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Verbandssanktionengesetz: Klimawandel bei Unternehmenssanktionen

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz macht Ernst mit gravierenden Sanktionen gegen Unternehmen und andere Verbände: Mitte August 2019 legte es den bislang unveröffentlichten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität vor. Kernstück des Gesetzentwurfs ist der Entwurf eines „Gesetzes zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (Verbandssanktionengesetz – VerSanG)“.

Die wichtigsten Fakten im Überblick

  • Es gibt weiterhin kein echtes „Unternehmensstrafrecht“, aber ein strafprozessuales Verfahren
  • Es drohen massive Sanktionen bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes
  • Geplant sind vielfältige Milderungsmöglichkeiten bei Wohlverhalten
  • Schlüsselfaktor ist mehr denn je angemessene und wirksame Compliance
  • Compliance muss aber tatsächlich gelebt werden (Compliance-Kultur), um Sanktionsmilderung zu erreichen
  • Sechs Prinzipien und drei Grundsätze für interne Untersuchungen

Mit dem VerSanG soll auch weiterhin kein echtes Unternehmensstrafrecht eingeführt werden. Im Vergleich zur bisherigen Rechtslage bedeutet das: Es wird bei von Leitungspersonen eines Unternehmens begangenen Ordnungswidrigkeiten weiterhin die bekannten „Verbandsgeldbußen“ nach § 30 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) geben. Für Straftaten, die zum Beispiel aus einem Unternehmen heraus begangen werden, soll jedoch ein eigener Sanktionstatbestand greifen, der deutlich höhere und zum Teil am weltweiten Umsatz orientierte Geldbußen gegen Verbände zulässt. Sogar eine Auflösung des Verbands kann die Folge von verbandsbezogenen Straftaten sein. All dem soll ein strafprozessuales und damit streng reguliertes Verfahren vorangehen.

Daneben legen der Gesetzentwurf und die Begründung den Fokus vor allem auf Compliance-Maßnahmen und interne Untersuchungen.

Anwendungsbereich und betroffene Verbände

Das VerSanG-E regelt die Sanktionierung von Verbänden wegen Straftaten, durch die Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder durch die der Verband bereichert worden ist oder werden sollte. Das Gesetz knüpft damit an die Regelung des § 30 OWiG an, der in seinem Absatz 1 bislang die Möglichkeit der Verhängung einer Verbandsgeldbuße bei betriebsbezogenen Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten regelt.

Verbände und damit Betroffene des VerSanG-E sind juristische Personen des öffentlichen oder privaten Rechts, nicht rechtsfähige Vereine und rechtsfähige Personengesellschaften. Erfasst sind nicht allein deutsche Verbände, sondern auch ausländische Verbände bzw. Unternehmen, „wenn die Typologie des ausländischen Verbands rechtlich mit derjenigen einer deutschen juristischen Person oder Personenvereinigung vergleichbar ist“ (Entwurfsbegründung, S. 71).

Die Voraussetzungen einer Verbandssanktion

Die Voraussetzungen der Sanktionierung eines Verbands finden sich in § 3 VerSanG-E. Dieser knüpft die Sanktionierung an eine Verbandsstraftat einer Leitungsperson oder eine mangelhafte Compliance bzw. Aufsichtspflichtverletzung, wobei auch in diesem Fall eine Verbandsstraftat vorliegen muss.

Verbandsstraftat
Anknüpfungstat für eine Sanktionierung nach dem VerSanG-E kann grundsätzlich jede Straftat sein. Einschränkende Voraussetzung ist nur, dass durch die Straftat Pflichten, die den Verband treffen, verletzt worden sind oder aber der Verband durch die Straftat bereichert worden ist oder werden sollte. Insoweit stimmt der Entwurf mit dem aktuell geltenden § 30 Abs. 1 OWiG überein.

Tauglicher Täter: Leitungsperson
Eine Verbandssanktion setzt voraus, dass der Gesetzesverstoß durch eine Leitungsperson und damit einen eng umgrenzten Personenkreis begangen wird. Dies gilt zunächst für die direkte Begehung einer Verbandsstraftat durch eine Leitungsperson, aber auch für die Verletzung von Aufsichtspflichten.

