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9. GWB-Novelle: Eltern haften für ihre Kinder – kartellrechtliche Konzernhaftung

Der Referentenentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums zur 9. GWB-Novelle liegt vor (>> Übersicht aller BB-Blogbeiträge zur 9. GWB-Novelle). Bedeutende Änderungen zeichnen sich ab. Neben Rechtsnachfolgeregelungen zur Schließung der „Wurstlücke“

soll in Anlehnung an das europäische Kartellrecht im GWB eine Konzernhaftung etabliert werden. Konzernmütter werden sich deshalb darauf einrichten müssen, dass sie zukünftig zusätzlich zu ihren kartellbeteiligten Tochtergesellschaften selbst Adressat eines kartellbehördlichen Bußgeldbescheids sind. Dass sie in der Pressemitteilung der Kartellbehörde und in den Schlagzeilen der Wirtschaftspresse als Kartelltäter bezeichnet werden, selbst wenn sie mit dem Kartellverstoß nichts zu tun und von ihm auch keine Kenntnis hatten. Dass die Kosten der Rechtsverteidigung steigen, da zukünftig nicht mehr nur eine, sondern mehrere Gesellschaften Nebenbetroffene eines Bußgeldverfahrens sind. Und – grundlegender – dass durch die Einführung einer Konzernhaftung die „begrenzte Haftung“, wie sie im gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzip als Phänomen aller modernen Kapitalgesellschaften zum Ausdruck kommt, für das Kartellordnungswidrigkeitenrecht aufgehoben wird.



Beteiligen sich Leitungspersonen einer Konzerntochter an einem Kartellverstoß, richtet sich die Geldbuße nach dem derzeitigen deutschen Kartellrecht nur gegen diese Tochtergesellschaft. Zwar wird bei der Bemessung dieser Geldbuße bereits heute der Umsatz der wirtschaftlichen Einheit (vereinfacht: der Konzernumsatz) zugrundegelegt. Jedoch kann eine Muttergesellschaft für den Kartellverstoß ihrer Konzerntochter bislang nicht unmittelbar in Anspruch genommen werden.

Dies soll sich zukünftig ändern. §

81 Abs.

3a RefE-GWB ordnet an:


"Hat jemand als Leitungsperson […] eine [Kartell-]Ordnungswidrigkeit […] begangen […], so kann auch gegen weitere juristische Personen oder Personenvereinigungen, die das Unternehmen zum Zeitpunkt der Begehung der Ordnungswidrigkeit gebildet haben und die auf die juristische Person oder Personenvereinigung, deren Leitungsperson die Ordnungswidrigkeit begangen hat, unmittelbar oder mittelbar einen bestimmenden Einfluss ausgeübt haben, eine Geldbuße festgesetzt werden."

Dies entspricht weitgehend der Konzernhaftung im europäischen Kartellrecht. Mit zwei Ausnahmen: Der Kartellverstoß muss erstens durch eine Leitungsperson begangen worden sein. Die Bußgeldhaftung erstreckt sich zweitens nicht auf Schwester- und Beteiligungsgesellschaften des Rechtsträgers, dessen Leitungsperson den Kartellverstoß begangen hat.

Mehrere Punkte fallen auf:

  • Der Referentenentwurf bezeichnet §

    81 Abs.

    3a RefE-GWB zwar als "Einführung einer unternehmensgerichteten Sanktion". Er hält jedoch zugleich das Rechtsträgerprinzip des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts auch für das Kartellrecht aufrecht. Im Gegensatz zu Art.

    23 Abs.

    2 VO 1/2003 des europäischen Kartellrechts ist Bußgeldadressat weiterhin nicht das Unternehmen, sondern dessen Rechtsträger.



  • §

    81 Abs.

    3a RefE-GWB begründet eine Zustandsverantwortlichkeit der Konzernmutter, d.

    h., eine bußgeldrechtliche Verantwortung ohne Vorwerfbarkeit und Vermeidbarkeit. Denn die Verhängung von Geldbußen gegen eine Muttergesellschaft setzt weder voraus, dass Leitungspersonen dieser Muttergesellschaft am Kartellverstoß beteiligt waren, noch dass sie zu ihm angewiesen oder die Konzerntochter dabei unterstützt haben, noch dass diesen Leitungspersonen eine Verletzung von Aufsichts- oder Erfolgsabwendungspflichten infolge Kenntnis des Kartellverstoßes vorgeworfen werden kann. Da das Rechtsträgerprinzip beibehalten werden soll, ist diese Zustandsverantwortlichkeit mit dem verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatz unvereinbar.



  • Der Referentenentwurf schweigt über die Anwendbarkeit der Einflussnahmevermutung, wie sie das europäische Vorbild bei (nahezu) 100

    %-igen Tochtergesellschaften kennt. Diese Vermutung führt zu einer Beweislastumkehr, was im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Fundamentalgarantien des Grundgesetzes stehen würde.



  • Der Referentenentwurf bewirkt eine Ungleichbehandlung, da er die Konzernhaftung auf das Kartellrecht beschränkt. Andere Bereiche des Wirtschaftsstraf- und -ordnungswidrigkeitenrechts, die ebenfalls Verbandsgeldbußen vorsehen, sind von der Neuregelung nicht betroffen.



  • Der Referentenentwurf sieht eine gesamtschuldnerische Haftung von Mutter- und Tochtergesellschaft vor. Ungeregelt (aber regelungsbedürftig) bleibt die Frage des Innenausgleichs zwischen den Gesamtschuldnern. Sie wird ebenfalls insbesondere dann virulent, wenn Mutter- und Tochtergesellschaft im Zeitpunkt der Bußgeldfestsetzung nicht mehr der gleichen wirtschaftlichen Einheit angehören.



  • Der Referentenentwurf bewirkt eine Ungleichbehandlung, da er die Konzernhaftung auf das Kartellrecht beschränkt. Andere Bereiche des Wirtschaftsstraf- und -ordnungswidrigkeitenrechts, die ebenfalls Verbandsgeldbußen vorsehen, sind von der Neuregelung nicht betroffen.



Ein Bonmot (zugegeben – verkürzt) zum Schluss:

"Die Einführung einer Konzernhaftung […] verbessert die Einnahmesituation der öffentlichen Haushalte (Managementregel 7, Indikator 6)."

So die Entwurfsbegründung (S.

40). Wer sich fragt, was Managementregel 7 beinhaltet: Generationengerechtigkeit verpflichtet zu ausgeglichenen öffentlichen Haushalten. Öffentliche Schulden sind kontinuierlich abzubauen. Indikator 6 lautet: Verringerung der Staatsverschuldung. Bleibt zu hoffen, dass dieses Nachhaltigkeitsmanagement des Gesetzgebers nur Folge, nicht aber Zweck einer Verschärfung des deutschen Kartellbußgeldrechts ist.

Bei Fragen zum Thema, kontaktieren Sie bitte: Dr. Christian Heinichen Christoph Heinrich

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