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Vertriebsbeschränkungen im Internet-Handel

Der Online-Handel und seine praktische Bedeutung haben sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht absehbar. Berücksichtigt man nicht nur die Schnelllebigkeit des Mediums Internet, sondern auch die häufig sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen der verschiedenen Marktteilnehmer, ist kaum überraschend, dass zahlreiche Rechtsfragen rund um den Internetvertrieb ungeklärt oder jedenfalls heftig umstritten sind. Aufgrund seiner ordnungspolitischen Funktion steht dabei das Kartellrecht besonders häufig im Fokus. Das gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass der Online-Vertrieb nicht an nationale Grenzen gebunden ist und auch nicht gebunden sein soll. Um mögliche Beschränkungen des Wettbewerbs im europäischen Binnenmarkt zu verhindern, hat die Europäische Kommission aktuell mehrere Maßnahmen ergriffen: Dazu gehören die groß angelegte Sektoruntersuchung zum E-Commerce sowie die beiden Ende des Jahres 2015 abgeschlossenen Konsultationen zu Geoblocking und Online-Plattformen. Tatsächlich wirft gerade der Vertrieb über Online-Plattformen vertriebs- und kartellrechtlich bedeutsame Fragen auf.

Verbot von Plattformen wie Amazon, Ebay & Co.

Beschränkungen des Online-Handels waren zuletzt immer häufiger Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen wie auch von Ermittlungen des Bundeskartellamtes. Die in der Praxis mit Abstand bedeutsamste Frage war und ist dabei, ob Hersteller ihren Händlern im Rahmen eines selektiven Vertriebssystems untersagen können, die Vertragswaren auch über Internet-Plattformen Dritter anzubieten („Plattformverbot“). Ein verwandtes Problem ist das Verbot, Waren über Preissuchmaschinen oder Preisvergleichsdienste zu bewerben. Gerade die Hersteller hochwertiger Markenprodukte sehen in dem unkontrollierten Vertrieb über Plattformen (z. B. Amazon, Ebay, Rakuten, Hitmeister) und/oder Preissuchmaschinen (z. B. Idealo, guenstiger.de, preis.de) eine Gefahr für das eigene Markenimage wie auch für den Verbraucher. Denn anders als bei einem Einkauf im stationären Geschäft des Händlers oder in dessen eigenem Online-Shop, seien beim Vertrieb über eine Plattform dem Kunden häufig dessen tatsächlicher Vertragspartner und damit auch die Herkunft des Produktes nicht eindeutig bekannt. Das gelte auch, wenn der Kunde zum eigenen Online-Shop des Händlers über eine Website gelangt, die das Logo der Plattform trägt.

Dem wird entgegnet, dass es in der wirtschaftlichen Realität heute keine klar abgegrenzten Vertriebswege mehr gäbe, sondern sowohl Hersteller, Händler als auch Verbraucher zunehmend das sog. „Multi-Channelling“, d. h. die parallele Nutzung von Internet und stationärem Handel, betreiben. In wettbewerblicher Hinsicht komme Online Plattformen dabei eine besondere Bedeutung zu. Denn gerade kleinere Händler seien regelmäßig mit einem eigenen Online-Angebot kaum wahrnehmbar und könnten nur durch Präsenz auf einer Plattform über Suchmaschinen auffindbar werden. Zudem würden Endkunden Online-Plattformen nicht (nur) wegen der Preissetzung der dort tätigen Händler, sondern auch wegen der Möglichkeit eines „One-Stop-Shopping“ nutzen. Von Bedeutung seien auch weitere Faktoren wie etwa die Transaktionssicherheit, Lieferzuverlässigkeit und Retourenbedingungen. Gerade die großen Internet-Plattformen wie Amazon oder Ebay hätten zudem inzwischen ein hohes Maß an „Goodwill“ erworben. Anders als vielleicht noch vor einigen Jahren sei es deshalb heute selbst bei hochwertigen Markenprodukten nicht mehr vertretbar, einen Vertrieb über Plattformen pauschal als dem Markenimage abträglich zu betrachten.

