Auswirkungen der Corona-Pandemie können eine Aufhebungsentscheidung legitimieren. Dies gilt jedoch nur, wenn sich der Beschaffungsbedarf des Auftraggebers und damit die „Grundlagen des Vergabeverfahrens“ ändern. Andere Umstände, wie die verschärfte wirtschaftliche Situation nationaler Unternehmen infolge der Corona-Krise, die den Beschaffungsbedarf nicht entfallen lassen, können nicht zu einer Aufhebung nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 VSVgV (oder § 63 Abs. 1 Nr. 2 VgV) führen.
VK Bund, Beschluss vom 11.12.2020, VK 2-91/20
Die Auftraggeberin (AG) schrieb europaweit einen Auftrag zur Instandhaltung eines 1994 in Betrieb gestellten Versorgungsschiffes aus. Die Antragstellerin (ASt), eine polnische Werft, war im Teilnahmewettbewerb erfolgreich. Schließlich teilte die AG der ASt mit, dass sie das Verfahren nach § 37 Abs. 1 Nr. 2 VSVgV aufhebe, da sich die Grundlagen des Vergabeverfahrens wesentlich geändert hätten. Als Grund wurde die „Wahrung wesentlicher nationaler Sicherheitsinteressen und Sicherstellung des Erhalts nationaler Marineschiffbau- und Marineinstandsetzungskapazitäten aus Gründen der Versorgungssicherheit“ angeführt. Die ASt rügte die Aufhebung, die AG lehnte es jedoch ab, der Rüge zu entsprechen. Argumentiert wurde zunächst damit, dass die Bundesregierung in einem Strategiepapier vom 13. Februar 2020 u. a. den Marineüberwasserschiffbau als zur Stärkung der nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie relevante Schlüsseltechnologie erklärt hatte. In der Corona-Krise sei nun zudem ein Rückgang im deutschen Schiffbau zu verzeichnen. Es sei daher ein wesentliches nationales Sicherheitsinteresse, die wenigen deutschen Werften, die in der Lage seien, Instandsetzungsleistungen für Marineschiffe durchzuführen, zu erhalten. Dazu sei eine rein nationale Ausschreibung erforderlich.
Die Vergabekammer des Bundes (VK Bund) hat dem Nachprüfungsantrag der ASt stattgegeben. Die Aufhebung des Vergabeverfahrens sei nicht durch § 37 Abs. 1 Nr. 2 VSVgV gedeckt. Erfasst seien ausdrücklich nur die „Grundlagen des Vergabeverfahrens“, sodass sich der Beschaffungsbedarf geändert haben oder ganz weg gefallen sein muss. Beim AG dürfe insoweit kein Interesse mehr an der konkret ausgeschriebenen Leistung bestehen. Im vorliegenden Fall wolle der AG hingegen weiterhin die Instandsetzung des Schiffs – nun national – ausschreiben. Der Bedarf nach Instandhaltungsleistungen könne jedoch bei Fortführung des laufenden Vergabeverfahrens ebenfalls erreicht werden. Die Unterstützung deutscher Werften sei dagegen nur ein Nebenzweck, der eine Aufhebung nicht rechtfertige.
Die VK Bund betont jedoch auch, dass im vorliegenden Fall zwar kein in der Corona-Pandemie liegender Grund zur Aufhebung vorliegt, dies jedoch grundsätzlich ein vergaberechtlich relevanter Faktor bei Ausschreibungen bzw. dem Verzicht auf ein förmliches Vergabeverfahren sein könnte. Auswirkungen der Corona-Pandemie können demnach Aufhebungsentscheidungen legitimieren, wenn sich dadurch Änderungen am Beschaffungsbedarf ergeben.
Die Corona-Krise rechtfertigt nicht alle (vergaberechtlichen) Mittel. Mit erfreulicher Klarheit lässt die VK Bund öffentlichen Auftraggebern nicht jede „Corona-Argumentation“ durchgehen. Ebenso wie bei einer Dringlichkeitsbeschaffung, wo in der Regel zumindest noch zwei Vergleichsangebote einzuholen sind, müssen sich die Auftraggeber auch bei Aufhebungen weiterhin eng an den Voraussetzungen der Vergabeverordnungen orientieren. Hierzu gelingt der VK Bund eine aufschlussreiche Präzisierung der Anforderungen an eine wesentlichen Änderung der Grundlagen des Vergabeverfahrens gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 2 VSVgV, die ohne weiteres auch auf Liefer- und Dienstleistungsvergaben (§ 63 Abs. 1 Nr. 2 VgV) übertragbar ist.