Die COVID-19-Pandemie und der damit verbundene Lockdown haben zur schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit geführt. Um einer nicht beherrschbaren Flut von Insolvenzen entgegenzuwirken, wurden binnen kürzester Zeit einschneidende gesetzliche Regelungen sowie umfangreiche staatliche Rettungsmaßnahmen verabschiedet. Zu nennen sind hier insbesondere die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sowie die Gewährung von Staatshilfen (insb. KfW-Darlehen). Nunmehr arbeitet der Gesetzgeber mit Hochdruck am „Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG)“, um Unternehmen in der Krise zu stützen und Insolvenzen zu vermeiden. Einer der Schwerpunkte der Neuregelung ist die dringend erforderliche Überarbeitung des Insolvenzgrunds „Überschuldung“.
Die Coronakrise hat bei zahlreichen Unternehmen zu einem deutlichen Anstieg der Verbindlichkeiten geführt. Infolgedessen sind viele dieser Unternehmen derzeit rechnerisch überschuldet (Vermögen < Verbindlichkeiten). Gleichzeitig ist es in vielen Fällen sehr zweifelhaft, ob es diesen Unternehmen gelingen wird, die Sonderkredite der Förderbanken bei Fälligkeit (regelmäßig ab 2023) zurückzuzahlen bzw. zu refinanzieren. Das gilt insbesondere für solche Unternehmen, deren Umsatz aufgrund der COVID-19-Pandemie eingebrochen ist und denen es bislang nicht gelungen ist, die aufgelaufenen Verluste wieder auszugleichen. Ist die Rückzahlung bzw. Refinanzierung nicht überwiegend wahrscheinlich, dann besteht keine positive Fortbestehensprognose und grundsätzlich eine unverzügliche Insolvenzantragspflicht wegen Überschuldung. Allerdings wurde diese Pflicht vom Gesetzgeber bis Ende Dezember 2020 ausgesetzt, sofern die Überschuldung auf der COVID-19-Pandemie beruht. Dies soll den Unternehmen Zeit verschaffen, um ihre finanziellen Verhältnisse zu ordnen.
Tatsächlich wird allein die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis Ende Dezember 2020 diesen Unternehmen nicht helfen, den benötigten Geldzufluss sicherzustellen, um die Rückzahlung bzw. die Refinanzierung der Sonderkredite zu gewährleisten. Genau an dieser Stelle setzt der Gesetzgeber mit der Neufassung des Überschuldungsbegriffs an. Ab dem 1. Januar 2021 soll ein Unternehmen bereits dann nicht insolvenzrechtlich überschuldet sein, wenn die Einnahmen in den nächsten zwölf Monaten ausreichen, um die in diesem Zeitraum fällig werdenden Verbindlichkeiten bezahlen zu können. Bislang mussten mindestens die nächsten 24 Monate durchfinanziert sein. Bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen reicht es sogar aus, wenn nur die nächsten vier Monate durchfinanziert sind. Damit wären Sonderkredite, sofern sie erst nach dem 1. Januar 2022 fällig werden (was regelmäßig der Fall ist), nicht mehr im Rahmen der Fortbestehensprognose zu berücksichtigen. Erst diese Maßnahme beseitigt (zumindest vorerst) die Überschuldung und verschafft den Unternehmen ausreichend Zeit, die Sanierung voranzutreiben und ihre Finanzen zu ordnen.
Diese Erleichterung gibt es allerdings nicht „kostenlos“. Mit der Entschärfung des Überschuldungsbegriffs geht eine ganz erhebliche Verschärfung der persönlichen Haftung der Geschäftsleitung bereits vor Eintritt der Insolvenzreife einher. Sobald ein Unternehmen nicht mindestens die nächsten 24 Monate durchfinanziert ist, ist die Geschäftsleitung fortan zur Wahrung der Interessen der Gläubigergesamtheit verpflichtet. Dies kann, wenn z. B. die Sanierungsmaßnahmen nicht wie erhofft greifen, den verantwortlichen Geschäftsführer persönlich ruinieren.
Diese spürbare vorinsolvenzliche Haftungsverschärfung ist die beste „Werbemaßnahme“ für die Inanspruchnahme des ebenfalls geplanten „präventiven Restrukturierungsrahmens“. Hierbei handelt es sich um ein (voraussichtlich ab Januar 2021 zur Verfügung stehendes) neues Instrument zur Sanierung von Unternehmen mit grundsätzlich funktionierenden Geschäftsmodellen. Dieses Verfahren soll Unternehmen erstmals die Chance eröffnen, sich außerhalb eines förmlichen Insolvenzverfahrens mit seinen Gläubigern über eine (bilanzielle) Sanierung zu einigen. Dabei bietet der präventive Restrukturierungsrahmen Optionen, die weit über die zivilrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten hinausgehen. Hierzu gehören sanierungserprobte Maßnahmen wie ein Planverfahren zur Schuldenbereinigung, der „Debt-Equity-Swap“ oder aber die Beendigung von (unliebsamen) Schuldverhältnissen.
Diese Gesetzesänderung wird alle Marktteilnehmer vor neue Herausforderungen stellen. Unternehmen in der Krise werden sich fragen, ob der präventive Restrukturierungsrahmen ein für sie geeignetes Mittel zur erfolgreichen Neuausrichtung des Unternehmens ist. Die Geschäftspartner dieser Unternehmen müssen sich entscheiden, ob bzw. in welchem Umfang sie Schuldenschnitte akzeptieren und ob bzw. wie sie die Geschäftsbeziehung anschließend fortsetzen werden. Mit unserem Team aus sanierungserfahrenen Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern unterstützen wir Sie gerne bei der Beantwortung dieser Fragestellungen.