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Gewerbliches Mietrecht

Ein Blick in die Rechtsgeschichte und auf das Institut der "Großen Geschäftsgrundlage"

Als Reaktion auf die Corona-Krise haben alle Bundesländer schwerpunktmäßig im März 2020 auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes Maßnahmen zur Verlangsamung der Ausbreitung des neuen Coronavirus getroffen. In Berlin etwa wurden aus diesem Grund ab Mitte 2020 vom Verordnungsgeber zahlreiche Regelungen in Kraft gesetzt. Aktuell ist die am 22. März 2020 erlassene und am 9. April 2020 zuletzt geänderte Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 (SARS-CoV-2 EindmaßnV). § 3a Abs. 1 der Berliner Verordnung ordnet die Schließung aller "Verkaufsstellen im Sinne des Berliner Ladenöffnungsgesetzes vom 14. November 2006" an und nimmt hiervon in Abs. 2 insbesondere den Einzelhandel für Getränke und Lebensmittel aus. Seit Mitte März 2020 mussten daher u. a. alle Einzelhandelsgeschäfte schließen, soweit sie nicht unter die Ausnahmeregelung fallen.

Die aktuelle Rechtsprechung sieht das Betriebsrisiko alleine beim Gewerbemieter. Er hat also beispielsweise das Risiko für Leerstand um ihn herum, Verlegung von Straßen, falsche Umsatzerwartungen und eben auch das Risiko für behördliche Anordnungen, die Auswirkung auf den Mietgegenstand haben, zu tragen. Die Rechtsprechung gibt ihm kein Minderungsrecht und aktuell auch keine Anpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage. Lediglich eine Kündigung kann in Frage kommen, wenn Unvermietbarkeit eintritt.

Aufgrund der behördlichen Schließungsanordnung von Geschäften haben einige bekannte Großmieter von Geschäftsräumen in Deutschland öffentlich angekündigt, die Mietzahlung für die geschlossenen Geschäfte jetzt ganz oder teilweise einzustellen. Das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, das seit dem Jahr 2002 in § 313 BGB kodifiziert ist, wird jetzt regelmäßig bei den Auswirkungen der Corona-Krise auf Verträge zwischen Unternehmen erörtert. Auch bei der Ankündigung des Mietzahlungsstopps wurde Wegfall der Geschäftsgrundlage neben Höherer Gewalt als rechtlicher Grund angeführt. Gemeint ist hierbei stets die „kleine“ Geschäftsgrundlage, bei der es um die den jeweiligen, also singulären Vertrag betreffenden Umstände geht.

Bei der Prüfung von Rechten aus dem Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage wird danach gefragt, ob ein Umstand Geschäftsgrundlage geworden ist und ob insoweit eine schwerwiegende Veränderung eingetreten ist, die eine Anpassung des Vertrages rechtfertigt. Schwerwiegend ist die Änderung, wenn mindestens eine Partei diesen Vertrag in Kenntnis der Änderung nicht oder nicht mit diesem Inhalt geschlossen hätte. Verwirklicht sich lediglich ein Risiko, das eine Partei zu tragen hat, ist die Anwendung des § 313 BGB ausgeschlossen. Dies kann bei einer vertraglichen Risikoübernahme vorliegen oder bei einer normativen Risikozuweisung. So trägt regelmäßig der Käufer das Risiko der Verwendbarkeit des Kaufgegenstandes. Der Mieter von Geschäftsräumen trägt – wie bereits dargestellt - regelmäßig das Betriebsrisiko.

Grundsätzlich bestehen Rechte wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nur, wenn der anderen Partei die unveränderte Vertragserfüllung nicht zumutbar ist. Unzumutbarkeit ist nach einer geläufigen Wendung der Rechtsprechung gegeben, wenn das Festhalten am Vertrag zu untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu vereinbarenden Ergebnissen führen würde. Dies erfordert eine umfassende Interessenabwägung unter Würdigung aller Umstände, auch der Vorteile, die einer Partei neben den Nachteilen erwachsen.

Die Frage lautet, ob das Institut "kleine Geschäftsgrundlage" geeignet ist, in der Corona-Krise angemessene Rechtsfolgen für eine Vielzahl von Verträgen zwischen unternehmerischen Vermietern und Mietern zu finden. Wenn die Parteien gewusst hätten, dass die Corona-Krise kommt und mit ihr zahlreiche (wie lange dauernden?) behördliche Geschäftsschließungen, was hätten die Parteien vereinbart? Das lässt sich so kaum beantworten. Mit dem Zivilrecht und der aktuellen Rechtsprechung allein dürfte sich Fragen der allgemeinen Not kaum sachgerecht lösen lassen. Und bei der rasanten Entwicklung des Corona-Virus und der stets neuen Gegenmaßnahmen des Gesetzgebers und der Behörden und ihrer nicht absehbaren Dauer können auch schon kurzfristig Kaskadeneffekte eintreten, die Lieferketten unterbrechen, reihenweise Insolvenzen auslösen und die Banken in Existenzschwierigkeiten bringen.

Ins Blickfeld gerät deshalb das Institut der "großen Geschäftsgrundlage". Darunter versteht man die Erwartung, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen des Vertrags nicht etwa durch Revolution, Krieg, Vertreibung, Hyperinflation oder eine (Natur-)Katastrophe ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde. Eine derartige Naturkatastrophe dürfte bei der Corona-Krise aber vorliegen. Die weltweite Ausbreitung von COVID-19 wurde am 11. März 2020 von der WHO zu einer Pandemie erklärt. Der bundesdeutsche Gesetzgeber hat mit dem am 27. März 2020 beschlossenen Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie das Vorliegen einer Pandemie festgestellt. Die behördlichen Maßnahmen wie Geschäftsschließungen dienen der Abwehr der Pandemie-Gefahren.

Was gilt bei dem Vorliegen der Störung der "großen Geschäftsgrundlage"? Vorrangig das Gesetz. In der Nachkriegszeit wurde das Vertragshilfegesetz zum Schutz von Schuldnern und zur Vermeidung von Unternehmenszusammenbrüchen erlassen. Heute gilt das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie. Die ersatzlose Einstellung von unternehmerischen Mietzahlungen lässt sich nicht mit diesem Gesetz begründen, denn dieses lässt aktuell nur die zeitweise Stundung von Mietzahlungen zu (Artikel 240, § 2 EGBGB, Moratorium).

Damit wird die "große Geschäftsgrundlage" relevant. In der Nachkriegszeit hat die Rechtsprechung einen eher pragmatischen Ansatz zur Lösung von Rechtsstreitigkeiten gewählt und damit dem Umstand Rechnung getragen, dass das Risiko des Eintritts derartiger Ereignisse keiner der beiden Parteien zugerechnet werden kann. So traf nach einem Urteil des BGH vom 26. Februar 1957 den Vermieter keine vollständige Instandhaltungspflicht bei exorbitanten Kriegsschäden. Gemäß einem Urteil des OLG Hamburg vom 24. Juni 1947 erfolgte eine hälftige Schadensteilung bei der Zerstörung einer gemieteten Anlage durch einem Luftangriff, obwohl der Mieter vertraglich die Gefahr des Sachuntergangs trug. Diese Rechtsprechungsbeispiele zeigen einen Weg auf, wie die Frage der gewerblichen Mietzinszahlungen bei behördlich angeordneten Geschäftsschließungen wegen der COVID-19-Pandemie gehandhabt werden kann: Sofern keine Sonderumstände vorliegen, die für eine Risikoverlagerung auf eine Partei sprechen, wird das Risiko grundsätzlich geteilt.

Dr. Thomas Jilg

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