Bundesarbeitsgericht vom 29. Juli 2021 - 9 AZR 376/20
Die Höhe des Urlaubsentgelts bemisst sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, den ein Arbeitnehmer in den letzten 13 Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat. Variable Vergütungsbestandteile zählen bei der Berechnung regelmäßig mit. Bei Prämien, die für die Erreichung bestimmter Zielvorgaben gezahlt werden, ist dies nach der Rechtsprechung hingegen nicht immer der Fall.
Ein Vertriebsbeauftragter streitet mit seinem Arbeitgeber vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) über die Höhe des während seines Urlaubs zu zahlenden Gehalts. Der Arbeitnehmer erhält zu 60 Prozent ein fixes Grundgehalt. Die restlichen 40 Prozent seines Jahreszielgehalts macht ein variabler Vergütungsbestandteil aus. Die Höhe des variablen Anteils hängt davon ab, ob die im Voraus vereinbarten Vertriebsziele innerhalb eines Abrechnungszeitraums von – zunächst drei, später sechs – Monaten erreicht werden.
Der Arbeitnehmer meint, nicht nur das Grundgehalt, sondern auch der variable Vergütungsteil müsse der Durchschnittsberechnung für das Urlaubsentgelt zugrunde gelegt werden. Sein Argument: Die variable Vergütung sei nichts anderes als eine Provision. Nach Auffassung des Arbeitgebers stellt die bei Erreichung der Vertriebsziele gezahlte variable Vergütung hingegen keine Provision, sondern eine innerhalb genau bestimmter Abrechnungszeiträume geleistete Prämie dar. Diese werde unabhängig vom konkreten Beitrag des Arbeitnehmers für Vertriebserfolge gezahlt.
Der Arbeitnehmer hatte mit seinem Verlangen sowohl vor dem Arbeits- als auch vor dem Landesarbeitsgericht keinen Erfolg. Dort wurde seine Klage jeweils abgewiesen. Die Richter stuften die variable Vergütung nicht als Provision, sondern als umsatzbezogene Zielerreichungsprämie ein. Diese Prämie werde dem Arbeitnehmer während des Urlaubs zwar weitergezahlt. Dafür werden diese Zahlungen jedoch bei der Durchschnittsberechnung des Urlaubsentgelts, d.h. bei Betrachtung der letzten 13 Wochen vor Antritt des Urlaubs, nicht mitgezählt. Ansonsten käme es zu einer unzulässigen Doppelbelastung des Arbeitgebers. Das BAG hat den Fall nicht entschieden, sondern aus prozessualen Gründen zurückverwiesen. Mit einer abschließenden Einschätzung zur Berechnung des Urlaubsentgelts bei Zielprämien durch Deutschlands höchstes Arbeitsgericht ist somit in nächster Zeit erst einmal nicht zu rechnen.
Die Berechnung des Urlaubsentgelts stellt Entgeltabrechner immer wieder vor Herausforderungen. Nicht beim Fixgehalt, aber bei variablen Vergütungsbestandteilen. Von denen gibt es im Arbeitsverhältnis eine ganze Menge. Klar ist: Nicht alle, aber viele variable Vergütungsbestandteile werden in die Durchschnittsberechnung gemäß § 11 Bundesurlaubsgesetz einbezogen.
Vor allem bei umsatzbezogenen Zahlungen an Arbeitnehmer stellen sich mitunter knifflige Abgrenzungsfragen. Als Richtschnur gilt: Erhält der Arbeitnehmer den variablen Vergütungsbestandteil als konkrete Gegenleistung für die von ihm im 13-wöchigen Referenzzeitraum geleistete Arbeit, zählen diese Zahlungen bei der Berechnung des Urlaubsentgelts mit. Dies ist bei Provisionen eindeutig der Fall. Hat ein Arbeitnehmer z.B. im 13-Wochen-Zeitraum vor Urlaubsantritt einen Geschäftsabschluss vermittelt, hat er damit seinen Provisionsanspruch verdient. Schließt sich daran Urlaub an, ist der Provisionsanspruch in die Berechnung des Urlaubsentgelts einzubeziehen.
Von Provisionen abzugrenzen sind hingegen Umsatzbeteiligungen, wenn diese nicht die tägliche, wöchentliche oder monatliche Tätigkeit des Arbeitnehmers honorieren, sondern auf die Gesamtleistung des Arbeitnehmers während eines bestimmten, meist längeren Zeitraums abstellen. Hier ist die Rechtsprechung bislang arbeitgeberfreundlich. Bei Erreichung der vereinbarten Ziele wird die Prämie, auch wenn sich der Arbeitnehmer gerade im Urlaub befindet, zwar gezahlt. Sie zählt jedoch nicht doppelt mit und bleibt deshalb bei der Durchschnittsberechnung des Urlaubsentgelts außen vor.
Unternehmen sollten die Entwicklung der Rechtsprechung genau verfolgen. Der Anspruch der Arbeitnehmer auf bezahlten Jahresurlaub ist durch die EU-Richtlinie 2003/88/EG zwingend vorgegeben. Vor diesem europarechtlichen Hintergrund sind zukünftige Rechtsprechungsänderungen nicht auszuschließen. Sollte dies eintreten, werden Arbeitgeber bisherige Regelungen zu Zielprämien genau prüfen und nötigenfalls anpassen müssen, um finanzielle Mehrbelastungen zu vermeiden.