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Haftung des Arbeitgebers bei Arbeitsunfällen – hohe Darlegungslast für Arbeitnehmer

Bundesarbeitsgericht vom 28. November 2019 - 8 AZR 35/19

Verletzen sich Arbeitnehmer bei einem Arbeitsunfall, wird der Arbeitgeber nur selten für die Verletzungsfolgen haftbar gemacht werden können. Grund hierfür ist das Haftungsprivileg zu Gunsten des Arbeitgebers bei Arbeitsunfällen mit Personenschaden gemäß § 104 Abs. 1 des siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII). Danach haftet der Arbeitgeber nur dann, wenn er den Arbeitsunfall vorsätzlich herbeigeführt hat, bezogen sowohl auf die Verletzungshandlung als auch auf den "Verletzungserfolg". Diesen "doppelten Vorsatz" hat der Arbeitnehmer vor Gericht darzulegen und ggf. zu beweisen.

Sachverhalt

Der Arbeitgeber betreibt ein Seniorenpflegeheim, dessen Gebäude sowohl über einen Haupt- und über einen Nebeneingang betreten werden kann. Der Weg vom Parkplatz zum Hauptgang wird im Winter bereits ab ca. 5.30 Uhr geräumt und gestreut, zum Nebeneingang hingegen erst gegen 8 Uhr. Im Dezember 2016 rutschte eine Pflegefachkraft kurz vor Arbeitsbeginn um ca. 7.30 Uhr auf dem Weg zum Nebeneingang aus, der sich auf dem Betriebsgelände befindet und weder geräumt noch gestreut war. Dabei erlitt sie eine Außenknöchelfraktur, die operativ behandelt werden musste und aufgrund einer Wundheilungsstörung letztlich zu einer Beweglichkeitseinschränkung führte. Die Mitarbeiterin forderte Schmerzensgeld in Höhe von mindestens EUR 10.000,00 und Ersatz materieller Schäden.

Die Entscheidung

Nach Auffassung des BAG kann sich der Arbeitgeber mit Erfolg auf das Haftungsprivileg gemäß § 104 Abs. 1 SGB VII berufen. Arbeitgeber sind danach nur dann zum Ersatz von Personenschäden verpflichtet, wenn sie den Arbeitsunfall vorsätzlich oder auf einem von der Unfallversicherung abgedeckten Weg herbeigeführt haben. Ein solcher sog. Wegeunfall liegt grundsätzlich nur außerhalb des Betriebsgeländes vor, wenn sich der Arbeitnehmer auf direktem Wege entweder von zu Hause zum Arbeitsort oder in umgekehrter Richtung befindet. Da sich der Sturz hier auf dem Betriebsgelände ereignete, ist kein Wegeunfall gegeben. Auch kann dem Arbeitgeber kein "doppelter Vorsatz" hinsichtlich des Arbeitsunfalls zu Last gelegt werden. Selbst wenn der Arbeitgeber Verkehrssicherungspflichten missachtet habe, indem er den Nebeneingang erst zu recht später Stunde räumte und streute, bedeutet dies allenfalls eine grob fahrlässige, nicht aber eine vorsätzliche Herbeiführung des Unfalls. Erst recht sei ihm kein vorsätzliches Handeln hinsichtlich des konkreten Verletzungserfolges vorzuwerfen. Gegenteiliges vermochte die Arbeitnehmerin nicht darzulegen.

Konsequenzen für die Praxis

Wieder einmal mehr zeigt sich, wie hoch nach der Rechtsprechung die Messlatte für die Bejahung einer Haftung des Arbeitgebers bei Arbeitsunfällen liegt. Zweck des Haftungsprivilegs gemäß § 104 Abs. 1 SGB VII ist, betriebliche Konfliktsituationen zu vermeiden, indem anstelle der privatrechtlichen Haftung des Arbeitgebers die Gesamthaftung der in der Berufsgenossenschaft zusammengeschlossenen Unternehmer tritt. Die privatrechtliche Haftung soll daher nur bei qualifizierten Pflichtverletzungen des Arbeitgebers als "Ausnahme von der Regel" greifen. Daher reicht auch der bloße Verstoß gegen bestehende Verkehrssicherungs- bzw. Schutzpflichten nicht aus, selbst wenn dem Arbeitgeber dahingehend Vorsatz vorzuwerfen ist. Denn er müsste auch vorsätzlich hinsichtlich des konkreten "Verletzungserfolgs" gehandelt haben, was jedoch von den Gerichten nur äußerst selten bejaht wird. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass der vom Arbeitsunfall betroffene Arbeitnehmer diesen "doppelten Vorsatz" im gerichtlichen Verfahren darzulegen und ggf. zu beweisen hat. Zaubert der Mitarbeiter nicht gerade beispielsweise E-Mail-Verläufe hervor, aus denen hervorgeht, dass der Arbeitgeber von bestimmten Gefahren im Betrieb Kenntnis hatte und eine Verletzung seiner Arbeitnehmer zumindest billigend in Kauf nahm, wird die Darlegungs- und Beweislast zum Problem.

Praxistipp

Angesichts der hohen Anforderungen des BAG können Arbeitgeber in aller Regel darauf vertrauen, nicht selbst für einen Arbeitsunfall haftbar gemacht zu werden. Dennoch empfiehlt es sich, Verkehrssicherungs- bzw. Schutzpflichten ernst zu nehmen und bei Kenntnis etwaiger Gefahren unverzüglich Gegenschritte einzuleiten. Auch sind regelmäßige Sicherheits-Schulungen auf allen Mitarbeiterebenen anzuraten. Dies gilt insbesondere für Betriebe, in denen Arbeitnehmer Umgang mit Gefahrenstoffen oder schweren Arbeitsgeräten haben. Arbeitgeber können so nicht nur das Risiko von Arbeitsunfällen im Vorfeld minimieren. Vielmehr stellen sie sich dadurch auch für ein mögliches Schadensersatzverfahren gut auf. Denn der Arbeitnehmer wird seiner ohnehin schon hohen Darlegungs- und Beweislast noch schwerer nachkommen können, wenn der Arbeitgeber ein vorbildliches Verhalten im Umgang mit Gefahrenmanagement aufweist.

Fragen hierzu beantwortet Elisabeth Miesen gerne.

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Arbeitgeberhaftung Arbeitsunfall Darlegungslast für Arbeitnehmer Verletzungsfolgen Arbeitsunfall mit Personenschaden Haftungsprivileg