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Sektorübergreifende Sorgfaltspflichten in der Lieferkette im Anmarsch

EU-Lieferkettengesetz oder nationaler Flickenteppich – wohin steuert die deutsche Ratspräsidentschaft?

Wie in unserem Newsletter „Corona vs. CSR“ im April beschrieben, liegen die Pläne für ein deutsches Lieferkettengesetz bis zum Abschluss der zweiten Monitoring-Runde zum Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte („NAP“) derzeit auf Eis. Das liegt nicht an der Corona-Krise, sondern an der schon vorher entbrannten hitzigen Diskussion um die Einführung verbindlicher Sorgfaltspflichten in der Lieferkette. Aktuell rücken zunehmend zwei andere Entwicklungslinien in den Blick: Zum einen die Aktivitäten der EU-Kommission in diesem Bereich und zum anderen die deutsche Ratspräsidentschaft ab dem 01. Juli 2020.

Die EU-Kommission will das Projekt eines europäischen Lieferkettengesetzes mit Nachdruck vorantreiben, wobei das weitere Vorgehen auf einer viele hundert Seiten starken Studie zu Sorgfaltspflichten in der Lieferkette gründet (vgl. Daily News 24/02/2020 der EU-Kommission mit dem aussagekräftigen Titel „Commission study shows the need for EU-level legislation on due diligence throughout the supply chain on human rights and environmental impacts“). Ein wesentliches Ergebnis der Studie zeigt in eine ähnliche Richtung wie die erste Runde des deutschen NAP-Monitorings: EU-weit führt nur jedes dritte Unternehmen Prüfungen in Bezug auf Menschenrechte und Umweltauswirkungen durch. Freiwilligkeit als Konzept reicht daher aus Sicht des EU-Justizkommissars Didier Reynders nicht aus, der nun zweierlei angeht: Eine öffentliche Konsultation in 2020 im Anschluss an die Studie und in 2021 die Vorlage eines Gesetzesvorschlages für ein europäisches Lieferkettengesetz. Nach Didier Reynders wird der Gesetzesvorschlag Sanktionen bei „Non-Compliance“ vorsehen und gegebenenfalls Klagemöglichkeiten für Betroffene. „Eine Regulierung ohne Sanktionen ist keine Regulierung“, so Reynders. Damit könnten die Überlegungen der EU-Kommission in Richtung des französischen „Loi de Vigilance“ (2017) gehen, das bislang weltweit als das härteste nationale Gesetz im Zusammenhang mit menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten gilt, da es Unternehmen (allerdings nur große französische Unternehmen mit 5.000 Mitarbeitern in Frankreich oder 10.000 Mitarbeitern weltweit) nicht nur Berichtspflichten, sondern umfangreiche Handlungspflichten auferlegt, die auch sanktioniert sind (vgl. dazu bereits unser „Update Corporate Social Responsibility: Verbindliche CSR-Sorgfaltspflichten auf dem Vormarsch“ von Juli 2019).

Einen Regulierungsansatz auf EU-Ebene zu sektorübergreifenden, verbindlichen Sorgfaltspflichten in der Lieferkette tragen zahlreiche Unternehmen mit. So plädiert etwa der Bayer-Konzern vor kurzem für ein EU-weites Lieferkettengesetz. „Wir unterstützen ein Lieferkettengesetz, aber eines auf europäischer Ebene, nicht nur in Deutschland”, so Matthias Berninger, Global Head of Public Affairs & Sustainability der Bayer Gruppe. Bereits im Dezember 2019 hatten zunächst 42 deutsche Unternehmen ein Statement für eine gesetzliche Regelung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten unterzeichnet; bis heute sind weitere 19 Unternehmen hinzugekommen. Zu den Unterzeichnern gehören u.a. Hapag-Lloyd, Nestlé Deutschland, Ritter Sport, Tchibo und Vaude. Angesichts der hitzigen Diskussion um ein nationales Lieferkettengesetz kann allerdings nicht die Rede davon sein, dass dies dem „Mainstream“ in der Wirtschaft entspräche.

