Mit Urteil vom 25. Januar 2021 hat das Landgericht München I erstmals eine Entscheidung zur Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB getroffen, die den Betrieb eines Hotels betrifft.
Das Landgericht München I stellt zunächst fest, dass eine Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB vorliegt, verneint aber aufgrund der Umstände des Einzelfalls den Anspruch des Mieters (d. h. des Hotelbetreibers) auf Vertragsanpassung. Im Ergebnis gelangt das Gericht daher zu dem Ergebnis, dass der Mieter die streitgegenständliche Miete für die Monate April, Mai und Juni 2020 in der vollen vertraglich vereinbarten Höhe schuldet.
In erster Linie begründet das Landgericht München I seine Entscheidung mit der Pflicht des Mieters, in angemessenem und zumutbarem Umfang Rücklagen zu bilden, um Umsatzeinbrüche ausgleichen zu können. Das Versäumnis der Rücklagenbildung dürfe nach Auffassung des Landgerichts München I aber nicht zu Lasten des Vermieters gehen.
Der Mieter eines Hotelgebäudes zahlte aufgrund der Corona-Pandemie und der damit verbundenen behördlichen Einschränkungen des Hotelbetriebs für die Monate April, Mai und Juni 2020 keine Miete an den Vermieter. Der Mieter hatte sich wegen der für diesen Zeitraum geltenden Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen, wonach der Betrieb von Hotels zu privaten und touristischen Zwecken ab dem 31. März 2020 zunächst vollständig untersagt und ab Mitte Mai nur unter erheblichen Einschränkungen zulässig war, entschlossen, den Hotelbetrieb vom 4. April 2020 bis zum 30. Juni 2020 zu schließen.
Der Mieter hat dies mit einem erheblichen pandemiebedingten Umsatzrückgang begründet und hierzu in diesem Rechtsstreit umfangreich seine Geschäftszahlen offengelegt, die vom Vermieter nicht bestritten worden sind. Der Mieter hatte für den Fall, dass er den Hotelbetrieb nicht vom 4. April 2020 bis zum 30. Juni 2020 geschlossen hätte, einen Auslastungsrückgang von 77,8 Prozent vorgetragen. Seinen Gewinn vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen auf Sachanlagen und Abschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände (Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation and Amortization, EBITDA) für die Jahre 2017, 2018 und 2019 hat er in Höhe von EUR 530.000,00, d. h. in Höhe von insgesamt EUR 1,59 Millionen beziffert.
Der Vermieter forderte in diesem Verfahren vom Mieter Mietzahlungen in der vollen vertraglich vereinbarten Höhe von monatlich EUR 47.917,62, d. h. in Höhe von insgesamt EUR 143.752,86 nebst Zinsen.
Das Landgericht München I hat den Mieter zur Zahlung der Miete in voller Höhe verurteilt.
Zunächst stellt das Gericht fest, dass der Anwendungsbereich des § 313 BGB eröffnet ist und hieran auch die im Zuge der Corona-Pandemie erlassenen Bestimmungen des Art. 240 EGBGB nichts ändern. Das Gericht erkennt in Art. 240 EGBGB keine gesetzliche Sonderregelung, die vorrangig zu § 313 BGB anzuwenden ist. Auch die am 22. Dezember 2020 vom Bundestag verabschiedete Ergänzung gemäß Art. 240 § 7 EGBGB – hiernach wird vermutet, dass die infolge staatlicher Maßnahmen aufgrund der Corona-Pandemie verursachte Nutzungseinschränkung einer gewerblich genutzten Immobilie zu einer Störung der Geschäftsgrundlage führt – hat lediglich eine Klarstellungsfunktion, der es für die Anwendung des § 313 BGB überhaupt nicht bedurft hätte.
Das Gericht stellt auch fest, dass der Mieter grundsätzlich ein Recht auf Anpassung des Mietvertrags gemäß § 313 BGB hat und dass dieses Recht auch nicht erst dann entsteht, wenn eine Existenzgefährdung des Mieters anzunehmen ist. Allerdings sieht das Gericht vorliegend einen Ausnahmefall wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls, der zur vollen Mietzahlungspflicht des Mieters führt. Zu diesem Ergebnis gelangt das Landgericht München I, weil es eine Pflicht des Mieters feststellt, in angemessenem und zumutbarem Umfang Rücklagen zu bilden, um mit diesen Rücklagen Umsatzeinbrüche abfedern zu können. Der Mieter haftet grundsätzlich verschuldensunabhängig für die eigene Zahlungsfähigkeit und deren Erhaltung, wie dies allgemein für einen durchschnittlich wirtschaftenden Unternehmer immer gilt. Ein etwaiges Versäumnis der Rücklagenbildung und dessen Folgen dürfen weder vollständig noch teilweise zu einer Belastung des Vermieters führen.
Darüber hinaus stellt das Gericht zur Verteilung der Risiken fest, dass zur Vermeidung einer Überkompensation des Mieters eine Quote von 50:50 als Ausgangspunkt angemessen sei, weil das wirtschaftliche Risiko der Nutzbarkeit beide Parteien treffe. Der Mieter könne keinen oder einen nur sehr eingeschränkten Gewinn erzielen. Der Vermieter könne die Mietsache hingegen kaum zum vertraglich vereinbarten Mietpreis an einen Dritten vermieten. Bei den Folgen der Corona-Pandemie sei zudem dahingehend zu differenzieren, ob ein Rückgang bei der Nachfrage bzw. beim Umsatz unmittelbar auf den in Folge der Pandemie etwa erlassenen Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen beruhe oder nur mittelbar in Gestalt des wegen der Pandemie veränderten Kundenverhaltens. Das Landgericht deutet jedenfalls an, dass der Rückgang der Hotelbuchungen möglicherweise nicht ausschließlich auf die Pandemie, sondern grundsätzlich auf ein geändertes Kundenverhalten (dauerhaft weniger Geschäftsreisen, Etablierung von Home-Office-Lösungen) zurückzuführen sei. Außerdem seien bei der konkreten Vertragsanpassung im Einzelfall öffentliche bzw. staatliche Zuschüsse sowie ersparte Aufwendungen zu berücksichtigen.
