Der Begriff „Digitaler Nachlass“ umfasst die Gesamtheit des digitalen Vermögens, also insbesondere Internet-Accounts des Erblassers, sämtliche im Internet und auf der Hardware des Erblassers gespeicherten Daten sowie alle in Bezug auf digitale Dienstleistungen bezogenen Verträge. Damit umfasst der Begriff des digitalen Nachlasses insbesondere E-Mail-Accounts, Profile in sozialen Netzwerken (z. B. Facebook oder Instagram) und Accounts bei Chat- und Messenger-Diensten sowie auf Handelsplattformen wie bspw. Amazon oder eBay. Darüber hinaus zählen auch Verträge bei Onlinediensten, wie bspw. Netflix oder Amazon Prime, sowie eigene Websites oder Blogs dazu.
Im Zusammenhang mit dem digitalen Nachlass wurden in den letzten Jahren verschiedene Themen kontrovers diskutiert. Zunächst stellen sich allgemeine weichenstellende Fragen, wie: „Welches Recht ist anwendbar? Welche Gerichte sind international zuständig?“. Sodann steht im Mittelpunkt der Diskussionen stets die Frage, welche vom digitalen Nachlass erfassten Rechtspositionen im Wege der erbrechtlichen Rechtsnachfolge auf den Erben übergehen. Dabei ist zu beachten, inwieweit das postmortale Persönlichkeitsrecht, das Datenschutzrecht oder das Fernmeldegeheimnis sich auf den Übergang der Rechtspositionen auswirken.
Ausdrückliche Regelungen für den digitalen Nachlass existieren nicht, weshalb Anbieter in der Praxis sehr unterschiedlich mit den Accounts von Verstorbenen umgehen.
1. Digitaler Nachlass und postmortales Persönlichkeitsrecht
Es stellt sich die Frage, wie bzw. ob sich das postmortale Persönlichkeitsrecht des Erblassers auf den digitalen Nachlass auswirkt. Zum Teil wird in der Literatur davon ausgegangen, dass das postmortale Persönlichkeitsrecht des Erblassers die Vererblichkeit bestimmter Teile des digitalen Nachlasses ausschließt. Dies betrifft insbesondere Daten mit nicht vermögensbezogenem und höchstpersönlichem Inhalt. Private E-Mails sind nach dieser Ansicht bspw. nicht vererblich. Dabei stellt sich allerdings das Problem, dass erst nach Sichtung einer E-Mail erkennbar ist, ob diese privat oder geschäftlich ist. Die vorherrschende Meinung geht jedoch davon aus, dass die Vererblichkeit des digitalen Nachlasses nicht durch das postmortale Persönlichkeitsrecht eingeschränkt wird.
2. Digitaler Nachlass und Fernmeldegeheimnis
Diskutiert wurde des Weiteren, inwiefern sich das Fernmeldegeheimnis aus Art. 10 Grundgesetz (GG) bzw. seine einfachgesetzliche Ausprägung in § 88 Telekommunikationsgesetz (TKG) auf die Vererblichkeit des digitalen Nachlasses auswirkt. Das Fernmeldegeheimnis könnte sich insbesondere auf sämtliche Bereiche des digitalen Nachlasses auswirken, die im Zusammenhang mit Telekommunikation stehen. Dazu zählen insbesondere E-Mails und andere Nachrichten des Erblassers (z. B. WhatsApp, Facebook usw.). Im Ergebnis geht die herrschende Meinung davon aus, dass eine Vererbung des digitalen Nachlasses ohne einen Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis möglich ist. Dies wird unter anderem damit begründet, dass dafür bereits ein Vergleich mit der Offline-Welt spreche: Briefe können vererbt werden, ebenso darf die Post den Erben die an den Erblasser adressierte Post zustellen und Zugang zu Postsendungen oder einem Postfach gewähren.