Rechtslage

Ob ein (pauschales) Plattformverbot gegen geltendes Kartellrecht verstößt, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Die bisherige Rechtsprechung deutscher Zivilgerichte ist uneinheitlich. So hat das Landgericht Mannheim im Jahr 2008 eine Vertragsklausel als zulässig bewertet, durch welche der Hersteller Sternjakob seinen Händlern den Vertrieb von Schulranzen und Schulrucksäcken der Marke Scout über Ebay und vergleichbare Internet-Plattformen verboten hatte. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat die Entscheidung im Jahr 2009 bestätigt und dies mit zulässigen qualitativen Auswahlkriterien begründet. Dagegen hat das Landgericht Berlin den identischen Sachverhalt abweichend beurteilt und die Auffassung vertreten, dass es sich gerade nicht um ein qualitatives Auswahlkriterium, sondern ein generelles Verbot des Warenabsatzes und damit einen Verstoß gegen das Kartellverbot des § 1 GWB handelt. Dies sah das Kammergericht in seiner Berufungsentscheidung Ende 2013 abermals anders und hat die Regelung als eine im Rahmen eines Selektivvertriebs zulässige Qualitätsanforderung bewertet, die zur Wahrung des Images der Marke Scout auch erforderlich sei. Das Gericht war jedoch der Auffassung, dass Sternjakob das Verbot nicht diskriminierungsfrei umgesetzt habe und hat darin einen anderweitigen Kartellverstoß erkannt.

Ebenfalls im Jahr 2013 bewertete das Landgericht Kiel ein Plattformverbot in den Vertriebsverträgen der Firma Casio für Fotokameras als kartellrechtswidrig. Durch sie werde den Händlern der Zugang zu Kunden erheblich erschwert, die Plattformen wegen ihrer besonderen Vorteile wie Angebotstransparenz, lebhaften Preiswettbewerbs und erhöhter Transaktionssicherheit bevorzugen. Das Gericht sah darin eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von § 1 GWB und Art. 101 AEUV, die auch nicht freistellungsfähig sei. Dieser Bewertung hat sich das Oberlandesgericht Schleswig im Jahr 2014 angeschlossen. Zwar hat es ausdrücklich festgestellt, dass ein Unternehmen frei entscheiden dürfe, wie es seinen Vertrieb organisiert. Diese Freiheit finde aber ihre Grenzen in wettbewerbsbeschränkenden Vorgaben. Denn das Plattformverbot bewirke und bezwecke eindeutig eine Einschränkung des Wettbewerbs und sei darauf gerichtet, den Preisdruck des Plattformhandels zu vermeiden.

Das Landgericht Frankfurt am Main hat dem Unternehmen Deuter im Juni 2014 untersagt, Händler nur mit Funktionsrucksäcken zu beliefern, wenn sie auf ein Angebot über Amazon und Preissuchmaschinen verzichten; denn darin liege nicht nur ein Verstoß gegen das Kartellverbot (§ 1 GWB, Art. 101 Abs. 1 AEUV), sondern auch eine unbillige Behinderung im Sinne von § 20 Abs. 1 GWB. Eine Freistellung von diesem Verbot komme nicht in Betracht. Insbesondere ließen sich die durch das Verbot bewirkten Nachteile für den Preiswettbewerb nicht mit den Vorteilen durch ein verbessertes Markenimage rechtfertigen.

Diese Ansicht hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main im Berufungsverfahren nur hinsichtlich des Verbotes der Bewerbung über Preisvergleichsportale bestätigt: Ein solches Verbot sei – jedenfalls solange keine Luxusgüter vertrieben würden – zur Aufrechterhaltung des Markenimages nicht erforderlich. Nach Auffassung der Verbraucher sei nämlich klar, dass Suchmaschinen nicht dem unmittelbaren Verkauf dienten, sondern lediglich dem Auffinden von Händlern, die das gesuchte Produkt anbieten. Genau das sei bei einem Vertrieb über Internetverkaufsplattformen wie Amazon jedoch anders. Im Gegensatz zu den Preissuchmaschinen erscheine bei Amazon selbst bei Händlershops das Produktangebot als ein solches von Amazon und nicht als Angebot des Fachhändlers. Dem Hersteller werde damit ein Händler „untergeschoben“, mit dem der Hersteller keine Vertragsbeziehung unterhalte und auf dessen geschäftliches Verhalten er keinen Einfluss habe. Dem könne auch nicht entgegen gehalten werden, dass die Präsenz auf Internetverkaufsplattformen für kleinere und mittlere Händler besonders wichtig sei, um deren Wahrnehmbarkeit und Auffindbarkeit zu erhöhen. Denn ein Hersteller von Markenprodukten dürfe grundsätzlich in einem selektiven Vertriebssystem frei entscheiden, unter welchen Bedingungen seine Markenprodukte weiter vertrieben werden. Dies sei zum Schutz der Marke ebenso zulässig wie erforderlich. Dagegen könne ein Hersteller nicht verpflichtet werden, den Verkauf über Amazon zuzulassen und so den Wettbewerb kleiner und mittlerer Unternehmen im Online-Handel zu fördern. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat deshalb in seinem Urteil vom 22. Dezember 2015 das Plattformverbot für kartellrechtlich zulässig erklärt und insoweit die Ausgangsentscheidung des Landgerichts aufgehoben. Es hat ferner die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.

