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Vorsicht vor unlauterem „Greenwashing“: Werbung mit der Bezeichnung „klimaneutral“

Urteil des OLG Frankfurt am Main vom 10.11.2022 – 6 U 104/22

Klimaschutz wird für Verbraucher immer wichtiger. Besonders die Bezeichnung „klimaneutral“ kann die Kaufentscheidung erheblich beeinflussen. Dabei ist die Grenze zwischen zulässiger Werbung und unlauterem „Greenwashing“ fließend, was ein aktuelles Urteil des OLG Frankfurt a.M. anschaulich darstellt.

Kurzwiedergabe des Sachverhaltes

In dem vom OLG Frankfurt a.M. entschiedenen Fall ging es um einen Hersteller ökologischer Wasch- und Reinigungsmittel. Das Unternehmen warb unter anderem mit dem Gütesiegel einer Zertifizierungsstelle, das die Klimaneutralität des Unternehmens attestierte. Durch einen Klick auf das Logo gelangte man auf eine Unterwebseite, auf der die Zertifizierung näher erläutert wurde. Das Problem lag im Wesentlichen darin, dass die Zertifizierungsstelle zu einer bestimmten Art von Emissionen („Scope 3-Emissionen“) lediglich Empfehlungen gab. Ob diese tatsächlich berücksichtigt oder welche dieser Emissionen ausgeklammert worden sind, gab das beklagte Unternehmen jedoch nicht an. Ein Wettbewerber hielt dies für irreführend und verlangte daher, die Werbung mit dem Siegel „klimaneutral“ zu unterlassen. Während das Landgericht die Eilanträge des Wettbewerbers noch zurückgewiesen hatte, gab das OLG Frankfurt a.M. ihm in der Berufung teilweise Recht.

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 10.11.2022 – 6 U 104/22

Bei irreführender Werbung stellt sich stets die Vorfrage nach dem maßgeblichen Personenkreis, der durch die Werbung angesprochen wird. Richtet sich Werbung etwa an Experten, kann ein anderes Vorwissen erwartet werden als bei einem Durchschnittsverbraucher. Das Landgericht hatte die Eilanträge in erster Instanz unter anderem deshalb zurückgewiesen, weil es annahm, dass sich die Werbung an Biomarkt-Käufer richte, die dem Gericht zufolge informierter und gebildeter als der Durchschnittsverbraucher seien. Dieser Annahme widersprach das OLG und stellte fest, dass Biomarktkäufer kein klar abgrenzbarer Verkehrskreis seien. Schließlich kauften die meisten Personen nicht immer oder nie in Biomärkten ein, sondern seien eher Gelegenheitskäufer. Für die Beurteilung, ob das Siegel „klimaneutral“ irreführend ist, komme es daher lediglich auf das Verständnis des allgemeinen Durchschnittsverbrauchers im Sinne von § 3 Abs. 4 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) an.

Das OLG stellte zudem fest, dass der Begriff „klimaneutral“ für den Durchschnittsverbraucher aus sich heraus verständlich sei und im Sinne einer ausgeglichenen Bilanz der CO₂-Emissionen – etwa durch Kompensation oder Erwerb von CO₂-Zertifikaten – aufgefasst werden müsse. Insbesondere sei der Begriff „klimaneutral“ nicht als „emissionsfrei“ zu verstehen, wie es noch etwa das LG Oldenburg (Urteil v. 16.12.2021, Az. 15 O 1469/21) annahm. Damit schloss sich das OLG Frankfurt a.M. der Linie des OLG Schleswig an (Urteil v. 30.6.2022, Az. 6 U 46/21). Für den Verbraucher müsse zudem erkennbar sein, ob sich die Klimaneutralität auf das Unternehmen, die angebotenen Produkte oder beides beziehe. Das Gericht hat zutreffend die erhebliche Bedeutung von Gütesiegeln für die Kaufentscheidung von Verbrauchern hervorgehoben.

Aufklärungspflichten

Das OLG Frankfurt a. M. konkretisierte nun erstmals, wie weit die Aufklärungspflichten bei der Werbung mit dem Begriff „Klimaneutralität“ reichen. Eine Aufklärung sei zunächst darüber erforderlich, ob die „Klimaneutralität“ ganz oder teilweise durch Einsparungen oder lediglich durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werde. Bei einem Unternehmen, das sich als „klimaneutral“ bezeichnet, werde nicht davon ausgegangen, dass diese „Klimaneutralität“ alleine auf den Kompensationsmaßnahmen Dritter beruhe. Aus Verbrauchersicht wecke ein solches Vorgehen den Verdacht des sog. „Greenwashing“ und diene nicht wirklich der Verbesserung des Klimaschutzes, so das OLG Frankfurt a. M. Des Weiteren müsse darüber aufgeklärt werden, ob bestimmte Emissionen von der Bilanzierung ausgenommen werden. Verwendet ein Unternehmen ein Gütesiegel, müsse zudem eine Aufklärung darüber erfolgen, anhand welcher Kriterien es geprüft werde.

Eine darüber hinaus gehende Aufklärung sei jedoch nicht erforderlich. So würde der Verbraucher detaillierte Informationen, etwa über den Gegenstand des zur Kompensation unterstützten Klimaprojekts, jedenfalls bei der Anschaffung geringwertiger Alltagsgegenstände bei seiner Kaufentscheidung nicht berücksichtigen. Die Einzelheiten der Zertifizierungsentscheidung seien für den Verbraucher regelmäßig nicht von Interesse.

