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ICOs: Initial Coin Offering (ICO) als Finanzierungsinstrument

Ein Gang an die Börse mittels IPO ist ein durch zahlreiche Gesetze, Verordnungen und sonstige Vorschriften hochregulierter Prozess. Die klassische Finanzierungs- oder Beteiligungsrunde, obgleich mittlerweile zu einem gewissen Grad standardisiert und bestimmten Gepflogenheiten folgend, erfordert dennoch zumeist die Hinzuziehung von Rechtsanwälten und ggf. anderen Experten, jedenfalls für bestimmte Spezialfragen. Beide Finanzierungsinstrumente verursachen mithin nicht unerhebliche Transaktionskosten.

Gerade für Start-ups, die in ihrem Geschäftsmodell bereits einen Bezug zu Software haben oder deren Produkt aus einer bestimmten Software besteht, verspricht ein sog. Initial Coin Offering (ICO), also der erstmalige Verkauf von Coins (synonym: Token) auf einem öffentlichen Markt, eine einfache, günstige und – in der Hoffnung vieler Unternehmen – sehr einträgliche Finanzierungsvariante zu sein. Da die erforderlichen Coins in der Regel auf der Blockchain-Technologie basieren, wurden ICOs zuerst und hauptsächlich von Unternehmen im Blockchain-Ecosystem durchgeführt, eine zwingende Voraussetzung ist das aber nicht.

1. Was ist ein ICO?

Grundsätzlich stellen ICOs für ein Unternehmen (Emittent) eine Möglichkeit dar, durch den Verkauf von Coins gegen gängige Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ether und deren anschließenden Umtausch in staatliche Währungen die für die weitere Entwicklung eines Start-ups oder eines isolierten Projektes erforderlichen Eigenkapitalmittel einzunehmen.

Die ausgegebenen Coins sind mit bestimmten Rechten, Befugnissen und/oder Funktionalitäten ausgestattet, die es den Besitzern ermöglichen, beispielweise die Strategie des Emittenten durch Ausübung von Stimmrechten zu beeinflussen, einen etwaigen Gewinn des Emittenten durch Geltendmachung der auf den Coins hinterlegten Gewinnbezugsrechte zu beziehen oder die Dienstleistungen des Emittenten in gewissem Umfang durch Nutzung der auf den Coins hinterlegten Funktionalitäten in Anspruch zu nehmen. Denkbar und bereits vorgekommen ist es auch, dass die Käufer/Anleger lediglich auf eine Wertsteigerung der Coins spekulieren.

2. Vorteile für Start-ups

Die wichtigsten Vorteile sind:

  • Im Vergleich zu einer klassischen Finanzierungsrunde viel geringere Transaktionskosten im Verhältnis zum eingenommenen Kapital;
  • Abgesehen von der Programmierung der Coins, eine geringere Komplexität des Finanzierungsprozesses;
  • Potenziell um ein Vielfaches höhere Einnahmen, u. a. aufgrund des Crowdfunding-Charakters.

Insbesondere die in Anbetracht des hohen Einnahmepotenzials sehr geringen Transaktionskosten machen diese Finanzierungsvariante wirtschaftlich sehr attraktiv. Dennoch sollte ein ICO nur nach einer gründlichen Potenzialanalyse sowie in technischer und rechtlicher Hinsicht sorgfältig strukturiert durchgeführt werden.

3. Risiken für Investoren

Die potenziellen Gefahren für Anleger liegen auf der Hand:

  • Es handelt sich um einen Sektor, der je nach Strukturierung der ausgegebenen Coins noch völlig unreguliert sein kann, in dem jedoch teils um ein vielfaches höhere Summen bewegt werden als in einer üblichen Beteiligungsrunde - Finanzierungsvolumina im zweistelligen Millionenbereich sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel.
  • Unabhängig davon, ob es sich um einen sog. Pre-Sale (also einen vor dem eigentlichen ICO stattfindenden, begrenzten Verkauf von Coins zu häufig reduzierten Preisen) handelt oder nicht, investieren Anleger bei ICOs in aller Regel in einem extrem frühen Stadium. Daraus ergibt sich, wie auch bei klassischen Early Stage-Finanzierungen, ein hohes Totalverlustrisiko;
  • Mangels einer Due Diligence bzw. eines Prospektes ist die Informationslage für den Investor im Vergleich zu klassischen Beteiligungsformen weniger detailliert und gesichert;
  • Es ist ein Merkmal von ICOs, dass eine große Anzahl von Anlegern jeweils nicht allzu hohe Beträge investiert und dafür im Vergleich zu einer klassischen Venture Capital-Beteiligung nur sehr wenige Rechte erhält. Insofern besteht eine Parallele zu einem IPO. Um angesichts der immer weiteren Verbreitung von ICOs nicht marginalisiert zu werden, versuchen (spezialisierte) VC-Investoren, sich durch besondere vertragliche Abreden noch vor dem ICO vertragliche oder gesellschaftsrechtliche Sonderrechte einräumen lassen, welche die Rechtsstellung „einfacher“ Coin-Investoren beeinträchtigen können.
  • Die Emittenten haben ihren Sitz teilweise (dies gilt nicht für die Schweiz) in Jurisdiktionen, die eine Rechtsverfolgung erschweren. Dies gilt einerseits für rechtswidriges Verhalten im Zusammenhang mit dem Verkauf der Coins als auch für die Geltendmachung etwaiger mit den Coins verbundenen Rechte;
  • Sollte sich das Investment aufgrund rechtswidrigen Verhaltens zu einem späteren Zeitpunkt als wertlos herausstellen, ist es schwierig, jemanden dafür haftbar zu machen.

