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Auswirkungen der geplanten Senkung der Umsatzsteuersätze auf die Immobilienbranche

1. Einleitung

Der Koalitionsausschuss der Bundesregierung hat am 3. Juni ein Konjunkturpaket „Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken“ beschlossen. Am 12. Juni hat die Bundesregierung dazu den Regierungsentwurf des „Zweites Corona-Steuerhilfegesetz“ vorgelegt.

Voraussichtlich am 29. Juni soll das Gesetz im Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden.

Dieser Gesetzesentwurf sieht unter anderem die Senkung der Umsatzsteuersätze von 19 Prozent auf 16 Prozent, bzw. von 7 Prozent auf 5 Prozent für den Zeitraum 1. Juli bis 31. Dezember 2020 vor.

In Folge der Kurzfristigkeit der geplanten Gesetzesänderung sind Unternehmer nunmehr gezwungen, sich auf diese Umsatzsteuersenkung äußerst schnell vorzubereiten. Das Bundesfinanzministerium hat dazu am 15. Juni den ersten und am 23. Juni einen zweiten Entwurf eines Anwendungsschreibens veröffentlicht. Nachfolgend möchten wir unsere bisherigen Informationsschreiben vom 10. und 19. Juni 2020 aktualisieren und einige grundlegende Hinweise insbesondere für die Immobilienbranche geben. Wir gehen davon aus, dass die im 2. Entwurf des BMF-Schreibens dargestellten Vereinfachungsreglen mit dessen offizieller Veröffentlichung nicht wieder zurückgenommen werden.

2. Grundlagen

§ 27 (1) UStG schreibt im Falle von Steuersatzänderungen die Anwendung des Umsatzsteuersatzes vor, der zu dem Zeitpunkt gilt, in dem die Leistung ausgeführt wird. Erfolgt also die Ausführung einer Leistung bis 30. Juni 2020, ist der Steuersatz von 19 Prozent (bzw. 7 Prozent) anzuwenden. Für ab dem 1. Juli 2020 ausgeführte Leistungen erfolgt die Umsatzbesteuerung mit 16 Prozent bzw. 5 Prozent. Ab dem 1. Januar 2021 soll sich dies wieder umkehren. Diese Regelung gilt auch für die Ausführung von Teilleistungen.

In der Rechnung ist der Zeitpunkt der Ausführung der Leistung anzugeben (§ 14 (4) Nr. 6 UStG). Wird eine Leistung für einen Zeitraum erbracht, gilt die Leistung mit dem Ende dieses Zeitraums als ausgeführt. Wird eine Leistung beispielsweise im Juni 2020 begonnen und im Juli 2020 abgeschlossen, gilt sie umsatzsteuerlich im Juli als ausgeführt. In diesem Fall wäre also der Steuersatz von 16 Prozent (bzw. 5 Prozent) maßgeblich.

Im Falle von An-, Abschlags-, Vorauszahlungen oder Vorschüssen entsteht die Steuer gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 a Satz 4 UStG, wenn das Entgelt vereinnahmt wird. Nach § 27 (1) Satz 2 UStG gilt allerdings derjenige Steuersatz, der bei tatsächlicher Ausführung der (Teil-)Leistung anzuwenden ist.

Wird also eine Abschlagsrechnung im Juni gestellt und der Rechnungsbetrag noch im Juni vereinnahmt, sind ist grundsätzlich zunächst weiterhin mit 19 Prozent bzw. 7 Prozent abzurechnen. Es bestehen allerdings keine Bedenken schon 16 Prozent bzw. 5 Prozent Umsatzsteuer zu berechnen und abzuführen, wenn die (Teil-)Leistung erst im Juli ausgeführt wird. Sollten bereits Abschlagsrechnungen mit 19 Prozent bzw. 7 Prozent gestellt und vereinnahmt worden sein, sieht § 27 (1) Satz 3 UStG eine Berichtigung mit der Schlussrechnung für die (Teil-)Leistung im Juli vor.

Im 2. Entwurf des BMF-Schreibens wird nun klargestellt, dass auch der Vorsteuerabzug von 19 Prozent bzw. 7 Prozent auf Abschlagsrechnungen, die vor Juli gestellt und bezahlt wurden entsprechend möglich bleibt, wenn alle anderen notwendigen Voraussetzungen zum Vorsteuerabzug erfüllt sind und die Berichtigung in der Schlussrechnung für diese (Teil-)Leistung, die zwischen Juli und Dezember 2020 ausgeführt wird, erfolgt.