Wurden diese Aufklärungspflichten im konkreten Fall erfüllt?

Die Abbildung des Siegels „Klimaneutral – Unternehmen“ in der Fußzeile der Website bedurfte keiner unmittelbaren Aufklärung. Bei der Beurteilung, ob wesentliche Informationen vorenthalten werden, sind nämlich die räumlichen Beschränkungen durch das gewählte Kommunikationsmittel zu berücksichtigen (§ 5a Abs. 3 UWG). Hinweise unter dem Gütesiegel seien weder auf benutzerfreundlicher Weise lesbar gewesen noch würde ein Verbraucher sie dort erwarten. Vielmehr genüge es, auf eine Website zu verweisen, auf der die Prüfkriterien für das Gütesiegel näher erläutert werden. In dem vorliegenden Fall war dem so: Durch einen Klick auf das Logo gelangten Verbraucher auf die Unterseite des Internetauftritts, der die Zertifizierung näher erläuterte.

Anders lag es jedoch bei der erläuternden Webseite selbst. Ausschlaggebend war, dass nicht darüber aufgeklärt wurde, dass bestimmte Emissionen aus der Berechnung ausgeklammert worden waren. So sei es zu erwarten, dass für die CO₂-Bilanz sämtliche Emissionen des Unternehmens ermittelt und kompensiert worden sind. Konkret ging es um die indirekten Emissionen aus dem Bereich „Scope 3“. Diese Emissionen werden zwar in der Herstellung der Ware, aber durch unternehmensexterne Faktoren verursacht. Dazu gehören etwa eingekaufte Güter und Rohstoffe, Abfälle, Geschäftsreisen von Mitarbeitern und ausgelagerte Aktivitäten, wie etwa Transporte. Das Gericht stellte fest, dass diese „Scope 3-Emissionen“ bei vielen Unternehmen einen erheblichen Teil des Treibhausgasfußabdrucks ausmachten. Sie seien jedoch besonders schwer zu quantifizieren, weshalb bei ihnen die Gefahr des „Greenwashing“, also von irreführenden Umweltaussagen, besonders groß sei. Daher sei ein deutlicher Hinweis darauf erforderlich gewesen, dass indirekte Emissionen ganz oder teilweise ausgeklammert worden waren.

Praxishinweis

Solange der BGH sich zu dieser Frage nicht geäußert hat, ist die Verwendung umweltbezogener Aussagen wie „klimaneutral“ nur dann ratsam, wenn aufklärende Hinweise dazu erfolgen, wie der Begriff konkret zu verstehen ist. Andernfalls droht die Gefahr, dass der Vorwurf einer irreführenden „Greenclaim“-Werbung erhoben wird. Besonders problematisch ist dabei der Begriff „umweltfreundlich“, da die Gerichte diesen im Gegensatz zu „klimaneutral“ als gänzlich unbestimmt ansehen. Hier sollten die Umstände, die das Produkt oder Unternehmen „umweltfreundlich“ gestalten, im Detail aufgeführt werden; andernfalls wäre die Werbung irreführend.

Ausblick

Die EU-Kommission hat die Problematik des „Greenwashing“ und unzuverlässiger bzw. nicht transparenter Nachhaltigkeitssiegel längst erkannt. Konkrete Lösungsansätze enthält der Richtlinienvorschlag zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel durch besseren Schutz gegen unlautere Praktiken und bessere Informationen (COM (2022) 143). Dieser soll etwa das Verbot des Anbringens eines Nachhaltigkeitssiegels einführen, das nicht auf einem Zertifizierungssystem beruht oder nicht von staatlichen Stellen festgesetzt wurde. Auch soll sichergestellt werden, dass ein Unternehmer Produkte nur vergleichen darf, wenn er Informationen bereitstellt über die Vergleichsmethode, die betreffenden Produkte und Lieferanten sowie die Maßnahmen, um die Informationen auf dem neuesten Stand zu halten.

Mit Spannung erwartet wurde zudem der am 22. März 2023 veröffentlichte Vorschlag der EU-Kommission zur Green Claims Richtlinie (COM (2023) 166), die zum Ziel hat, „Greenwashing“ in der Werbung zu bekämpfen. Verbieten soll die Richtlinie u.a. umweltbezogene Angaben, die nicht eine Reihe von Mindestkriterien erfüllen, sowie Nachhaltigkeitssiegel, die nicht den Mindestanforderungen an Transparenz und Glaubwürdigkeit genügen. Unterstützend soll ein Überprüfungsmechanismus geschaffen werden.

Auch wenn es wohl noch einige Jahre dauern wird, bis diese EU-Richtlinien in Kraft treten und in deutsches Recht umgesetzt sind, zeichnet sich bereits ab, dass sich der rechtliche Rahmen für zulässige „grüne Werbung“ künftig verschärfen wird. Neu wäre insbesondere auch die Pflicht zur Zertifizierung bei Werbung mit Aussagen zur Nachhaltigkeit. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Richtlinien auf das Lauterkeitsrecht auswirken werden und welche konkreten Anforderungen Unternehmen dann zu erfüllen haben.

Dr. Birgit Münchbach

Dieser Blogbeitrag erscheint ebenso im Haufe Wirtschaftsrechtsnewsletter.

Zur besseren Lesbarkeit wird in dem vorliegenden Beitrag auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Es wird das generische Maskulin verwendet, wobei alle Geschlechter gleichermaßen gemeint sind.

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