Diese Risiken sind allerdings sämtlich im Vorhinein bekannt oder sollten dies zumindest sein.

4. Der rechtliche Rahmen

Die Strukturierung der Coins bestimmt, welche gesetzlichen Regelungen auf den ICO Anwendung finden:

Handelt es sich bei den ausgegebenen Coins um Finanzinstrumente, so wird in der Fachliteratur diskutiert, ob und inwieweit die Prospektrichtlinie, die Finanzmarktrichtlinie, die Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFM-RiLi) sowie die Geldwäscherichtlinie einschließlich der jeweiligen Umsetzungsgesetze zu beachten sind. Derzeit ist ein sehr beliebter Sitz von Coin-Emittenten die Schweiz, namentlich der Kanton Zug, da die gesetzlichen Rahmenbedingungen für internationale Kapitalmaßnamen sehr liberal sind. Dort sind unter bestimmten Voraussetzungen das Bankgesetz und die einschlägigen aufsichtsrechtlichen Normen zu berücksichtigen.

In vertrags- und gesellschaftsrechtlicher Hinsicht ist die sog. Decentralized Autonomous Organization (DAO), eine Organisationsform die vermehrt als Coin-Emittentin auftritt, von besonderem Interesse. Die – bisher noch ungeklärte – Einordung dieser Organisation in vertrags- und/oder gesellschaftsrechtliche Kategorien entscheidet mit über die Rechte, die Anleger gegenüber einer DAO als Coin-Emittentin haben.

Schließlich gilt es bei der rechtlichen Planung eines ICOs die Frage nach dem zwischen dem Coin-Emittenten, den Anlegern und den Aufsichtsbehörden anwendbaren Recht in die Überlegungen einzubeziehen. Der Umstand, dass die Coins rein elektronisch und dezentral ausgegeben werden können, eröffnet diesbezüglich eine große Flexibilität. Gleichwohl ist nicht zu unterschätzen, dass die Wahl der Jurisdiktion, z. B. durch Begründung eines Gesellschaftssitzes in einem bestimmten Staat, Auswirkungen auf die Wahrnehmung des ICOs und/oder des dahinterstehenden Projektes bei den potenziellen Anlegern haben wird und deshalb nicht jedes „Schlupfloch“ hinsichtlich Steuerbelastung, Anforderungen an die Corporate Governance oder Compliance-Vorschriften genutzt werden sollte. Eine gute Reputation des Emittenten bzw. des Projektes ist immer noch eine wesentliche Voraussetzung eines gelungenen ICOs. Sie sollte nicht durch die Wahl einer Rechtsordnung von zweifelhaftem Ruf aufs Spiel gesetzt werden.

5. Fazit

ICOs bieten eine wirtschaftlich interessante Alternative zu klassischen VC-Finanzierungen. Die funktionale Strukturierung der auszugebenden Coins beeinflusst den rechtlichen Rahmen. In jedem Fall bietet die rechtliche Strukturierung eines ICOs aber (noch) große Flexibilität.

Aus Investorensicht wird zu beobachten sein, ob VCs den „normalen“ Anlegern im Rahmen von ICOs gleichgestellt (bleiben) werden oder es ihnen gelingt, z. B. durch eine Beteiligung im Vorfeld des ICO eine Sonderstellung unter den Investoren zu erreichen.

Aus juristischer Sicht sind steuerliche, gesellschaftsrechtliche und regulatorische Aspekte in die Strukturierung eines ICOs einzubeziehen. Im Übrigen spielt die öffentliche Wahrnehmung des Emittenten und/oder des zu finanzierenden Projektes eine entscheidende Rolle für den wirtschaftlichen Erfolg eines jeden ICOs. Diese hängt nicht zuletzt vom Grad der durch die Investoren wahrgenommenen Rechtssicherheit und der Reputation der anwendbaren Rechtsordnung ab.

Dr. Mario Weichel
(Rechtsanwalt)

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