Europäischer Gerichtshof vom 22. Juni 2023 – C-427/21
Die Personalgestellung gemäß § 4 Abs. 3 TVöD fällt nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (Leiharbeitsrichtlinie). Damit verstößt auch § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG, der die Personalgestellung aus dem Anwendungsbereich des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes ausnimmt, nicht gegen die Leiharbeitsrichtlinie.
Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Arbeitnehmerin gemäß § 4 Abs. 3 TVöD, ihre Arbeitsleistung nach Verlagerung ihres Aufgabenbereichs auf einen Dritten und dem Widerspruch der Arbeitnehmerin gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses nach § 613a BGB auf den Dritten dauerhaft bei diesem zu erbringen (Personalgestellung).
Das Bundesarbeitsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof § 4 Abs. 3 TVöD zur Überprüfung im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit der Leiharbeitsrichtlinie vorgelegt.
Die Entscheidung
Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs findet die Leiharbeitsrichtlinie keine Anwendung auf einen Sachverhalt, bei dem die Aufgaben eines Arbeitnehmers von seinem Arbeitgeber auf einen Dritten verlagert werden, das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber fortbesteht und der Arbeitnehmer verpflichtet ist, die vertraglich geschuldete Tätigkeit auf Verlangen des Arbeitgebers dauerhaft bei dem Dritten zu erbringen.
Damit ein Arbeitsverhältnis in den Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie fällt, müsse die Absicht des Arbeitgebers bestehen, den Arbeitnehmer lediglich vorübergehend zu überlassen. Dies sei bei einer dauerhaften Überlassung nicht der Fall. Die im Ausgangsverfahren im Streit stehende Personalgestellung gemäß § 4 Abs. 3 TVöD sei nicht von lediglich vorübergehender Natur, sondern dadurch gekennzeichnet, dass die von einem Arbeitnehmer wahrgenommenen Aufgaben endgültig auf einen Dritten verlagert werden, sodass der Arbeitnehmer seine Aufgaben dort dauerhaft erbringen müsse.
Angesichts dieses Auslegungsergebnisses hatte der Europäische Gerichtshof nicht darüber zu entscheiden, ob die Herausnahme der Personalgestellung aus dem Anwendungsbereich des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG gegen die Leiharbeitsrichtlinie verstößt.
Konsequenzen für die Praxis
Mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist geklärt, dass die im öffentlichen Dienst genutzte Personalgestellung mit dem Unionsrecht, insbesondere mit der Leiharbeitsrichtlinie, vereinbar ist. Gleichermaßen gilt dies damit für die Herausnahme der Personalgestellung aus dem Anwendungsbereich des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Die im öffentlichen Dienst verbreitete Personalgestellung kann damit insoweit rechtssicherer umgesetzt werden, als dass keine europarechtlichen Bedenken mehr bestehen. Eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Ausgangsverfahren ist noch nicht bekannt.