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Europäische Herausforderungen und die neue Europäische Kommission



Die Kommission ist tot, lang lebe die Kommission: Der Amtsantritt der neuen Europäischen Kommission

Die neue Europäische Kommission unter Vorsitz des früheren luxemburgischen Ministerpräsidenten Jean-Claude Juncker hat am 1. November 2014 ihre Arbeit aufgenommen. Zeitgleich folgte Federica Mogherini auf Catherine Ashton als Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik. Damit ist der Personalwechsel in Europa in diesem Jahr jedoch noch nicht zu Ende. Nach den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2014 und dem Start der Kommission im November 2014 hat am 1. Dezember 2014 der frühere polnische Ministerpräsident Donald Tusk sein Amt als Präsident des Europäischen Rates für zweieinhalb Jahre angetreten.



Das Machtverhältnis zwischen der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten

Die Europäische Union hat damit eine neue Führung, auf der alle Hoffnungen ruhen, um die bestehenden Herausforderungen anzugehen. Dies soll jedoch nicht dahin verstanden werden, dass die Europäische Kommission in den letzten zehn Jahren unter dem Portugiesen Barroso untätig oder unfähig war; das würde sowohl das Machtverhältnis zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission verkennen als auch die europäischen Errungenschaften falsch würdigen: Die Europäischen Union verfügt nicht über dieselben Kompetenzen wie ein Nationalstaat. Sie kann nur im Rahmen der ihr durch die Unionsverträge zugewiesenen begrenzten Zuständigkeiten handeln.

Die letzten zehn Jahre haben wieder gezeigt, dass die europäische Einigung durch Krisen vorankommt. Zwei Beispiele: 2005 lehnten Frankreich und die Niederlande den Entwurf einer neuen europäischen Verfassung ab; dennoch wurde 2007 ein neuer Vertrag geschlossen (der Vertrag von Lissabon, welcher am 1. Dezember 2009 in Kraft trat), der die Rechte des Parlaments stärkte und nunmehr ab dem 1. November 2014 einen neuen Abstimmungsmodus für Entscheidungen des Rates vorsieht (s.u.). Die Wirtschafts- und Bankenkrise schwächte die Akzeptanz des Euro, führt jedoch zu einer Verbesserung der Banken- und Finanzaufsicht.

Der Fortschritt bzw. die Krisenbewältigung kann sowohl innerhalb des rechtlichen Rahmens der Europäischen Union, der Eurogruppe oder bilateral (mit oder ohne Europäische Kommission und Europäischem Parlament) zustande kommen. Beispielsweise fand eine Koordinierung der europäischen Außenpolitik erst bilateral statt, bevor sie Eingang in die Verträge fand und schließlich zur Schaffung der Position eines Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik führte, der gleichzeitig Mitglied der Kommission ist. Die Koordinierung ist jedoch (noch) unvollständig und bleibt jeweils nationalen Interessen unterworfen, wie die unterschiedlichen Äußerungen zur Anerkennung eines palästinensischen Staates zeigen.



Die neue Führungsstruktur

In der Vergangenheit haben die Mitgliedstaaten jeweils für fünf Jahre einen Kommissionspräsidenten gewählt, der es möglichst allen Ländern recht machen und nicht zu viel Eigendynamik entwickeln sollte. Mit Jean-Claude Junker wurde am 15. Juli 2014 zum ersten Mal in der Geschichte der EU der Präsident der Europäischen Kommission vom Europäischen Parlament gewählt, so wie es der Vertrag von Lissabon seit seinem Inkrafttreten 2009 vorschreibt (Art. 17 Abs. 7 EUV). Damit wurde nicht nur die demokratische Legitimation des Kommissionspräsidenten gestärkt, sondern auch die Bedeutung des Europäischen Parlaments hervorgehoben.

Jean-Claude Juncker und sein deutscher Kabinettschef haben sich eine besondere Struktur ausgedacht, um die neue Kommission schlagkräftiger auszugestalten und den vielen Herausforderungen gerecht zu werden. Für die Themenbereiche "Arbeitsplätze, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit", "Digitaler Binnenmarkt", "Energieunion und Klimaschutz", "Euro und sozialer Dialog" sowie "Haushalt und Personal" wurden neben den für einzelne Themen zuständigen Kommissaren (vergleichbar mit Ministern im nationalen Kontext) jeweils projektübergreifend sieben Kommissare als Vizepräsidenten benannt, welche unter Junckers Oberaufsicht die Arbeit der übrigen 20 Kommissare und der Beamten koordinieren und überwachen und somit für einen kohärenten politischen Ansatz sorgen sollen



Ämter und Personen

Aus deutscher Sicht sind die bedeutenden Ämter und Personen:

  • Günther Oettinger, Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft und Mitglied in den Projektteams der folgenden Vizepräsidenten
  • Vizepräsident Andrus Ansip (Estland) "Digitaler Binnenmarkt"
  • Vizepräsidenten Jyrki Katainen (Finnland), "Arbeitsplätze, Wachstum, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit"
  • Vizepräsident Maroš Šefčovič (Slowakei) "Energieunion",
  • Miguel Arias Cañete, der spanische für die Energie und den Klimawandel zuständige Kommissar, der zusammen mit Maroš Šefčovič endlich einen funktionierenden Binnenmarkt für Energie schaffen will,
  • der britische für die Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und den Kapitalmarkt zuständige Kommissar Jonathan Hill,
  • die für den Binnenmarkt zuständige Kommissarin Elżbieta Bieńkowska aus Polen,
  • Cecilia Malmstrom, die schwedische für den Handel zuständige Kommissarin, und nicht zuletzt
  • Margrethe Vestager, die dänische Wettbewerbskommissarin, welche die harte Linie ihres Vorgängers Almunia weiterführen wird.



Neuer Abstimmungsmodus ab November 2014

In den meisten EU-Politikbereichen entscheidet der Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit (Art. 16 Abs. 3 EUV). Diese wird seit dem Vertrag von Lissabon über das Prinzip einer doppelten Mehrheit definiert. Lediglich bei reinen Verfahrensfragen ist eine einfache Mehrheit (Art. 238 Abs. 1 AEUV) ausreichend. In politisch sensiblen Bereichen, wie der Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Steuerpolitik beschließt der Rat hingegen einstimmig.

Die Einführung des Abstimmungsverfahrens der doppelten Mehrheit ist eine der bedeutendsten Neuerungen des Vertrags von Lissabon, da es die Entscheidungsfindung in der EU durch die Bildung von Mehrheiten fördert und die Zahl der möglichen Blockadekoalitionen im Ministerrat verringert.



Unser Team in Brüssel und Berlin

Dietmar Reich berät die Industrie und öffentliche Hand inkl. Regierungen der EU-Mitgliedstaaten seit 2000 in Brüssel, im Bereich EU-Recht, Kartell- und Beihilfenrecht.

Rainer Bierwagen arbeitet seit 1989 in Brüssel im Wettbewerbs-, Beihilfen- und Außenhandelsrecht.

Christian Hipp (Brüssel/Berlin) berät seit 2007 im Kartell- & Beihilferecht. Sein Tätigkeitsbereich umfasst neben gesellschaftsrechtlichen Fragen das EU-Recht sowie Fusionskontrollen.

Theresa Ilgner arbeitet seit September 2014 als Rechtsanwältin in der Praxisgruppe Kartellrecht & Beihilfenrecht am Standort Brüssel. Zuvor war sie drei Jahre an einem Lehrstuhl für Europarecht als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig.

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