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Erstes Urteil zum Mindestlohn

Arbeitsgericht Berlin vom 4. März 2015 – 54 Ca 14420/14

Sachverhalt

Die Arbeitnehmerin erhielt neben einer Grundver­gütung von EUR 6,13 je Stunde eine Leistungszulage und Schichtzuschläge sowie zusätzliches Urlaubsgeld und eine nach Dauer der Betriebszugehörigkeit gestaffelte jährliche Sonderzahlung. Im Hinblick auf die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Januar 2015 sprach die Arbeitgeberin eine "Änderungskündigung" aus, um das Arbeitsverhältnis künftig mit einem Stundenlohn von EUR 8,50 bei Wegfall der Leistungszulage, des Urlaubsgelds und der Jahressonderzahlung fortzusetzen. Hiergegen klagte die Arbeitnehmerin.



Die Entscheidung

Nach Ansicht der Berliner Arbeitsrichter war die Änderungskündigung unwirksam. Diese sollte lediglich bewirken, dass das Urlaubsgeld und die jährliche Sonderzahlung für die Berechnung des Mindestlohns berücksichtigt werden. Eine solche Anrechnung sei jedoch nicht möglich, da diese Leistungen nicht dem Zweck des Mindestlohns dienen.



Konsequenzen für die Praxis

Das Mindestlohngesetz (MiLoG) legt nicht fest, welche Leistungen auf den Mindestlohn angerechnet werden können. Gemäß der Gesetzesbegründung zum MiLoG soll sich die Anrechenbarkeit nach dem „Prinzip der funktionalen Gleichwertigkeit“ richten. Danach sind nur solche Zahlungen des Arbeitgebers anrechenbar, die ihrem Zweck nach die "normale" Arbeitsleistung des Arbeitnehmers und nicht etwa überobligatorische Leistungen entgelten sollen. Eine Zahlung, die an weitere Bedingungen, z. B. die Betriebstreue, geknüpft ist, dürfte grundsätzlich mangels funktionaler Gleichwertigkeit ebenfalls nicht anzurechnen sein. Nach Ansicht der Berliner Arbeitsrichter ist das Urlaubsgeld ebenfalls nicht funktional gleichwertig, da dieses die Zusatzkosten während des Urlaubs kompensieren und nicht die Normalleistung vergüten soll. Dieser Gedanke dürfte nach Ansicht des Arbeitsgerichts Berlin wohl auch für das Weihnachtsgeld gelten. Funktional gleichwertige (Jahres-)Zahlungen wie z. B. Bonuszahlungen müssen, wenn sie monatlich auf den Mindestlohn angerechnet werden sollen, auch monatlich (unwiderruflich) – gegebenenfalls anteilig – ausgezahlt werden. Mit dem Urteil hat das Arbeitsgericht Berlin als erstes Gericht über die Frage der Anrechenbarkeit von jährlichen Einmal- und Sonderzahlungen auf den Mindestlohn bei Anwendung des Prinzips der funktionalen Gleichwertigkeit entschieden. Da Berufung zum Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Az.: 8 Sa 677/15) eingelegt wurde, bleibt abzuwarten, ob sich diese Rechtsansicht auch in der nächsten Instanz bestätigt.

Praxistipp

Unabhängig hiervon besteht für Unternehmen, die zusätzlich zum regulären monatlichen Fixgehalt weitere Zahlungen leisten, gegebenenfalls Handlungsbedarf. Zunächst ist zu analysieren, welche finanziellen Leistungen der Arbeitnehmer aufgrund welcher Anspruchsgrundlage (z. B. Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag) erhält. Anschließend sind die Leistungen dahingehend zu überprüfen, inwieweit sie nach dem Prinzip der funktionalen Gleichwertigkeit auf den Mindestlohn angerechnet werden können. Wenn mit diesen anrechenbaren Leistungen eine Vergütung in Höhe von EUR 8,50 pro Zeitstunde nicht erreicht werden kann, müssen die zugrunde liegenden Vereinbarungen überarbeitet werden. Bestehende Betriebsvereinbarungen sollten nach Möglichkeit mit dem Betriebsrat neu verhandelt und möglichst so gestaltet werden, dass künftig eine Anrechnung der Leistungen auf den Mindestlohn gewährleistet ist. Eine Anpassung der bestehenden Arbeitsverträge in dem Sinne, die funktional gleichwertigen Einmalzahlungen monatlich – gegebenenfalls anteilig – auszuzahlen oder zu streichen und im Gegenzug die Grundvergütung anzuheben, ist regelmäßig nur mit Einverständnis des Arbeitnehmers durch Vertragsänderung zu erreichen. Im Hinblick auf neu abzuschließende Arbeitsverträge ist eine Umstellung der Vergütungszahlung im Sinne der "Anrechnungsvorgaben" der Rechtsprechung unproblematisch, solange und soweit diesbezügliche Regelungen nicht vorrangig in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen gelten.

Bei Fragen zu diesem Thema kontaktieren Sie bitte: Dr. Wolfgang Lipinski, Katharina Domni

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