhebungsklage am Schiedsort und die Vollstreckung in Deutschlang zeitlich auseinander, so dass der negative Feststellungsantrag für die im Schiedsverfahren unterlegene Partei ein nützliches Instrument sein kann.