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Teilweiser Untergang von Verlustvorträgen nach § 8c Abs. 1 S. 1 KStG mit dem Grundgesetz unvereinbar

BVerfG, Beschluss vom 29. März 2017, 2 BvL 6/11

Hintergrund

Die Regelungen zur anteiligen Kürzung von Verlustvorträgen bis hin zum kompletten Untergang von Verlustvorträgen im Falle einer Anteilsübertragung unter den Voraussetzungen des § 8c KStG wurden von der Fachliteratur schon seit geraumer Zeit kritisch bewertet und zum Teil als nicht verfassungskonform eingestuft. Aufgrund der Vorlage durch das FG Hamburg konnte sich hierzu nun das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) äußern und bewertete die Verlustabzugsbeschränkung bei Kapitalgesellschaften nach § 8c Satz 1 KStG a. F. als verfassungswidrig.

Entscheidungssachverhalt

Die Klägerin ist eine im Jahr 2006 gegründete Kapitalgesellschaft mit zwei Gesellschaftern. Die Gesellschaft schloss die Geschäftsjahre 2006 und 2007 jeweils mit einem Verlust ab. Im Folgejahr 2008 erwirtschaftete die Kapitalgesellschaft einen Gewinn. Einer der Gesellschafter übertrug seine Anteile Anfang 2008 an einen Dritten. Aufgrund dessen kürzte das Finanzamt bei der Körperschaftsteuerveranlagung der Kapitalgesellschaft für 2008 gemäß § 8c Abs. 1 S. 1 KStG den auf den ausscheidenden Gesellschafter entfallenden anteiligen Verlustvortrag. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Kapitalgesellschaft Klage vor dem FG Hamburg.

Entscheidung des BVerfG

Nach § 8c Abs. 1 S. 1 KStG geht der Verlustvortrag einer Kapitalgesellschaft anteilig unter, wenn innerhalb von fünf Jahren mehr als 25 Prozent und bis zu 50 Prozent der Anteile an der Kapitalgesellschaft an einen Erwerber veräußert werden (sog. schädlicher Beteiligungserwerb). Mit Beschluss vom 29. März 2017 hat der Zweite Senat des BVerfG (2BvL 6/11) entschieden, dass diese Regelung mit den allgemeinen Gleichheitsgrundsätzen (Art. 3 Abs. 1 GG) unvereinbar ist. Das BVerfG begründet die Entscheidung damit, dass § 8c KStG zu einer Ungleichbehandlung führe und kein sachlich einleuchtender Grund für diese Ungleichbehandlung erkennbar sei. Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz bindet den Steuergesetzgeber an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit. Die Besteuerung ist hiernach an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten. Laut BVerfG verstößt § 8c Abs. 1 S. 1 KStG gegen diesen Grundsatz, da die Besteuerung einer Kapitalgesellschaft nach einer Veräußerung von Anteilen an einen Erwerber erheblich durch die Höhe der veräußerten Anteile beeinflusst wird (Veräußerungen kleiner 25 Prozent haben keinen Einfluss auf die Verlustvorträge), obwohl die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Kapitalgesellschaft unverändert bleibt.

Die Regelung des § 8c KStG wurde u. a. verabschiedet, um den Handel mit Verlustvorträgen (in Form von sog. Mantelkäufen) als unerwünschte Steuergestaltungsmaßnahme zu verhindern. Der Gesetzgeber ist bei der Regelung davon ausgegangen, dass sich die wirtschaftliche Identität der Kapitalgesellschaft durch das Engagement eines neuen Anteilseigners ändert und der steuerrechtliche Grundsatz, dass bei Verlustabzügen das Steuersubjekt, welches den Verlustvortrag nutzen möchte, mit dem Steuersubjekt, welches den Verlust erlitten hat, identisch sein muss, nicht mehr gegeben ist.

Das BVerfG sieht in der Unterbindung von Mantelkäufen zwar einen legitimen Zweck der Ungleichbehandlung. Die Grenze sei jedoch überschritten, wenn zur Erfassung solcher Gestaltungen bereits die Übertragung von 25 Prozent der Anteile ausreichen, da es vielfältige Gründe für die Veräußerung der Anteile außerhalb der Nutzung der Verluste durch neue Anteilseigner geben könne. Zudem bleibt laut BVerfG die wirtschaftliche Identität der Kapitalgesellschaft unverändert, da der Erwerber zwar eine Sperrminorität erlangt, diese jedoch nur mittelbaren Einfluss auf die Kapitalgesellschaft ermöglicht. Ein unmittelbar maßgeblicher Einfluss auf die Kapitalgesellschaft und somit die Möglichkeit für den Erwerber, die Verluste durch unternehmerische Entscheidungen zu seinen Gunsten zu nutzen, ergibt sich nur durch eine Mehrheitsbeteiligung.

Fazit und Folgen für die Praxis

Von der Entscheidung des BVerfG können alle noch nicht bestandskräftigen Entscheidungen bezüglich der oben genannten schädlichen Beteiligungserwerbe in dem Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2015 profitieren. Bis das Bundesfinanzministerium die Finanzverwaltung anweist, wie weiter vorgegangen werden soll, sollten Unternehmen Bescheide zu ihren Ungunsten nicht bestandskräftig werden lassen. Der Gesetzgeber hat bis zum 31. Dezember 2018 Zeit, den festgestellten Verfassungsverstoß zu beseitigen.

Hinweis

Das BVerfG hat nur über §8c Abs. 1 S. 1 KStG und somit über den quotalen Untergang von Verlustvorträgen entschieden. Somit sind Beteiligungserwerbe von mehr als 50 Prozent (§ 8c Abs. 1 S. 2 KStG) von diesem Urteil zunächst nicht betroffen.

Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, wenden Sie sich bitte an die Herren Christian Schenk und Eugen Wall.

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