Die im Sinne des VerSanG-E relevanten Leitungspersonen entsprechen denjenigen, die bereits nach der bestehenden Regelung zur Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG taugliche Täter sind. Erfasst sind insbesondere Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder von Unternehmen, aber unter bestimmten Umständen auch Prokuristen, Generalbevollmächtigte und Mitarbeiter in ähnlich herausgestellten Positionen.

Mangelhafte Compliance bzw. die Verletzung von Aufsichtspflichten
Ist keine Leitungsperson an der Verbandsstraftat beteiligt, kommt – wie bereits in der Vergangenheit über §§ 30, 130 OWiG – eine Sanktionierung des Verbands in Betracht, wenn Leitungspersonen ihre Aufsichtspflicht verletzt haben.

Das ist dann der Fall, wenn jemand, etwa ein beliebiger Mitarbeiter eines Unternehmens in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbands eine Verbandsstraftat begangen hat und Leitungspersonen diese Straftat durch angemessene Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandsstraftaten wie insbesondere Organisation, Auswahl, Anleitung und Aufsicht hätten verhindern oder wesentlich erschweren können.

Die Regelung orientiert sich an § 130 OWiG, der durch das VerSanG-E nicht aufgehoben wird, sondern parallel anwendbar bleibt und eine Ahndung der Leitungsperson selbst mit einer Geldbuße weiterhin zulässt.

  • Aufsichtspflichtverletzung und Compliance
    Wegen der Parallelität des § 3 Abs. 1 Nr. 2 VerSanG-E und § 130 OWiG sind die Anforderungen an die Aufsichtspflichten schon heute genügend entwickelt. Man kann also bereits jetzt gut auf diese Kriterien zurückgreifen, um unternehmensinterne Prozesse zu prüfen und anzupassen. Insbesondere ab einer gewissen Größe des Unternehmens und Komplexität der Geschäfte, wird den Anforderungen regelmäßig nur durch wirksame Compliance-Maßnahmen genügt werden können (vgl. Handel, Deutsches Steuerrecht (DStR), 36/2017, S. 1945).

Mögliche Sanktionen

Der VerSanG-E geht über die bisherige Möglichkeit der Festsetzung von Geldbußen nach § 30 OWiG weit hinaus. § 8 VerSanG-E sieht drei verschiedene Möglichkeiten der Sanktionierung vor, die in einem Stufenverhältnis zueinander stehen. Bei diesen handelt es sich um:

  • die Verbandsgeldsanktion;
  • die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt;
  • die Verbandsauflösung.

Verbandsgeldsanktion
Die Verbandsgeldsanktion entspricht zunächst grundsätzlich der bisherigen Regelung des § 30 OWiG: Vorgesehen sind Sanktionen von höchstens EUR 10 Mio. bei vorsätzlichen Verbandsstraftaten und von höchstens EUR 5 Mio. bei fahrlässigen Verbandsstraftaten.

Neu und aus finanzieller Sicht wahrhaft bedrohlich ist jedoch der Geldsanktionsrahmen des § 9 Abs. 2 VerSanG-E. Dieser betrifft Verbände mit einem auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichteten Zweck, also privat-wirtschaftliche Unternehmen, und einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als EUR 100 Mio. Für diese Verbände richtet sich das Höchstmaß der Verbandsgeldsanktion nach dem durchschnittlichen weltweiten Jahresumsatz der letzten drei Geschäftsjahre, die der Verurteilung vorausgehen. Dabei werden auch Umsätze von natürlichen Personen und Verbänden berücksichtigt, die mit dem betroffenen Verband als wirtschaftliche Einheit operieren.

Im Falle einer vorsätzlichen Verbandsstraftat beträgt die Geldsanktion höchstens zehn Prozent und im Falle einer fahrlässigen Verbandsstraftat höchstens fünf Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes.