Inwieweit sich durch die Minderung und später bei der Erhöhung der Umsatzsteuersätze Preisänderungen in Verträgen ergeben, hängt von der individuellen vertraglichen Gestaltung ab. Dies ist keine umsatzsteuerrechtliche, sondern eine zivilrechtliche Frage. § 29 UStG sieht, wenn nichts anderes vereinbart ist, zumindest für langfristige Verträge grundsätzlich einen Anspruch auf Ausgleich der umsatzsteuerlichen Mehr-/Minderbelastung vor, wenn die Vertragsparteien einen Vertrag nicht später als vier Monate vor Inkrafttreten einer Umsatzsteuersatzänderung, d.h. vorliegend vor dem 31. März 2020, unter Berücksichtigung eines anderen Umsatzsteuersatzes abgeschlossen haben.

Neben der rechtlichen Umsetzung der befristeten Steuersatzänderungen ist die technische Umstellung z. B. in Buchhaltungs-, ERP- und elektronischen Kassensystemen von großer Bedeutung. Diese Systeme derart kurzfristig um- und dann wieder zurückzustellen, stellt eine besondere Herausforderung für die Unternehmen dar.

3. Generelle Vereinfachungsregel im 2. Entwurf des BMF-Schreibens

Im Rahmen der Abrechnung zwischen umsatzsteuerlichen Unternehmern sieht der 2. Entwurf des BMF-Schreibens eine Vereinfachungsregel vor. Demnach wird es für Leistungen, die im Juli 2020 erbracht werden und die fälschlicherweise noch mit 19 Prozent bzw. 7 Prozent abgerechnet werden, nicht beanstandet, wenn keine Berichtigung der Umsatzsteuer erfolgt. Für diesen Fall wird dem Leistungsempfänger auch der Vorsteuerabzug - bei ansonsten richtiger Behandlung in der Unternehmenskette - unverändert gewährt. Dies stellt allerdings nur dann eine Erleichterung für alle Beteiligten dar, wenn der Leistungsempfänger zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist. Das ist bei Immobilienunternehmen allerdings häufig nicht der Fall.

4. Ausweisfragen in den Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen

Umsätze zu 16 Prozent bzw. 5 Prozent werden gemeinsam in den jeweiligen Zeilen für steuerpflichtige Umsätze zu anderen Steuersätzen ausgewiesen. Berichtigungen der ursprünglich zu 19 Prozent bzw. 7 Prozent angemeldeten Umsätze werden negativ in den jeweiligen Zeilen für steuerpflichtige Umsätze zum Steuersatz von 19 Prozent bzw. 7 Prozent ausgewiesen. Berichtigungen des Vorsteuerabzugs sind insoweit ebenfalls negativ in den jeweiligen Zeilen der Erklärungen zu berücksichtigen.

5. Bedeutung für die Immobilienbranche

Die Umsatzsteuersatzänderungen wirken sich in einigen Bereichen besonders auf die Immobilienbranche aus.

5.1 Grundstücks-Mietverträge

Mietverträge betreffen Leistungen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Sie gehören daher zu den sog. Dauerleistungen. Diese gelten als ausgeführt, wenn der vereinbarte Leistungszeitraum endet. Mietverträge sehen dabei i.d.R. monatliche Teilleistungen vor, die jeweils als am Monatsende ausgeführt gelten.

Bei Mietverhältnissen, in denen zur Umsatzsteuer gem. § 9 Abs. 2 UStG optiert wurde, ist die Junimiete mit 19 Prozent Umsatzsteuer zu fakturieren. Für die Monate Juli bis Dezember 2020 werden auf die Miete 16 Prozent und ab Januar 2020 wieder 19 Prozent Umsatzsteuer fällig.

