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Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit in der EU - der Europäische Gerichtshof bestätigt die Konditionalität in Bezug auf den Haushalt

Der Europäische Gerichtshof billigt den Konditionalitätsmechanismus

Der Europäische Gerichtshof hat heute den Konditionalitätsmechanismus bestätigt, der den Erhalt von Finanzmitteln aus dem Unionshaushalt davon abhängig macht, dass die Mitgliedstaaten die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit einhalten, siehe Urteile in den Rechtssachen C-156/21 und C-157/21.

Die Verordnung 2020/2092 über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union, sieht einen Schutz des Unionshaushalts bei Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat vor. Um dieses Ziel zu erreichen, kann der Rat nach der Verordnung auf Vorschlag der Kommission Schutzmaßnahmen wie die Aussetzung von Zahlungen aus dem Unionshaushalt oder die Aussetzung der Genehmigung eines oder mehrerer Programme zu Lasten des Unionshaushalts beschließen.

Das Plenum des Europäischen Gerichtshofs hat die Klagen gegen diese Vorschriften zurückgewiesen. Die Union beruht auf gemeinsamen Werten, und die Einhaltung der gemeinsamen Werte durch die Mitgliedstaaten ist eine Voraussetzung für die Inanspruchnahme aller Rechte, die sich aus der Anwendung der Verträge auf einen Mitgliedstaat ergeben.

Die Haushaltsführung und die finanziellen Interessen der Union können durch Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat ernsthaft beeinträchtigt werden. Die Vorschriften sind nicht darauf ausgerichtet, einen Mitgliedstaat für Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip als solches zu bestrafen.

Die Europäische Kommission muss nun die Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit in mehreren Mitgliedstaaten überprüfen und die erforderlichen Maßnahmen vorschlagen, um den Haushalt der Union zu schützen.

Die Aufrechterhaltung der Rechtsstaatlichkeit ist und bleibt für zivilisierte Gesellschaften von grundlegender Bedeutung

Die Aufrechterhaltung der Rechtsstaatlichkeit ist und bleibt für zivilisierte Gesellschaften von fundamentaler Bedeutung. Während viele glaubten, dass die „checks und balances“, die über Jahrhunderte in der westlichen Welt etabliert worden sind, jedem Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit standhalten und darüber hinaus von vielen anderen Ländern übernommen würden, nicht zuletzt von den osteuropäischen Ländern, die der EU beigetreten sind, haben die Entwicklungen der letzten Jahre das Gegenteil bewiesen.

Die Wahrung der Werte der Europäischen Union

Die Wahrung der in den EU-Gründungsvertragen verankerten Werte, wie sie in Art. 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Union niedergelegt sind, war für die Organe der EU immer schon ein schwieriges Unterfangen. Während das sog. Vertragsverletzungsverfahren gegen ein EU-Land, das das EU-Recht nicht umsetzt (z.B. weil es die EU-Rechtsvorschriften zum Umweltschutz nicht umsetzt), immer noch akzeptiert wird, ist das im Verfahren gegen einen Mitgliedstaat wegen Missachtung der Werte der EU nicht der Fall.

In der Vergangenheit haben die EU-Mitgliedstaaten Bedenken hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit in Österreich geäußert, als die Freiheitliche Partei Österreich unter ihrem Vorsitzenden Jörg Haider an die Macht kam. In jüngerer Zeit stehen Vorgänge in Polen, Ungarn und Rumänien im Blickpunkt. Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) bestimmt als Grundwerte „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“

Art. 7 EUV sieht ein Verfahren in zwei Schritten vor: Besteht die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der in Artikel 2 genannten Werte durch einen Mitgliedstaat, können das Europäische Parlament, die Europäische Kommission oder ein Drittel der Mitgliedstaaten den Europäischen Rat ersuchen, eine entsprechende Feststellung zu treffen. Damit der Rat eine solche Feststellung treffen kann, müssen vier Fünftel der Mitgliedstaaten zustimmen. Die Mehrheitsschwelle ist hoch angesetzt, sie liegt aber unter dem Einstimmigkeitserfordernis für die nächsten Schritte.

