Bundesarbeitsgericht (BAG) vom 14. Juni 2017 − 10 AZR 330/16
Der Arbeitnehmer wollte einer Versetzung von Dortmund nach Berlin nicht Folge leisten, obwohl das Weisungsrecht des Arbeitgebers eine Versetzung generell ermöglichte. Als Argument führte der Mitarbeiter u. a. an, dass seine Interessen nicht ausreichend berücksichtigt worden seien und die Weisung wegen „Unbilligkeit“ nicht befolgt werden müsse. Er verweigerte die Arbeitsaufnahme in Berlin. Die Vorinstanz gab dem Arbeitnehmer Recht.
Der 10. Senat des BAG möchte sich der Auffassung der Vorinstanz anschließen und vertreten, dass Arbeitnehmer einer unbilligen Weisung des Arbeitgebers nicht – und auch nicht nur vorläufig bis zu einer gerichtlichen Klärung – folgen müssen. Damit will sich der 10. Senat gegen die bisherige Rechtsprechung des 5. Senats stellen. Nach bisheriger Auffassung des 5. Senats (Urteil vom 22. Februar 2012 – 5 AZR 249/11) haben Arbeitnehmer Weisungen zu befolgen, auch wenn sie diese für unbillig halten. Dies gilt, so lange nicht die Unbilligkeit der Weisung rechtskräftig festgestellt ist. Kommt der Mitarbeiter der Weisung nicht nach, so riskiert er nicht nur seinen Lohnanspruch, sondern auch eine Abmahnung oder gar Kündigung. Erst mit rechtskräftiger Feststellung, dass die Weisung unbillig ist – so der 5. Senat nach bisheriger Auffassung –, besteht für den Arbeitnehmer nicht mehr die Pflicht, der Weisung zu folgen. Um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu wahren, hat der 10. Senat nun beim 5. Senat angefragt, ob Letzterer an seiner bisherigen Auffassung festhalte. Sollte keine Einigkeit zwischen den Senaten zu erzielen sein, so wird der Große Senat des BAG in der Sache zu entscheiden haben. Ob der 5. Senat an seiner bisherigen Auffassung festhalten wird, ist schwer absehbar, zumal sich u. a. der Vorsitz im 5. Senat seit dem letzten Urteil in dieser Frage personell entscheidend verändert hat.
Arbeitnehmer haben Weisungen des Arbeitgebers zu befolgen, solange sie nicht wegen eines Verstoßes gegen Arbeitsvertrag, einschlägige Kollektivregelungen (Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag) oder gegen das Gesetz unwirksam sind. Weisungen müssen sich ferner im Rahmen „billigen Ermessens“ halten und dürfen insgesamt nicht „unbillig“ sein. Entsprechend hat der Arbeitgeber die wesentlichen Umstände des Falles abzuwägen und für die Entscheidungsfindung die beiderseitigen Interessen angemessen zu berücksichtigen. Es liegt auf der Hand, dass bei einem solchen Abwägungsprozess leicht Uneinigkeit entsteht. Darüber haben letztlich die Arbeitsgerichte zu entscheiden. Von hoher Bedeutung aber ist die Frage, wie sich Arbeitnehmer in der Zeit bis zur gerichtlichen Klärung der Billigkeit einer erteilten Weisung zu verhalten haben: Müssen sie zunächst einmal der Weisung Folge leisten oder können sie sich der Weisung widersetzen, indem sie „Unbilligkeit“ anführen? Die Entscheidung des 10. Senats betrifft diese praktisch sehr relevante Frage. Bis Einigkeit der Senate erzielt ist oder der Große Senat des BAG eine Entscheidung getroffen haben wird, besteht nun in der Praxis Rechtsunsicherheit.
Arbeitgeber müssen bei der Weisungserteilung besonderes Augenmerk auf die sorgfältige Abwägung der beiderseitigen Interessen legen. Gerade wenn es um Weisungen zur überörtlichen Versetzung geht, sollten Arbeitgeber keinen „Schnellschuss” riskieren. Zusätzlich ist der vorsorgliche Einsatz der Änderungskündigung zu erwägen: Der neue Arbeitsort wird nicht per Weisung angeordnet, sondern der bisherige Arbeitsvertrag wird gekündigt und zugleich wird ein neuer Arbeitsvertrag mit konkreter Bezeichnung des neuen Arbeitsortes angeboten. Sofern der Arbeitnehmer die dadurch geänderten Bedingungen unter Vorbehalt annimmt, ist er auch zur „einstweiligen Befolgung” der Weisung verpflichtet. Sollten Sie Fragen zu diesem Thema haben, steht Ihnen Herr Dr. Gerald Peter Müller gerne zur verfügung.