Es wird empfohlen, die Verträge daraufhin zu überprüfen, wie die Ausübung der Option formuliert wurde. Häufig finden sich z.B. folgende Formulierungen:

a) Netto-Miete zzgl. gesetzlicher Umsatzsteuer, ggf. mit dem Zusatz zur Zeit 19 Prozent

b) Netto-Miete zzgl. 19 Prozent

c) Brutto-Miete inkl. Umsatzsteuer

Bei der geplanten Änderung der Umsatzsteuersätze sollte die Formulierung a) unproblematisch sein. Die Formulierungen b) und c) sollten überprüft und angepasst werden. Hinsichtlich möglicher Ausgleichsansprüche nach § 29 UStG wird auf die Ausführungen unter Abschnitt 2 verwiesen.

Soweit Mietverträge als Rechnung dienen oder Dauerrechnungen - jeweils mit allen notwendigen Rechnungsbestandteilen nach § 14 (4) UStG - ausgestellt wurden, sind diese ab dem Leistungszeitraum Juli 2020 und wieder ab dem Leistungszeitraum Januar 2021 zu überprüfen und ggfs. anzupassen.

5.2 Nebenkostenabrechnung

Die auf den Mieter umlegbaren Nebenkosten der Vermietung folgen als Nebenleistung der Hauptleistung der Vermietung. Bei Option zur Umsatzsteuer bei der Vermietung erfolgt auch die Fakturierung der Nebenkosten umsatzsteuerpflichtig. Üblicherweise werden monatliche Nebenkostenvorauszahlungen gefolgt von einer Nebenkostenabrechnung für das Kalenderjahr vereinbart.

Diese Nebenkostenabrechnung ist keine Schlussrechnung für das Kalenderjahr, die insgesamt mit 16 Prozent umsatzsteuerpflichtig ist. Dadurch, dass eine monatliche Mietzahlung in der Regel für eine monatlich bestimmte Teilleistung erfolgt und die Nebenkosten als Nebenleistung umsatzsteuerlich der jeweiligen Teilleistung folgen, kommt es mit der jährlichen Nebenkostenabrechnung zu 12 monatlichen Teilabrechnungen, die jeweils mit dem für diesen Monat gültigen Umsatzsteuersatz zu versteuern sind. Für das Jahr 2020 kommt es deshalb – voraussichtlich – zu sechs Teilabrechnungen für Januar bis Juni 2020, die einem Umsatzsteuersatz von 19 Prozent unterliegen und zu weiteren sechs Teilabrechnungen für Juli bis Dezember 2020, die einem Umsatzsteuersatz von 16 Prozent unterliegen. Zur Abgrenzung müsste theoretisch eine präzise Zwischenabrechnung auf den 30. Juni 2020, z.B. mit entsprechender Ermittlung von Zählerständen von Strom und Wasser, erfolgen. Es bleibt zu hoffen, dass das Bundesfinanzministerium hier eine pragmatische Vereinfachung zulässt (z.B. eine Aufteilung 50/50). Der 2. Entwurf des BMF-Schreibens enthält dazu noch keine Regelungen. Für einen Mieter, der aus einer Rechnung des Vermieters zum vollen Vorsteuerabzug -berechtigt ist, entsteht insoweit weder ein Vorteil noch ein Nachteil, wenn eine derartige Vereinfachungsregel zugelassen wird.

5.3 Vorsteuerabzug bei Abschlagsrechnungen von Versorgern

Versorger rechnen in der Regel zum Kalenderjahresende ab und stellen monatliche Abschläge in Rechnung. Diese Abschläge wurden bisher mit 19 Prozent bzw. 7 Prozent fakturiert. Da deren Leistung dann jedoch zum 31. Dezember 2020 als ausgeführt gilt, kommt insoweit insgesamt der Steuersatz von 16 Prozent bzw. 5 Prozent zur Anwendung. Die Berichtigung der gesamten Umsatzsteuer kann in der Schlussabrechnung erfolgen. Der Vorsteuerabzug auf die Abschläge mit 19 Prozent bzw. 7 Prozent bleibt weiter möglich.