Gegenüber Unternehmen mit Milliardenumsätzen (der tatsächlich erzielte Unternehmensgewinn ist hierbei irrelevant!) können deshalb Verstöße mit Verbandsgeldsanktionen in Höhe von mehreren EUR 100 Mio. geahndet werden. Dabei handelt es sich allein um den sog. Ahndungsteil der Sanktion, der dem Verband tatsächlich „wehtun“ soll und der sich nicht allein in der „Abschöpfung“ des durch eine Verbandsstraftat erlangten Vorteils vollzieht. Eine Abschöpfung solcher wirtschaftlichen Vorteile der Tat, die im Rahmen von § 30 OWiG regelmäßig vorgenommen wird und in der Praxis bereits jetzt zu Geldbußen in Milliardenhöhe führte, erfolgt nicht mit der Verbandsgeldsanktion. Die Abschöpfung der Vorteile erfolgt nach der Konzeption des VerSanG-E vielmehr getrennt von der Geldsanktion nach den allgemeinen Regelungen der §§ 73 ff. StGB (hierzu nachstehend S. 3 sowie vertiefend Bielefeld/Handel, Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (wistra), 1/2019, S. 9 ff.).

Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt: Compliance matters!
§ 10 VerSanG-E sieht eine Art „Bewährungsstrafe“ für Unternehmen vor. So kann das Gericht den Verband verwarnen, eine Verbandsgeldsanktion bestimmen und deren Verhängung vorbehalten, wenn:

  • zu erwarten ist, dass die Verwarnung ausreichend ist, um Verbandsstraftaten, für die dieser Verband verantwortlich ist, in Zukunft zu vermeiden;
  • bei Gesamtwürdigung der Verbandsstraftat und ihrer Folgen besondere Umstände vorliegen, die die Verhängung einer Verbandsgeldsanktion entbehrlich machen;
  • die Verteidigung der Rechtsordnung die Verhängung einer Verbandsgeldsanktion nicht gebietet.

Bei der Entscheidung darüber, ob ein solcher Vorbehalt der Sanktionierung in Betracht kommt bzw. ob die genannten Voraussetzungen vorliegen, wird maßgeblich zu berücksichtigen sein, inwieweit das Unternehmen bzw. der Verband an der Aufklärung des Sachverhalts mitgewirkt hat und welche Compliance-Maßnahmen infolge des Verstoßes ergriffen wurden. Ebenso relevant wird sein, ob bereits zuvor ein wirksames Compliance Management System im Verband installiert war und ob es auch tatsächlich – im Sinne einer echten Compliance-Kultur – gelebt wurde. Besteht kein angemessenes und wirksames Compliance Management System, werden Strafverfolgungsbehörden und Gerichte in der Regel davon ausgehen, dass kein Raum für eine „Bewährungsstrafe“ besteht.

  • Künftig gilt erst recht: Gelebte Compliance ist bares Geld wert!

Dies wird wohl auch regelmäßig für die Voraussetzungen eines teilweisen Vorbehaltes gelten, wenn die vorstehend genannten Voraussetzungen einer vollständigen „Bewährungsstrafe“ nicht erfüllt sind. Das Gericht kann dann immer noch die Verhängung von bis zu 50 Prozent der Verbandsgeldsanktion vorbehalten, wenn zu erwarten ist, dass die Verhängung eines Teils der Verbandsgeldsanktion ausreichend ist, um Verbandsstraftaten, für die der Verband nach § 3 Abs. 1 VerSanG-E verantwortlich ist, in Zukunft zu vermeiden.

Verbandsauflösung
Als ultima ratio ist die Auflösung des Verbands, also die „Todesstrafe“ für Unternehmen, vorgesehen. Diese kann auch zusätzlich zu einer Verbandsgeldsanktion angeordnet werden.

Bei der Auflösung handelt es sich jedoch um eine Maßnahme, die nur in absoluten Ausnahmefällen in Betracht kommen wird. Voraussetzung ist unter anderem, dass von Leitungspersonen des betroffenen Verbands beharrlich erhebliche Verbandsstraftaten begangen worden sind und eine Gesamtwürdigung der für und gegen den Verband sprechenden Umstände die Gefahr erkennen lässt, dass bei Fortbestand des Verbands weiter erhebliche Verbandsstraftaten begangen werden.
Regelmäßig in Betracht kommen wird eine Verbandsauflösung nicht nur in Fällen sog. Clankriminalität, sondern auch im Zusammenhang mit Umsatzsteuerkarussellen, wenn ein Unternehmen allein oder in erster Linie zur Begehung eines Umsatzsteuerbetrugs gegründet wurde (zu Compliance-Maßnahmen in Bezug auf Umsatzsteuerkarusselle siehe Handel, Compliance-Berater (CB), 10/2019, 361 ff.).