3. Digitaler Nachlass und Datenschutzrecht
Viele Diskussionen der letzten Jahre beschäftigten sich zudem mit der Frage, wie sich die Datenschutzgesetze und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auf die Frage der Vererblichkeit des digitalen Nachlasses auswirken. Die herrschende Meinung in der Literatur hat in den letzten Jahren bereits die Auffassung vertreten, dass das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung die Vererblichkeit des digitalen Nachlasses nicht einschränken. Als Argument dafür wurde unter anderem angeführt, dass datenschutzrechtliche Bestimmungen dann keine Anwendung fänden, wenn die Datennutzung ausschließlich für persönliche oder familiäre Tätigkeiten erfolge. Auch wurde argumentiert, dass das BDSG auf die Daten Verstorbener nicht anwendbar sei.
4. Digitaler Nachlass und Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)
Im Zusammenhang mit der Frage der Vererblichkeit des digitalen Nachlasses stellt sich darüber hinaus die Frage, inwieweit Anbieter durch AGB-Regelungen den digitalen Nachlass und seine Vererblichkeit einschränken können. In der Literatur wurde in den letzten Jahren ausführlich die Wirksamkeit verschiedener Klauseln zum digitalen Nachlass diskutiert. In diesem Zusammenhang finden sich zahlreiche Klauseln in AGBs zur Vertragsbeendigung beim Tod eines Nutzers.
Mit einigen dieser Streitpunkte hatte sich nunmehr der BGH in seiner „Facebook-Entscheidung“ zu befassen.
Der Entscheidung des BGH lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Im Jahr 2012 verstarb ein 15-jähriges Mädchen (die „Erblasserin“) in einem Berliner U-Bahnhof, indem es von einer einfahrenden U-Bahn erfasst wurde. Die Mutter der Erblasserin (die „Klägerin“) begehrt von Facebook Zugang zu dem Account ihrer Tochter in der Hoffnung, durch die dortigen Kommunikationsdaten ihrer Tochter Aufschluss darüber zu erhalten, ob es sich um einen Unfall oder um einen Suizid handelte (und um Schadensersatzansprüche des U-Bahn-Fahrers abzuwenden). Obgleich die Eltern der Erblasserin nach eigenen Angaben über die Zugangsdaten der Erblasserin verfügten, da diese sie ihnen zu Lebzeiten überlassen hatte, konnten sie sich nicht in den Account der Erblasserin einloggen, da dieser wenige Tage nach dem Versterben der Erblasserin von Facebook in einen Gedenkzustand versetzt worden war. Dies bedeutet, dass die bisherigen Freunde des Account-Inhabers weiterhin die Seite betrachten und dort Kommentare hinterlassen können, ein Einloggen aufgrund der Stilllegung aber nicht mehr möglich ist. Die Versetzung in den Gedenkzustand war ohne Zutun und Kenntnis der Eltern der Erblasserin durch einen Bekannten der Erblasserin veranlasst worden.
Das Landgericht Berlin (LG) gab mit Urteil vom 17. Dezember 2015 (Az. 20 O 172/15) der Klage statt. Es ging davon aus, dass auch nicht-vermögensrechtliche Teile des digitalen Nachlasses vererbbar sind und dass einer Zugangsgewährung weder Vorschriften des Datenschutzes noch Persönlichkeitsrechte Dritter entgegenstehen.
Dagegen wies das Kammergericht Berlin (KG) die Klage in 2. Instanz mit Urteil vom 31. Mai 2017 (Az. 21 U 9/16) ab. Nach Auffassung des KG steht einer Zugangsgewährung das Fernmeldegeheimnis entgegen, solange nicht alle Kommunikationspartner der Erblasserin der Zugangsgewährung zugestimmt haben. Denn diese dürften berechtigterweise darauf vertrauen, dass die privat geführte Korrespondenz privat bleibe.
Der BGH hat nunmehr zugunsten der Klägerin entschieden, dass Facebook den Erben der Erblasserin Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu gewähren hat. Mit dieser wegweisenden Entscheidung hat der BGH Klarheit zugunsten der Geltung des Erbrechts geschaffen und für einen Gleichklang zwischen analogem und digitalem Nachlass gesorgt: Das digitale Konto in einem sozialen Netzwerk geht demnach ebenso auf die Erben über wie Briefe.
