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    09.11.2020

    Versäumung der Zwei-Wochen-Frist bei außerordentlicher Kündigung – die Wahrheit muss erst später auf den Tisch


    Die Anhörung des Betriebsrats zu einer außerordentlichen Kündigung nach § 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) muss keine Ausführungen zur Wahrung der Kündigungserklärungsfrist enthalten.

     

    Sachverhalt

     

    Der Arbeitgeber hörte den bei ihm gebildeten Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien an und kündigte dieses anschließend außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich. Der Arbeitnehmer rügte im Kündigungsschutzverfahren unter anderem, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat deshalb nicht ordnungsgemäß angehört habe, weil in der Betriebsratsanhörung keine Ausführungen zur Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB – insbesondere zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung vom Kündigungssachverhalt durch eine kündigungsberechtigte Person – enthalten waren.

     

    Die Entscheidung

     

    Nach dem BAG war die Kündigung nicht gem. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam, weil die Beklagte keine weiteren Ausführungen zur Wahrung der Kündigungserklärungsfrist gemacht hatte. Das Gericht wies zunächst auf seine ständige Rechtsprechung hin, wonach die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen von § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG nicht so weit reiche wie seine Darlegungslast im Kündigungsschutzverfahren. Der notwendige Inhalt der Unterrichtung richte sich vielmehr nach dem Sinn und Zweck des Beteiligungsrechts, der darin besteht, den Betriebsrat durch die Unterrichtung in die Lage zu versetzen, sachgerecht, d. h. gegebenenfalls zugunsten des Arbeitsnehmers auf den Arbeitgeber einzuwirken. Der Betriebsrat solle die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe beurteilen und sich eine eigene Meinung bilden können. Demgegenüber soll dem Betriebsrat nicht die selbstständige – objektive – Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung ermöglicht werden. Im Hinblick auf die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB führte das BAG aus, dass die Wahrung dieser nicht zu den „Gründen für die Kündigung“ i. S. v. § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG gehöre, sodass der Arbeitgeber hierzu keine gesonderten Ausführungen machen muss.

     

    Konsequenzen für die Praxis

     

    Der Arbeitgeber muss entgegen der bisher weit verbreiteten Auffassung erst im Kündigungsschutzprozess detaillierte Ausführungen zur Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB machen und nicht bereits im Rahmen der Beteiligung des Betriebsrats, was gerade in zweifelhaften Fällen zu empfehlen ist, um die Verhandlungsposition für eine gegebenenfalls angestrebte einvernehmliche Trennung zu stärken. Neben den vorstehenden Ausführungen gibt das BAG der Arbeitgeberseite weitere Hinweise für die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats, indem es ausführt, dass der Arbeitgeber angeben müsse, wann sich der Kündigungssachverhalt ereignet hat, da nur dies den Betriebsrat in die Lage versetzt, zu prüfen, ob die Kündigungsgründe stichhaltig sind. Dies ist nicht neu und wird von der Arbeitgeberseite in der Regel umgesetzt. Sofern der Arbeitgeber freiwillig Angaben zur Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB macht, müssen diese, so das BAG, wahrheitsgemäß erfolgen.

     

    Praxistipp

     

    Die Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist in der Praxis häufig eine Herausforderung, da der Arbeitgeber einerseits verpflichtet ist, den zur Kündigung berechtigenden Sachverhalt vollumfänglich aufzuklären, um anschließend – im Fall einer Verdachtskündigung – den Arbeitnehmer hiermit zu konfrontieren bzw. die Kündigung wirksam erklären zu können. Andererseits wird zugleich verlangt, diese vollständige Aufklärung der belastenden und entlastenden Umstände in der gebotenen Eile durchzuführen und dann nach vollständiger Kenntnis des zur Kündigung berechtigenden Sachverhalts sowohl den Betriebsrat ordnungsgemäß zu beteiligen als auch die Kündigung zuzustellen. Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, ist gerade bei Sachverhalten, bei denen die Aufklärung etwas Zeit in Anspruch nimmt, zu empfehlen, die Aufklärung unterhalb der Ebene der zur Kündigung berechtigten Person – auf deren Kenntnis kommt es i. S. d. § 626 Abs. 2 BGB an – durchzuführen. Dies verschafft dem Arbeitgeber etwas mehr Zeit, da die Zwei-Wochen-Frist erst ab Kenntnis einer zur Kündigung berechtigten Person zu laufen beginnt. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass nicht zu lange mit der Aufklärung zugewartet werden darf. Erst nach vollständiger Aufklärung des zur Kündigung berechtigenden Sachverhalts sollte die zur Kündigung berechtigte Person unverzüglich informiert werden. In Umsetzung der neuen Rechtsprechung sollten in der Betriebsratsanhörung nun keinerlei Ausführungen zur Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB gemacht werden, um mögliche Angriffspunkte zu vermeiden.

     

    Dr. Thomas Barthel

     

    Dr. Roman Parafianowicz

     

     

     

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