Vorteilsabschöpfung bzw. Einziehung

Wie bereits angerissen, findet mit der Sanktionierung nach dem VerSanG-E keine Vorteilsabschöpfung statt. Anders ist dies aktuell noch bei der Verhängung von Verbandsgeldbußen nach §

30 OWiG, die den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen sollen und damit sowohl die Tat ahnden als auch die Vorteile abschöpfen. Dabei kann auch das gesetzliche Höchstmaß des Bußgeldtatbestands überschritten werden.

Mit den weiteren Neuregelungen im Zuge des Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität soll die Vorteilsabschöpfung mittels der Geldbuße gestrichen werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Verband auf strafbare oder bußgeldbewährte Weise erlangte Vorteile behalten kann. Die Einziehung dieser Beträge findet vielmehr losgelöst von bzw. zusätzlich zu der Sanktion nach den allgemeinen Regelungen der §§ 73 ff. StGB und § 29a OWiG statt. Sanktionierung und Einziehung bzw. Ahndungs- und Abschöpfungsteil werden dadurch grundsätzlich – also sowohl bei Verbandsstraftaten, als auch bei einer „herkömmlichen“ Verbandsgeldbuße wegen anknüpfungsfähiger Ordnungswidrigkeiten – voneinander getrennt.

Verbandsinterne Untersuchungen

Zu einer erheblichen Milderung der Sanktion kann der Verband beitragen, wenn er intern eine faire verbandsinterne Untersuchung, sog. Internal Investigation, durchführt. Interne Untersuchungen sind in der Praxis seit vielen Jahren Standard. Sie dienen der Überprüfung von Anhaltspunkten auf Rechtsverstöße und deren Unterbindung. Zugleich sind sie Voraussetzung für einen sachgerechten Umgang mit beteiligten Mitarbeitern (etwa durch angemessene arbeitsrechtliche Maßnahmen, Prüfung und ggf. Durchsetzung von Haftungsansprüchen gegen Organmitglieder). Schließlich dienen sie auch der laufenden Anpassung bestehender Compliance Management Systeme.

Auch nach dem VerSanG-E soll es Verbänden weiterhin freistehen, auf welche Weise sie interne Untersuchungen durchführen. Damit eine interne Untersuchung jedoch in substantieller Weise zur Milderung einer Verbandssanktion führt, müssen Verbände den Rechtsrahmen der §§ 17 ff. VerSanG-E strikt einhalten.
Mit einer verbandsinternen Untersuchung müssen nicht zwingend Dritte, also insbesondere spezialisierte externe Berater, beauftragt werden. Vielmehr kann die Untersuchung auch durch den Verband selbst durchgeführt werden.

Dem Gesetzesentwurf zufolge führt eine verbandsinterne Untersuchung, die den Voraussetzungen der §§ 17 ff. VerSanG-E genügt, dazu, dass die Verbandssanktion durch das Gericht gemildert werden kann. Mildert das Gericht die Verbandssanktion, reduziert sich das Höchstmaß der möglichen Verbandsgeldsanktion um die Hälfte und das Mindestmaß entfällt. Zudem sind eine Verbandsauflösung und die Anordnung der öffentlichen Bekanntmachung der Verurteilung ausgeschlossen.

Voraussetzung für diese gesetzliche Milderung ist aber das kumulative Vorliegen der sechs Prinzipien und drei Grundsätze des § 18 Abs. 1 VerSanG-E (ausführlicher hierzu Bielefeld, ComplianceBerater (CB), 11/2019, S. 413 ff.):