Nun kommt die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ins Spiel. Es sind zwar Eckpunkte zur EU-Ratspräsidentschaft in organisatorischer Hinsicht bekannt, weniger aber die konkreten Inhalte, auch und gerade im Bereich Nachhaltigkeit. Das Programm, das zudem mit Portugal und Slowenien abgestimmt wird (sogenannte „Trio-EU-Ratspräsidentschaft“), wird demnächst veröffentlicht. Es bleibt abzuwarten, ob mit Blick auf Corona-Folgethemen wie dem Europäischen Wiederaufbauprogramm vor allem das behandelt werden soll, was „rechtlich verpflichtend bis Ende 2020 behandelt werden“ muss (so Europa-Staatsminister Michael Roth). Ist da Raum für menschenrechtliche Sorgfaltspflichten in der Lieferkette? Zudem hatten die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag zwar vereinbart, ein nationales Lieferkettengesetz auf den Weg zu bringen; allerdings werden die Ergebnisse der aktuell laufenden zweiten Runde des deutschen NAP-Monitorings voraussichtlich erst im Laufe der deutschen Ratspräsidentschaft bekannt werden. Nach dem Buchstaben des Koalitionsvertrags wäre daher bis zum Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft noch nicht der Punkt gekommen, an dem sich die deutsche Regierung aktiv für eine EU-weite Regelung einsetzt, zumal – wie erwähnt - der nationale deutsche Gesetzentwurf auf Eis liegt. Es ist daher fraglich, ob die deutschen Aktivitäten während der Ratspräsidentschaft in einer Förderung der europäischen Initiativen um mehr Nachhaltigkeit in der Lieferkette münden – und das prominent an der Spitze für die nächsten sechs Monate. Dass sich die EU-Kommission von einer etwa ausbleibenden Unterstützung aus Deutschland aufhalten lässt und den bereits eingeleiteten Prozess stoppt, ist aber nicht zu erwarten. Die klare Botschaft dürfte vielmehr sein, dass sich die EU-Kommission an die Spitze des Prozesses setzt und sich das Ruder nicht aus der Hand nehmen lassen will.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden sich die Pläne für ein europäisches Lieferkettengesetz daher in 2021 konkretisieren. Einen nationalen Flickenteppich zu vermeiden, ist zudem ein nachvollziehbares Anliegen, ein verlässlicher Rahmen, der für alle als „level playing field“ gilt. Es dürfte daher nicht eine Frage des „ob“ sein, sondern des „wann“ und „wie“ eine europäische Lösung ausgestaltet ist. Ob die EU-Kommission sich bei der Ausgestaltung ihres Gesetzesvorschlages an dem Modell des französischen „Loi de Vigilance“ orientiert, wird zu beobachten sein.

Unternehmen tun daher gut daran, diese weitere Entwicklung im Auge zu behalten und sich bereits auf die Einführung verbindlicher Sorgfaltspflichten in der Lieferkette vorzubereiten. Erste sektorspezifische Sorgfaltspflichten treten aufgrund der Konfliktmineralien-VO ohnehin bereits Anfang 2021 in Kraft (vgl. dazu unser „Update Corporate Social Responsibility: Verbindliche Sorgfaltspflichten in der Lieferkette für Konfliktmineralien“ von November 2019). Die konkrete Ausgestaltung eines europäischen Lieferkettengesetz-Vorhabens würde zudem Auswirkungen auf die bestehenden Compliance-Strukturen der Unternehmen haben. Die Unternehmen müssten dann auch Menschenrechts- und Umwelt-Auswirkungen mit einer Lieferketten-Due Diligence abbilden. Welche Unternehmen unter das neue Regime fallen, denen man zutraut, verpflichtende und sanktionierte Due Diligence Prozesse und Compliance Strukturen (sich) leisten zu können, ist eine weitere Fragestellung mit Konfliktpotential.

Dr. André Depping

Dr. Matthias Etzel

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