Für den vorliegenden Einzelfall hat das Landgericht München I unter Anwendung dieser Grundsätze zunächst entschieden, dass bei der Risikoverteilung nur der Umsatzrückgang von 77,8 Prozent zu berücksichtigen sei, da der Mieter 22,2 Prozent der erwarteten Umsätze hätte erzielen können, wenn er den Hotelbetrieb nicht geschlossen hätte. Hierfür trage der Mieter das alleinige Risiko. Weiterhin nimmt das Gericht einen Abschlag in Höhe von 5 Prozent dafür vor, dass das Hotel im Besitz des Mieters war und er daher Instandhaltungsmaßnahmen hätte durchführen können. Von der Risikoverteilung erfasst seien daher nur 72,8 Prozent der Miete, im Übrigen trage der Mieter das Risiko alleine.
Aufgrund der Gewinne des Mieters in den Jahren 2017, 2018 und 2019 (jährliches EBITDA von EUR 530.000,00, insgesamt EUR 1,59 Millionen) hätte er ferner hiervon 20 Prozent, d. h. EUR 318.000,00 an Rücklagen bilden müssen, die nun für die Miete hätten eingesetzt werden können. Die Summe der Rücklagen, deren Bildung und Einsatz nach Auffassung des Gerichts zumutbar ist, übersteige den Betrag des Anteils der Miete (nämlich des hälftigen Anteils aus den vorstehend genannten 72,8 Prozent), hinsichtlich dessen eine Verteilung der Risiken auf die Parteien veranlasst wäre.
Eine Vertragsanpassung zu Gunsten des Mieters scheide daher nach Auffassung des Gerichts aus.
Das Urteil des Landgerichts München I bestätigt die Einschätzung, dass die Neuregelung gemäß Artikel 240 § 7 EGBGB bedeutungslos war. Eine grundsätzliche Anwendbarkeit des § 313 BGB ist schlichtweg durch gesetzgeberische Entscheidungen nicht herbeiführbar. Es kommt vielmehr immer auf eine konkrete Einzelfallbetrachtung an.
Für die Anwendbarkeit des § 313 BGB müssen bestimmte Voraussetzungen vorliegen, die der Mieter darlegen und beweisen muss. Für die Frage, wie eine angemessene Vertragsanpassung im konkreten Fall aussehen könnte, hat nach wie vor eine Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien zu erfolgen.
Selbstverständlich kann weiterhin nur diejenige Rechtsfolge begehrt werden, die schutzwürdigen Interessen beider Vertragsparteien in ein angemessenes Gleichgewicht bringt. Die Neuregelung in Artikel 240 § 7 EGBGB i. V. m. § 313 BGB regelt keine automatische Vertragsanpassung. Die Annahme einer Störung der Geschäftsgrundlage führt auch nicht unmittelbar zur Mietsenkung oder zur Auflösung eines Mietvertrags. Unter Bezugnahme auf die Begründung zu Artikel 240 § 7 EGBGB stellt das Gericht klar, dass die Störung der Geschäftsgrundlage, die ein Recht auf Vertragsanpassung begründet, nicht gleichbedeutend mit der Aufhebung der Mietzahlungspflicht ist. Es könne „nur diejenige Rechtsfolge begehrt werden, welche die schutzwürdigen Interessen beider Vertragsteile in ein angemessenes Gleichgewicht bringt“. Eine Überkompensation werde nicht gewährt.
Dem Landgericht München I gebührt Anerkennung dafür, dass es den Versuch unternimmt, den Parteien eines Hotelmietvertrags Orientierungshilfen an die Hand zu geben, um eine denkbare Vertragsanpassung herbeiführen zu können. Zu begrüßen ist die grundsätzliche Bewertung der Risikoverteilung zwischen Vermieter und Mieter von 50:50. Auch der Appell an die Rücklagenbildung und den Rückgriff auf das Leitbild des ordentlichen Kaufmanns ist ein begrüßenswerter Ansatz. Dabei erscheint jedoch die Wertung, dass der Hotelbetreiber 20 Prozent des EBITDA aus den vergangenen drei Jahren als Rücklage vorhalten muss, willkürlich. In Zeiten von Negativzinsen sind oftmals Investitionen unternehmerisch sinnvoller als die Bildung extensiver Rücklagen. Auch lässt das Gericht unberücksichtigt, dass etwa gebildete Rücklagen in Pandemie-Zeiten jedenfalls für weitere laufende Kosten des Hotelbetriebs sehr schnell aufgebraucht sein können, wenn Hotelbuchungen derart dramatisch zurückgehen, wie dies aktuell der Fall ist.
Festzuhalten bleibt, dass das Urteil des Landgerichts München I eine erste Orientierung für den zukünftigen Umgang mit Hotelmietverträgen bietet, dass jedoch weiterhin der Grundsatz gilt: es kommt bei der Vertragsanpassung gemäß § 313 BGB stets auf die Umstände des Einzelfalls an.