OLG München, Urteil vom 22.03.2023 - 7 U 1995/21
An welchem Ort Gesellschafterversammlungen einer GmbH abzuhalten sind, kann in der Satzung geregelt werden. Enthält die Satzung keine solche Regelung, muss die Gesellschafterversammlung grundsätzlich am Sitz der Gesellschaft stattfinden. Das OLG München hatte sich mit der Frage auseinanderzusetzen, unter welchen Voraussetzungen Gesellschafterversammlungen an einem anderen Ort als dem Sitz der Gesellschaft stattfinden dürfen und welche Folgen ein fehlerhafter Versammlungsort nach sich zieht.
In dem vom OLG München entschiedenen Fall focht der Kläger, ein Gesellschafter der beklagten Gesellschaft mit Sitz in München, mehrere Gesellschafterbeschlüsse an. Zum Ort der Gesellschafterversammlung enthielt der Gesellschaftsvertrag keine Regelung. Die Geschäftsführerin der beklagten Gesellschaft hatte zu einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung in den Räumlichkeiten einer Anwaltskanzlei in Frankfurt eingeladen. In dieser Versammlung sollte unter anderem über die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den Kläger sowie über seine Ausschließung aus der Gesellschaft abgestimmt werden.
Vor der Versammlung rügte der Kläger, der in München wohnt, schriftlich den Versammlungsort Frankfurt. Bei der Gesellschafterversammlung in Frankfurt hielt der Rechtsanwalt des Klägers, der diesen auf der Versammlung vertrat, die Rüge des unzulässigen Versammlungsortes aufrecht. Dennoch wurde auf dieser Gesellschafterversammlung über verschiedene Beschlussgegenstände abgestimmt.
Das OLG München gab dem Kläger Recht und erklärte die in der Gesellschafterversammlung gefassten Beschlüsse wegen des fehlerhaften Versammlungsortes für nichtig. Wenn die Satzung einer GmbH den Ort der Gesellschafterversammlung nicht regele, solle diese in Analogie zu § 121 Abs. 5 S. 1 AktG grundsätzlich am Sitz der Gesellschaft, in diesem Fall also in München stattfinden. Dadurch sollen die Gesellschafter vor einer willkürlichen Wahl des Versammlungsortes und einer daraus folgenden Beeinträchtigung ihres Teilnahmerechtes geschützt werden.
Eine Ausnahme, die eine Gesellschafterversammlung in Frankfurt hätte rechtfertigen können, habe nicht vorgelegen. Eine solche komme laut dem OLG München zunächst dann in Betracht, wenn von vornherein feststehe, dass der andere Versammlungsort die Teilnahme nicht erschwere, z.B. weil die Gesellschafter den anderen Ort leichter als den Sitz der Gesellschaft erreichen können. Das sei hier allerdings nicht der Fall gewesen, da jedenfalls für den Kläger, der in München wohnt, Frankfurt schwerer zu erreichen gewesen sei als München.
Dem OLG München zufolge komme ein anderer Versammlungsort auch dann in Betracht, wenn am Sitz der Gesellschaft kein geeignetes Versammlungslokal vorhanden oder die Verkehrsverbindung dorthin gestört sei. Auf das Vorbringen der Beklagten, in München habe keine unter Coronabedingungen geeignete Lokalität zur Verfügung gestanden, sei es aber nicht angekommen, da der Gesetzgeber Regelungen getroffen habe, wie Gesellschafterbeschlüsse bei einer GmbH trotz der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung gefasst werden können, beispielsweise im Rahmen einer Videokonferenz. Ein Bedürfnis für eine Versammlung in Präsenz an einem satzungsfremden Ort habe demnach nicht bestanden.
Folge des fehlerhaft gewählten Versammlungsorts sei die Anfechtbarkeit der auf der Gesellschafterversammlung gefassten Beschlüsse. Der Anfechtbarkeit stehe dabei auch nicht entgegen, dass der fehlerhafte Versammlungsort keine Auswirkung auf das Beschlussergebnis gehabt habe. Zwar hätten die Gesellschafter auch bei einer Versammlung in München nicht anders abgestimmt als in Frankfurt. Für die Anfechtbarkeit der Beschlüsse genüge hingegen die Verletzung des Mitwirkungs- und Partizipationsrechts des Klägers.
Das Urteil des OLG München zeigt, dass bei der Wahl eines Versammlungsortes, der weder in der Satzung vorgeschrieben noch Sitz der Gesellschaft ist, Vorsicht geboten ist. Das gilt insbesondere dann, wenn im Gesellschafterkreis Streit herrscht. Wird ein fehlerhafter Versammlungsort gewählt, droht die Nichtigerklärung sämtlicher in dieser Gesellschafterversammlung gefasster Beschlüsse.
Gesellschafter, die beabsichtigen, Beschlüsse aufgrund eines aus ihrer Sicht fehlerhaften Versammlungsortes anzufechten, müssen nicht auf ein Erscheinen bei der Gesellschafterversammlung am fehlerhaften Ort verzichten. Wollen sie bei der Versammlung anwesend sein, den zu fassenden Beschlüssen gerade durch ihre Teilnahme aber ggf. nicht auch noch zur Wirksamkeit verhelfen, müssen sie der Abhaltung der Versammlung ausdrücklich widersprechen. Sind nämlich sämtliche Gesellschafter bei der Beschlussfassung anwesend und wird der Beschlussfassung als solcher nicht widersprochen, liegt eine Vollversammlung vor, die auch an einem "fehlerhaften" Versammlungsort wirksame Beschlüsse fassen kann. Diese können dann nicht mehr mit der Begründung angefochten werden können, der Versammlungsort sei fehlerhaft gewesen.
Erhebt der Gesellschafter zu Beginn der Versammlung Widerspruch und stimmt anschließend dennoch ohne erneuten Vorbehalt mit ab, verhält er sich widersprüchlich. Im Zweifel ist sein Verhalten in diesem Fall so auszulegen, dass er seinen anfänglichen Widerspruch aufgegeben hat. Er muss also, will er im Nachgang gegen die Beschlüsse gerichtlich vorgehen, unmissverständlich erklären, dass er an seinem Widerspruch festhält und seine Stimme nur vorsorglich abgibt.
Gesellschafter, die aufgrund des fehlerhaften Versammlungsortes nicht bei der Versammlung erscheinen wollen, sollten im Vorfeld der Versammlung den fehlerhaften Versammlungsort schriftlich rügen, um die spätere Anfechtbarkeit der gefassten Beschlüsse sicherzustellen.