  1. Der Verband oder der von ihm beauftragte Dritte haben wesentlich dazu beigetragen, dass die Verbandsstraftat aufgeklärt werden konnte („Aufklärungsprinzip“).
  2. Der beauftragte Dritte oder die für den beauftragten Dritten bei den verbandsinternen Untersuchungen handelnden Personen sind nicht Verteidiger des Verbands oder eines Beschuldigten, dessen Verbandsstraftat dem Sanktionsverfahren zugrunde liegt („Trennungsprinzip“).
  3. Der Verband oder der von ihm beauftragte Dritte arbeiten ununterbrochen und uneingeschränkt mit den Verfolgungsbehörden zusammen („Unterwerfungsprinzip“).
  4. Der Verband oder der von ihm beauftragte Dritte stellen den Verfolgungsbehörden nach Abschluss der verbandsinternen Untersuchung das Ergebnis der verbandsinternen Untersuchung einschließlich aller für die verbandsinterne Untersuchung wesentlichen Dokumente, auf denen dieses Ergebnis beruht, sowie des Abschlussberichts zur Verfügung („Herausgabeprinzip“).
  5. Die verbandsinterne Untersuchung wurde unter Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens durchgeführt („Fairnessprinzip“), insbesondere:
    a) werden Mitarbeiter vor ihrer Befragung darauf hingewiesen, dass ihre Auskünfte in einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden können („Informationsgrundsatz“);
    b) den Befragten wird das Recht eingeräumt, einen anwaltlichen Beistand oder ein Mitglied des Betriebsrats zu Befragungen hinzuzuziehen, und die Befragten werden auf dieses Recht vor der Befragung hingewiesen („Beratungsgrundsatz“);
    c) den Befragten wird das Recht eingeräumt, die Auskunft auf solche Fragen zu verweigern, deren Beantwortung sie selbst oder die in § 52 Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO) bezeichneten Angehörigen gefährden würde, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden, und die Befragten werden auf dieses Recht vor der Befragung hingewiesen („Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit“).
  6. Die verbandsinterne Untersuchung wird in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen durchgeführt („Compliance-­Prinzip“).

Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen, kommt eine drastische Milderung nach §§ 18, 19 VerSanG-E nicht mehr in Betracht. Eine sonstige mildernde Berücksichtigung im Rahmen der Bemessung der Verbandssanktion ist jedoch nicht ausgeschlossen (Entwurfsbegründung, S. 98). Unternehmen müssen deshalb frühzeitig entscheiden, ob und inwieweit sie kooperieren wollen, um sich die Möglichkeit der gesetzlichen Milderung zu bewahren. Die einzelnen unternommenen Schritte (etwa die Beachtung der arbeitsrechtlichen und datenschutzrechtlichen Maßnahmen im Sinne des „Compliance-Prinzips“) sind zudem gründlich zu dokumentieren, um eine entsprechende Kooperation im Streitfalle nachweisen zu können.

Das Erfordernis der umfassenden Kooperation und die Trennung von Unternehmensverteidigung und interner Untersuchung führen dazu, dass der mit der internen Untersuchung Beauftragte faktisch zu einer Art „Hilfsperson der Staatsanwaltschaft“ wird. Die Begründung des Referentenentwurfs will es zwar zulassen, dass im Falle der Beauftragung einer Anwaltskanzlei mit der verbandsinternen Untersuchung auch ein der gleichen Kanzlei angehörender Rechtsanwalt die Verteidigung übernimmt. Zwischen den mit der Verteidigung beauftragten Rechtsanwälten und der internen Untersuchung beauftragten Rechtsanwälten müssen dann aber sog. Chinese Walls gezogen werden. Insbesondere darf der mit der Verteidigung beauftragte Anwalt der Entwurfsbegründung zufolge keinen unmittelbaren Zugriff auf die Erkenntnisse der Untersuchung haben (Entwurfsbegründung, S. 100).

Das Legalitätsprinzip und dessen Durchbrechungen

Eine weitere wesentliche Neuerung ist die Einführung des Legalitätsprinzips für Unternehmenssanktionen, also eines grundsätzlichen Verfolgungszwangs.

Während die Ahndung betriebsbezogener Straftaten mittels einer Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG dem Opportunitätsprinzip und damit dem pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde unterliegt (§ 47 Abs. 1 OWiG), sieht § 3 VerSanG-E vor, dass eine Verbandssanktion verhängt „wird“, wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen.

Eine Durchbrechung des Verfolgungszwangs erfolgt nur in den in §§ 36 ff. VerSanG-E ausdrücklich geregelten Fällen, die auf die §§ 153 ff. StPO Bezug nehmen. Diese Möglichkeiten sind zu begrüßen, ermöglichen sie doch einen gewissen Beurteilungsspielraum und flexible Lösungen. Insbesondere gilt dies für die Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung nach § 37 VerSanG-E i. V. m. § 153a StPO, wonach eine Einstellung unter Auflagen und Weisungen erfolgen kann.