Der 2. Entwurf des BMF-Schreibens erlaubt verkürzte Abrechnungszeiträume im Zeitraum Juli 2020 – Dezember 2020, damit (nicht bzw. nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigte) Leistungsempfänger in den Genuss des niedrigeren Umsatzsteuersatzes kommen, wenn der reguläre Abrechnungszeitraum nach dem 31. Dezember 2020 endet. Dabei bedarf es nicht zwingend der Ermittlung eines Zählerstandes. Es kann vereinfachend eine Abgrenzung nach Tagen vorgenommen werden. Erfolgt allerdings die Ermittlung des Zählerstandes dann später als drei Monate nach der Zwischenabrechnung, sollte eine Gewichtung vorgenommen werden, um Verbrauchunterschiede zu berücksichtigen. Bestehen solche Verbrauchunterschiede definitiv nicht, kann auf die Gewichtung dann wieder verzichtet werden. Es ist anzuraten, dass nicht bzw. nicht voll vorsteuerabzugsberechtigte Leistungsempfänger auf die Versorger diesbezüglich einwirken. Nicht bzw. nicht voll vorsteuerabzugsberechtigte Mieter sollten dies mit ihrem Vermieter klären.

5.4 Bauleistungen

Bauleistungen sind Werklieferungen oder -leistungen und ziehen sich typischerweise über einen längeren Zeitraum hin. Daher wird häufig die Abrechnung von Teilleistungen sowie An-, Abschlags-, Vorauszahlungen oder Vorschüsse vereinbart.

5.4.1 Teilleistungen bei Bauleistungen

Teilleistungen sind wirtschaftlich abgrenzbare Teile einer einheitlichen Leistung, für die das Entgelt gesondert vereinbart und abgerechnet wird. Bei Werklieferungen, die als Teilleistung vor dem 1. Juli 2020 abgenommen worden sind, bzw. bei Werkleistungen, die als Teilleistung vor dem 1. Juli 2020 vollendet worden sind erfolgt die Abrechnung dann noch mit 19 Prozent bzw. 7 Prozent.

Es ist zu empfehlen, bestehende Verträge hinsichtlich vereinbarter Teilleistungen und des jeweils anzuwendenden Umsatzsteuersatzes zu überprüfen. Eventuelle Anpassungen müssen vor Inkrafttreten der Umsatzsteuersatzänderung, mithin noch im Juni 2020, bzw. wieder im Dezember 2020 erfolgen.

5.4.2 Anzahlungen und Vorschüsse

Wie bereits in Abschnitt 2 und 5.4 erläutert, ist für An-, Abschlags-, Vorauszahlungen und Vorschüsse derjenige Steuersatz anzuwenden, der gilt, wenn die (Teil-)Leistung ausgeführt wird. Das Datum der Rechnungsausstellung ist nicht relevant. Für Abschläge auf (Teil-)Leistungen, die im Juli bis Dezember ausgeführt werden und die bis Juni abgerechnet und bezahlt werden, bleibt die Abrechnung mit 19 Prozent bzw. 7 Prozent möglich, wenn mit Ausführung der Leistung die Berichtigung erfolgt. Auch der Vorsteuerabzug bleibt möglich. Allerdings sind auch Abschläge mit 16 Prozent bzw. 5 Prozent in diesen Fällen bereits zulässig.

5.4.3 Überprüfung der Preisgestaltung aufgrund der Änderung der Umsatzsteuersätze

Vertragliche Regelungen zur Umsatzsteuer sollten auch bei langlaufenden Bauleistungen überprüft werden (bzgl. möglicher Ausgleichsansprüche s.o. Abschnitt 2).

6. Fazit

Es ist dringend zu empfehlen, im Unternehmen umgehend alle notwendigen Vorbereitungen für die befristete Absenkung der Umsatzsteuersätze zu treffen. Die voraussichtlich verbleibende Zeit bis zu Inkrafttreten der geplanten Gesetzesänderung ist äußerst kurz, so dass die Umsetzung aller notwendigen Änderungen in den Verträgen und betrieblichen Prozessen und trotz bestehender Unsicherheiten keinen Aufschub duldet.

Der 2. Entwurf des BMF-Schreibens enthält nun einige Vereinfachungsregeln, die die Umstellung erleichtern können. Auf Grund der Komplexität der Thematik verbleibt gleichwohl zu verschiedenen Praxisfragen weiterhin Klärungsbedarf.

BEITEN BURKHARDT steht Ihnen bei allen steuerrechtlichen und zivilrechtlichen Fragen gerne zur Verfügung und unterstützt Sie auch bei Fragen der technischen Umsetzung z.B. in Buchhaltungssystemen.

Jens Müller

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