BGH, Urteil vom 16.07.2020 - VII ZR 159/19
Der Bauunternehmer klagt gegen den Besteller auf Herausgabe einer Bürgschaftsurkunde. Im Bauvertrag, dessen formularmäßige Bestimmungen – wie zumeist – als Allgemeine Geschäftsbedingungen des Bestellers zu bewerten sind, ist vereinbart, dass der Bauunternehmer eine Vertragserfüllungssicherheit in Höhe von 5 Prozent der Auftragssumme leistet. Von dieser Sicherheit sind nach dem Vertragstext ausdrücklich Mängelansprüche umfasst. Ferner muss der Bauunternehmer nach Abnahme der Werkleistungen eine zusätzliche Sicherheit für Mängelansprüche in Höhe von 3 Prozent der Auftragssumme an den Besteller übergeben.
Der Bauvertrag enthält ergänzend eine Bestimmung, wonach der Bauunternehmer nach Abnahme der Werkleistungen und nach Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche verlangen kann, dass die Sicherheit für Vertragserfüllung in eine Mängelansprüchesicherheit umgewandelt wird.
Der Bauunternehmer verlangt nach erfolgter Abnahme der Werkleistungen die Herausgabe der Vertragserfüllungsbürgschaft mit der Begründung, dass die Sicherungsabrede unwirksam sei, weil sie ihn wegen einer Übersicherung des Bestellers unangemessen benachteilige.
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Besteller die Bürgschaftsurkunde an den Bauunternehmer herausgeben muss.
Die Sicherungsabrede ist wegen einer unangemessenen Benachteiligung des Bauunternehmers unwirksam, weil dieser für einen nicht unerheblichen Zeitraum über die Abnahme hinaus eine Sicherheit leisten muss, die jedenfalls in Höhe von 8 Prozent
nicht unwesentlich über den zulässigen 5 Prozent der Auftragssumme liegt. Die Unwirksamkeit der Sicherungsabrede begründet der Bundesgerichtshof insbesondere damit, dass nach ihrem Wortlaut die Auslegungsvariante möglich ist, wonach der Besteller für nach der Abnahme entstehende Mängel sowohl die Vertragserfüllungssicherheit in Höhe von 5 Prozent als auch die Sicherheit in Höhe von 3 Prozent in Anspruch nehmen kann.
Aus dem Wortlaut der Sicherungsabrede geht nach Auffassung des Bundesgerichtshofs jedenfalls nicht eindeutig hervor, dass die Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 5 Prozent nur Ansprüche des Bestellers bis zur Abnahme erfasst und die Mängelansprüchesicherheit Ansprüche des Bestellers absichert, die nach Abnahme entstehen. Somit kann es bei der gemäß § 305 c Abs. 2 BGB gebotenen Grundregel, wonach Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen stets zu Lasten des Klauselverwenders gehen, in der Gesamtschau nach der Abnahme zu einer Übersicherung des Bestellers in Höhe von 8 Prozent der Auftragssumme kommen.
Auch wenn es denkbar ist, die Klausel so auszulegen, dass von der Vertragserfüllungssicherheit lediglich bis zur Abnahme entstehende Mängelansprüche gesichert sind, von der Mängelansprüchesicherheit hingegen nur die nach Abnahme entstehenden Mängelansprüche, ist diese Auslegung nicht zwingend. Ebenso möglich ist die Auslegung, wonach beide Sicherheiten Mängelansprüche des Bestellers nach Abnahme absichern sollen, so dass im Sinne der Zweifelsregel gemäß § 305 c Abs. 2 BGB von einer Übersicherung des Bestellers auszugehen ist.
Etwas anderes folgt auch nicht aus der vertraglichen Vereinbarung, nach deren Inhalt der Bauunternehmer einen Anspruch darauf hat, nach Abnahme der Werkleistungen zu verlangen, dass die Sicherheit für Vertragserfüllung in eine Mängelansprüchesicherheit umgewandelt wird. Insofern fehlt eine ausdrückliche vertragliche Regelung zur Rückgabepflicht des Bestellers im Hinblick auf die Vertragserfüllungsbürgschaft nach erfolgter Abnahme. Nur dann wäre es nämlich ausgeschlossen, dass der Besteller die Vertragserfüllungsbürgschaft nach der Abnahme behalten darf. Nur dann wäre folglich eine Übersicherung ausgeschlossen. Die vorliegende Vertragsgestaltung lässt indes die Möglichkeit zu, dass der Bauunternehmer die Mängelansprüchesicherheit bereits übergeben muss, bevor sein Recht entsteht, dass die Vertragserfüllungsbürgschaft in eine Mängelansprüchesicherheit umgewandelt wird – dieses Recht entsteht nämlich nach den Bestimmungen des Vertrags erst nach Erfüllung aller durch die Vertragserfüllungsbürgschaft gesicherten Ansprüche. Es ist folglich denkbar, dass dem Besteller für einen nicht unwesentlichen Zeitraum beide Sicherheiten zustehen und somit eine unzulässige Sicherung des Bestellers in Höhe von 8 Prozent der Auftragssumme vorliegt.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs bestätigt dessen strenge Haltung hinsichtlich einer denkbaren Übersicherung des Bestellers. In ständiger Rechtsprechung (vgl. BGH NJW 2011, 2195; BGH NJW 2015, 856) hatte der Bundesgerichtshof festgestellt, dass der Besteller kein Sicherungsbedürfnis für Mängelansprüche hat, das über 5 Prozent hinausgeht und mehrere Sicherheiten der Höhe nach diesen Wert in der Summe nicht überschreiten dürfen, sofern und soweit diese Sicherheiten dem Besteller als Sicherung für nach der Abnahme entstehende Mängelansprüche dienen können.
Mit seiner Entscheidung erteilt der Bundesgerichtshof der kreativen Vertragsgestaltung vieler Besteller eine Absage, mit der diese
versuchen, den Austausch von Sicherheiten nach Abnahme Werks dadurch zu vermeiden bzw. zu verzögern, dass die Vertragserfüllungsbürgschaft in eine Gewährleistungssicherheit umgewandelt wird. Nach diesem Urteil des Bundesgerichtshofs dürfte eine rechtssichere Absicherung der Mängelansprüche nur dadurch möglich sein, dass der Bauunternehmer nach Abnahme Zug um Zug gegen Herausgabe der Vertragserfüllungsbürgschaft eine Gewährleistungsbürgschaft in Höhe von maximal 5 Prozent der Auftragssumme übergibt.