Folgen für die Praxis

Unabhängig davon, wie man den VerSanG-E rechtspolitisch einordnet: Der Referentenentwurf wird mit Blick auf Compliance und gute Unternehmensführung durch sein enormes finanzielles und sachliches Bedrohungspotential sehr viel bewegen. Angesichts der Neuregelung und der klaren Ansage innerhalb der Entwurfsbegründung, dass die bisherige Höchstgrenze des Ahndungsteils der Verbandsgeldbuße von EUR 10 Mio. nach § 30 OWiG „insbesondere gegenüber finanzkräftigen multinationalen Konzernen keine empfindliche Sanktion zu[lässt]“ (Entwurfsbegründung, S. 1), ist in der Zukunft mit weitaus höheren Sanktionen zu rechnen. Denn zu den bisher bereits zum Teil sehr hohen Abschöpfungsanteilen (vgl. nur die innerhalb der letzten zwölf Monate verhängten Verbandsgeldbußen gegen namhafte deutsche Automobilhersteller und Automobilzulieferer), kämen in Zukunft deutlich höhere Ahndungsanteile.

Durch die Einführung des Legalitätsprinzips ist zudem mit deutlich mehr Verfahren gegen Unternehmen als bisher zu rechnen. Nach dem VerSanG-E ist nämlich – jedenfalls zunächst – stets auch gegen das Unternehmen zu ermitteln, wenn der Verdacht einer Verbandsstraftat besteht. Allerdings bieten die zahlreichen Einstellungsmöglichkeiten und die Möglichkeit des (teilweisen) Vorbehalts der Verbandsgeldsanktion Spielraum für flexible Lösungen im Falle eines gegen ein Unternehmen geführten Verfahrens.

Die Notwendigkeit angemessener und wirksamer Compliance-Maßnahmen (und damit einer gelebten Compliance-Kultur) wird an verschiedenen Stellen des Gesetzentwurfs und dessen Begründung deutlich herausgehoben. Gleiches gilt für interne Untersuchungen, wenn der Verdacht einer Verbandsstraftat besteht. Diese können, wenn sie strengen Anforderungen genügen, zu einer gesetzlich geregelten Milderung des Sanktionsrahmens führen. Der Unternehmensverteidiger kann in Zukunft nicht mehr mit einer internen Untersuchung beauftragt werden. Dies jedenfalls, wenn die gesetzliche Sanktionsrahmenmilderung erzielt werden soll. Auch bei Mitarbeiterinterviews ist in Zukunft besondere Vorsicht geboten, da diese nach den drei beschriebenen Grundsätzen „fair“ geführt werden müssen. Unternehmen müssen sich zudem frühzeitig entscheiden, ob sie vollumfänglich mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren wollen. Hier lohnt sich ein vergleichender Blick auf die Kooperationspraxis in Fällen mit Bezug in die USA und das UK, um die volle Bedeutung dieser Entscheidung in das eigene, unternehmerische Handeln einpreisen zu können (vgl. hierzu einen entsprechenden Beitrag von Bielefeld, der in Kürze im Compliance-Berater (CB) in Heft 1, 2020 erscheinen wird).

Mit der Regelung zum Inkrafttreten in Art. 15 des Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität wird eine zweijährige Übergangsfrist geschaffen. Die Übergangsfrist soll „den Verbänden […] ausreichend Zeit zur Verfügung [stellen], die internen Abläufe zu überprüfen und erforderlichenfalls weitere Compliance
Maßnahmen zu treffen
“ (Entwurfsbegründung, S. 147). Diese Zeit sollte unbedingt sinnvoll genutzt werden. Angesichts der Frist und ihrer Begründung halten wir es für sehr wahrscheinlich, dass Strafverfolgungsbehörden bei Fehlen dokumentierter wirksamer und angemessener Compliance-Maßnahmen nach Inkrafttreten des VerSanG reflexartig davon ausgehen werden, dass ein unternehmensseitiges Verschulden vorliegt bzw. Organisations- und Aufsichtspflichten verletzt wurden.

Fragen dazu beantworten Ihnen Jörg Bielefeld, Alexander Schmid und Timo Handel gerne.

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