Begründet hat der BGH seine Entscheidung damit, dass der Nutzungsvertrag zwischen Facebook und der Erblasserin im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf deren Erben übergegangen sei. Die Vererblichkeit sei nicht durch vertragliche Bestimmungen ausgeschlossen worden und folge auch nicht aus dem Wesen des Vertrages; insbesondere sei dieser nicht höchstpersönlicher Natur. Denn die ganze Kommunikation bei Facebook sei kontenbezogen und nicht personenbezogen. Dementsprechend bestehe kein schützenswertes Vertrauen darauf, dass nur der Kontoinhaber und keine Dritten von Nachrichten Kenntnis erlangen. Ebenso, wie zu Lebzeiten mit Missbrauch oder Zugangsgewährung durch den Berechtigten gerechnet werden müsse, müssten die Kommunikationspartner der Erblasserin auch damit rechnen, dass das Vertragsverhältnis im Todesfall vererbt wird. Dabei unterscheidet der BGH auch nicht zwischen vermögenswerten und höchstpersönlichen Inhalten, sondern zieht insoweit die Parallele zu Tagebüchern und persönlichen Briefen, die ebenfalls vererbt werden. Einen Ausschluss der Vererblichkeit aufgrund des postmortalen Persönlichkeitsrechts der Erblasserin hat der BGH ebenfalls verneint.
In datenschutzrechtlicher Hinsicht hatte der BGH die seit 25. Mai 2018 geltende Europäische Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) anzuwenden. Nach der Entscheidung des BGH steht diese einer Vererbbarkeit ebenfalls nicht entgegen. Da die Verordnung nur lebende Personen schütze, seien Belange der Erblasserin nicht betroffen. Die Verarbeitung von Daten der Kommunikationspartner sei ebenfalls zulässig aufgrund berechtigter überwiegender Interessen der Erben. Einen Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis bzw. § 88 TKG hat der BGH mit der Begründung verneint, der Erbe sei kein „anderer“ im Sinne des § 88 Abs. 3 TKG, dem Kenntnis verschafft werde, sondern trete vollständig in die Position des Erblassers als ursprünglichem Account-Inhaber ein.
Im Rahmen der Nachlassplanung sollten von jedem Erblasser in Zukunft auch Überlegungen zur Regelung des digitalen Nachlasses angestellt werden. Der Erbe tritt auch im Hinblick auf alle Online-Rechtsbeziehungen und digitalen Daten in die Rechte und Pflichte des Erblassers ein. Jeder Erblasser kann demnach auch Regelungen zu seinem digitalen Nachlass treffen. Inzwischen bietet Facebook – eben- so wie einige andere Anbieter – die Möglichkeit an, in den Konto-Einstellungen anzugeben, was nach dem Tod mit dem Konto geschehen soll. Gerade bei sehr privaten oder persönlichen Äußerungen über Facebook etc. möchte man als Erblasser ggf. nicht, dass diese von den Erben einsehbar sind und gelesen werden können.
Vor allem sollte man in einem Testament etwaige bestehende Wünsche für die Nachfolge in den digitalen Nachlass als verbindliche Regelungen aufnehmen. Sofern der digitale Nachlass oder Teile desselben gegenüber den Erben geheim gehalten werden sollen, kann ein Testamentsvollstrecker eingesetzt werden. Diesem können konkrete und bindende Verwaltungsanordnungen aufgegeben werden.
Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, einem Bevollmächtigten Zugriff auf sämtliche digitalen Konten zu ermöglichen. Die entsprechenden Regelungen können bspw. auch in eine Vorsorge- oder Generalvollmacht integriert werden. Diese Vollmacht sollte in jedem Fall transmortal, d. h. über den Tod hinaus, erteilt werden, da nach dem Erbfall in der Regel ein schnelles Handeln von Bedeutung ist. In tatsächlicher Hinsicht ist daran zu denken, dass dem Erben oder Bevollmächtigten die Arbeit deutlich erleichtert wird, wenn dieser Zugriff auf die Passwörter erlangen kann. Wegen der damit verbundenen Missbrauchsgefahren sollten die Passwörter jedoch weder im Testament, noch in der Vorsorgevollmacht aufgeführt werden.
Für die Erstellung entsprechender Dokumente sowie für eine ausführlichere Beratung können Sie sich selbstverständlich gerne an uns wenden.
Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, kontakieren Sie gerne Katharina Fink und Dr. Julia Thöle.