Diese sind eine förmliche Verwarnung und schließlich Sanktionen und die Aussetzung der Stimmrechte. In der Vergangenheit sind die Verfahren gegen Ungarn und Polen an diesem Punkt ins Stocken geraten. Beide Länder erhielten zumindest die Unterstützung des jeweils anderen Landes, was jedoch nicht ausreichte, um die Entscheidung in der ersten Phase zu verhindern. Es reichte aber, um den zweiten Schritt, d.h. Sanktionen oder die Aussetzung der Stimmrechte, zu verhindern.

Der Entscheidungsprozess nach Art. 7 EUV ist mühsam und das Erfordernis der Einstimmigkeit ist ein Hindernis für ein erfolgreiches Vorgehen gegen sehr schwerwiegende Bedrohungen, wie z.B. die Feststellung des polnischen Verfassungsgerichts, dass mehrere Artikel der EU-Verträge nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar sind.

Wird die Konditionalitätsregelung erfolgreicher sein als das Artikel 7 EUV-Verfahren?

Angesichts der Blockaden in Verfahren nach Art. 7 EUV wurde ein neues Instrument geschaffen, das zum Ziel hat, EU-Gelder für den betreffenden Mitgliedstaat zurückzuhalten. Die neuen Regeln wurden in der Verordnung 2020/2092 angenommen, trotz des heftigen Widerstands Ungarns und Polens bei den Verhandlungen über den EU-Haushalt und die zusätzlichen Mittel zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der COVID19-Pandemie. Es handelt sich hierbei um 800 Milliarden EUR für das Konjunkturprogramm der nächsten Generation.

Ungarn und Polen haben die Verordnung angegriffen. Sie argumentieren, dass die neuen Regeln das Verfahren nach Artikel 7 EUV umgehen und nichts mit dem Schutz des EU-Haushalts zu tun haben.

Der Gerichtshof hat die Argumente zurückgewiesen; die neuen Regeln sollen nicht dazu dienen, einen Mitgliedstaat für Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit als solche zu bestrafen, sondern dienen ausschließlich dem Schutz des Haushalts. Das Urteil hat den Weg für Maßnahmen der EU geebnet und den Kampf für die Grundwerte der EU erleichtert.

Jedes Verfahren muss von der Europäischen Kommission eingeleitet werden, und Entscheidungen über die Anwendung des neuen Mechanismus müssen vom Rat getroffen werden. Im Gegensatz zum Sanktionsmechanismus nach Artikel 7 EUV, der Einstimmigkeit unter den Mitgliedstaaten erfordert, können Beschlüsse über das Einfrieren von Geldern jedoch mit qualifizierter Mehrheit gefasst werden. Das bedeutet, dass es für ein Land schwieriger wird, genügend gleichgesinnte Länder zu finden, um ein Veto gegen einen Beschluss einzulegen.

Eine Reihe von Mitgliedstaaten und die Mehrheit des Europäischen Parlaments bestehen darauf, dass die Kommission nunmehr die Regeln anwendet. Das Parlament erwägt sogar rechtliche Schritte gegen die Kommission, weil sie die Verfahren nicht vorantreibt. Darüber hinaus sind zwei große Mitgliedstaaten mehr als zögerlich, entschiedene Maßnahmen gegen Ungarn und Polen zu unterstützen. Der Kampf um eine kohärente und starke Antwort auf die Herausforderungen der Rechtsstaatlichkeit ist daher noch nicht vorbei. Es dürfte jedoch leichter werden, für die Grundwerte der EU zu kämpfen.

Derzeit gibt es mehrere Verfahren, in denen es zu einem Einfrieren der Gelder kommen könnte: Vom Streit um die Ernennung von Richtern in Polen über den Braunkohleabbau im Tagebau Turow an der Grenze zu Sachsen und der Tschechischen Republik bis hin zum rumänischen Verfassungsgericht, das behauptet, rumänisches Recht stehe über EU-Recht.

Prof. Dr. Rainer Bierwagen

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EU-Recht Rechtsstaatlichkeit EuGH

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