Landesarbeitsgericht Düsseldorf vom 9. Januar 2024 – 3 Sa 529/23
Wird ein Betrieb nicht auf einmal, sondern schrittweise stillgelegt, bleibt eine Sozialauswahl bis zur vorletzten Etappe notwendig. Die Sozialauswahl hat sich dabei auf die Tätigkeiten zu fokussieren, die bestehen bleiben oder als Abwicklungstätigkeiten neu aufkommen.
Ein Unternehmen aus der Aluminiumfertigung beabsichtigte die Tätigkeit an der einzigen Betriebsstätte einzustellen. Die Betriebsstilllegung sollte in zwei Schritten erfolgen. Im ersten Schritt wurde der Großteil der rund 600 Beschäftigten gekündigt. Für 53 Arbeitnehmer:innen war eine spätere Beendigung vorgesehen. Diese Arbeitnehmer:innen wurden mit Abwicklungstätigkeiten betraut. Für die zwischen beiden Beschäftigtengruppen erforderliche Sozialauswahl hatte das Unternehmen auf die ursprünglich von den Arbeitnehmer:innen ausgeübten Tätigkeiten abgestellt.
Eine Arbeitnehmer, der von der ersten Kündigungswelle erfasst wurde, wehrte sich gegen die Kündigung. Er berief sich dabei auf eine fehlerhafte Vergleichsgruppenbildung bei der Sozialauswahl und eine nicht ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige gegenüber der Agentur für Arbeit.
Die Richter am Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf gaben der Kündigungsschutzklage statt. Die Fehler des Arbeitgebers bei der Sozialauswahl schlagen zwar nicht auf die Wirk-samkeit der Massenentlassungsanzeige durch. Sie stehen jedoch als solches – im Rahmen des allgemeinen Kündigungsschutzes – der Wirksamkeit der Kündigung entgegen.
Bislang liegen noch keine Entscheidungsgründe des LAG vor. Absehbar ist jedoch bereits Folgendes:
Die Entscheidung hält Arbeitgeber:innen vor Augen, dass auch bei etappenweisen Betriebs-schließungen eine Sozialauswahl zu erfolgen hat. Erst auf der letzten Etappe, bei betriebsbe-dingter Kündigung der noch verbliebenen Belegschaft, ist eine Sozialauswahl entbehrlich.
Gemäß § 1 Abs. 3 KSchG haben Arbeitgeber:innen demnach bei der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer:innen die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung der Arbeitnehmer:innen ausreichend zu berücksichtigen. Andernfalls ist eine betriebsbedingte Kündigung bereits aus diesem Grund unwirksam.
Zugleich hält die Entscheidung für Arbeitgeber:innen einen positiven Aspekt bereit. An sich müssen Arbeitgeber:innen der Agentur für Arbeit bei der Massenentlassungsanzeige gem. § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 KSchG die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassen-den Arbeitnehmer mitteilen. Liegen dieser Mitteilung "falsche" Kriterien zugrunde, macht dies die Massenentlassungsanzeige nicht unwirksam.
Das Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG birgt bekanntlich viele Fallstricke. Nicht nur die Behörde, auch der Betriebsrat ist über zahlreiche Gesichtspunkte der geplanten Entlassung zu unterrichten, Fristen und Formerfordernisse sind zu beachten.
Arbeitgeber:innen sollten sich deshalb nicht darauf verlassen, dass die Massenentlassungsan-zeige nicht an einer inhaltlich fehlerhaften Sozialauswahl scheitert. Arbeitgeber:innen ist, wie der obige Fall zeigt, dadurch auch nicht geholfen. Denn das Arbeitsgericht wird spätestens bei der Prüfung des Kündigungsgrundes die Kündigung wegen Fehlern bei der Sozialauswahl für unwirksam halten. Steine statt Brot! Stattdessen ist Arbeitgeber:innen zu empfehlen, die betriebsbedingten Kündigungen insgesamt sehr gut vorzubereiten. Dazu gehören eine saubere Sozialauswahl und (!) eine fehlerfreie Massenentlassungsanzeige.