Die Frankfurter Richter mussten sich nahezu zeitgleich auch mit einem Plattformverbot in den Vertriebsverträgen des Luxuskosmetik-Herstellers Coty befassen. Coty hatte gegen einen Händler geklagt, der die Vertragsprodukte auch über Amazon angeboten und vertrieben hatte. Wie im Fall Deuter hielt das Landgericht Frankfurt am Main das Plattformverbot für kartellrechtswidrig und hat die Unterlassungsklage von Coty im Juli 2014 abgewiesen. Das Gericht wertete das Verbot als unzulässige Kernbeschränkung im Sinne von Art. 4 lit. c. der sog. Vertikal-GVO (Verordnung (EG) Nr. 330/2010), weshalb eine Freistellung vom Kartellverbot zwingend ausscheiden müsse. Das Berufungsverfahren ist derzeit ebenfalls beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main anhängig. Der Kartellsenat hat am 22. Dezember 2015 einen Beweisbeschluss erlassen, weil noch Vorfragen geklärt werden müssen. Aufgrund seiner eindeutigen Positionierung im Verfahren Deuter ist jedoch bekannt, dass der Senat von der grundsätzlichen Zulässigkeit des Plattformverbotes ausgeht.

Auch das Bundeskartellamt hat in den vergangenen Jahren seinerseits eine Reihe von Verwaltungsverfahren gegen die Verwender von Plattformverboten geführt. Zu den bekanntesten Fällen zählen diejenigen gegen die Unternehmen Sennheiser, Adidas und zuletzt ASICS. Sämtliche Verfahren wurden mit freiwilligen Änderungen der Vertriebsverträge einvernehmlich beendigt. An der gerichtlichen Überprüfung der überwiegend kritischen Auffassung des Bundeskartellamtes zu Plattformverboten fehlt es deshalb bisher.

Ausblick

Der Streit um die Zulässigkeit von Plattformverboten und vergleichbaren Beschränkungen wird weitergehen. Ganz aktuell stehen Klauseln in den Vertriebsverträgen des Grillherstellers Weber auf dem Prüfstand, deren kartellrechtliche Unzulässigkeit die Wettbewerbszentrale gerügt hat. Für die notwendige Sicherheit kann nur eine höchstrichterliche Entscheidung sorgen. Ein entsprechender Fall wird den Bundesgerichtshof wahrscheinlich in naher Zukunft erreichen. Es ist zu vermuten, dass der Bundesgerichtshof den Europäischen Gerichtshof – sofern bis dahin noch nicht geschehen – durch eine oder mehrere Vorlagefragen in die Entscheidungsfindung einbinden wird. Tatsächlich hatte bereits das Oberlandesgericht Frankfurt am Main in den Verfahren Coty und Deuter die Möglichkeit einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof intensiv erwogen. Interessanterweise hatte das Bundeskartellamt eine mögliche Anrufung des EuGH unterstützt, weil ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit bestehe und die maßgeblichen Rechtsfragen deswegen dringend geklärt werden müssten.

Das Oberlandesgericht hat aber von einer Vorlage abgesehen, um sie dem Bundesgerichtshof zu überlassen. So wird es vermutlich noch Jahre dauern, bevor in der Frage der Zulässigkeit von Plattformverboten wirklich Rechtssicherheit herrscht.

In der Zwischenzeit ist den Herstellern von Markenartikeln eine sorgfältige Prüfung ihrer Vertriebsverträge und Gestaltungsmöglichkeiten anzuraten. Denn letztlich hängt gerade die kartellrechtliche Bewertung von zahlreichen Einzelheiten ab. Die häufig zu vernehmende Auffassung, dass Vertriebsbeschränkungen im Internet – insbesondere Plattformverbote – stets unzulässig sind, ist in jedem Fall falsch.

Bei Fragen zum Thema, kontaktieren Sie bitte Uwe Wellmann

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