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Die Auswirkungen der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf das Arbeitsverhältnis

Ende 2019 hat der Gesetzgeber das Bürokratieentlastungsgesetz III (BEG III) beschlossen und damit der Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) den Weg bereitet. Damit soll zumindest ein großer Teil der jährlich ca. 77 Millionen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die allesamt in bis zu vierfacher Ausfertigung gedruckt werden mussten, digitalisiert werden. Hierfür wurden verschiedene „Digitalisierungsphasen“ vorgesehen. In Phase 1 sollte zunächst die digitale Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten von Vertragsarzt an die Krankenkasse implementiert werden. Anschließend sollte in Phase 2 auch der „gelbe Schein“ durch einen Datensatz ersetzt werden. Ursprünglich sollte Phase 2 am 1. Juli 2022 verbindlich umgesetzt werden. Nachdem die Coronapandemie jedoch für Verzögerungen bei der technischen Umsetzung gesorgt hat, wurde der Beginn von Phase 2 nun auf den 1. Januar 2023 verschoben. Technische Probleme sind allerdings nicht die einzige Hürde bei der Implementierung von Phase 2. Es schließen sich auch einige arbeitsrechtliche Fragen an.

Nicht für alle Arbeitnehmer

Vorweg ist festzuhalten, dass auch nach der Implementierung von Phase 2 nicht für alle Arbeitnehmer eine eAU ausgestellt werden wird. Für bestimmte Mitarbeiter werden Arbeitgeber auch weiterhin keine eAU abrufen können, sodass in diesen Fällen weiterhin auf Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in Papierform zurückgegriffen werden muss. Betroffen hiervon sind insbesondere privatversicherte Arbeitnehmer, aber auch solche, deren Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt festgestellt wird, der nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt. Das gleiche gilt für Reha- und Vorsorgeeinrichtungen sowie für Erkrankungen, die im Ausland attestiert werden.

Abruf durch Arbeitgeber

Sofern der Arbeitnehmer künftig allerdings dem Anwendungsbereich der neuen elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung unterfällt, wird er dem Arbeitgeber keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mehr vorlegen müssen. Der Arbeitgeber muss den entsprechenden Datensatz vielmehr bei der Krankenkasse abrufen. Dabei ist folgendes zu beachten:

Zum einen ist der Arbeitgeber nicht berechtigt, anlasslos, „ins Blaue hinein“ Datensätze bei der Krankenkasse abzufragen. Erst nachdem der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit angezeigt hat, darf die Abfrage erfolgen. Zum anderen ist aufgrund technischer Hürden nicht zwingend gewährleistet, dass die eAU unmittelbar verfügbar ist, sobald die Arbeitsunfähigkeit vom Arzt bestätigt wurde. Mit Hinblick darauf, dass die Ärzte die Datensätze qualifiziert signieren müssen, ist mit einer verzögerten Übermittlung zu rechnen. Krankenkassenseitig wird deshalb dazu geraten, die eAU erst am Tag nach der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit abzurufen. Dies entbindet den Mitarbeiter allerdings nicht von seiner Verpflichtung, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit unverzüglich mitzuteilen.

Lohnfortzahlung und Leistungsverweigerungsrecht

Eine rechtliche Frage betrifft das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers. Mit der Einführung der eAU wird § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) um einen Absatz 1a erweitert, der den gesetzlich versicherten Arbeitnehmer künftig von der Pflicht, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen, befreit. Einen „gelben Schein“ für den Arbeitgeber wird es dann nicht mehr geben. Allerdings war gerade die (Nicht-)Vorlage dieses „gelben Scheins“ bisher der Anknüpfungspunkt für das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG.

Während § 5 EFZG durch die Ergänzung des Absatzes 1a an die veränderte Situation angepasst werden wird, ist für § 7 EFZG derzeit keine Änderung absehbar. Damit gibt es keine ausdrückliche, gesetzliche Regelung, die den Arbeitgeber dazu berechtigen würde, die Fortzahlung des Arbeitsentgelts zu verweigern, sofern der Arbeitnehmer seiner Obliegenheit, die Arbeitsunfähigkeit ärztlich feststellen zu lassen, nicht nachkommt. Dass dies nicht vom Gesetzgeber gewollt sein dürfte, folgt schon daraus, dass – wie auch der Name des BEG III vermuten lässt – eigentlicher Zweck der eAU der Abbau von Bürokratie ist. Dass der Gesetzgeber gleichzeitig auch die Verantwortung für die nicht (rechtzeitig) vorgenommene ärztliche Bestätigung der Arbeitsunfähigkeit auf den Arbeitgeber verschieben wollte, ist nicht ersichtlich. Um dieses Versehen des Gesetzgebers zu beheben und die dadurch entstandene Regelungslücke zu füllen, sollte jedenfalls dann ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers in Betracht kommen, wenn der Arbeitnehmer seine Pflicht, die Arbeitsunfähigkeit (rechtzeitig) feststellen zu lassen, nicht erfüllt. Der Arbeitgeber wird dabei auch künftig berechtigt sein, den hierfür maßgeblichen Zeitpunkt vertraglich auf den ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit vorzuverlegen.

In diesem Zusammenhang werden arbeitsvertragliche Standardklauseln, die den Arbeitnehmer zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Tag verpflichten, künftig ins Leere laufen. Bezogen auf Altverträge lässt sich vertreten, dass solche Klauseln im Wege der Auslegung auch unter der neuen Rechtslage dahingehend fortbestehen können, dass Arbeitnehmer ab Inkrafttreten der neuen Rechtslage nicht mehr zur Vorlage der Bescheinigung, sondern zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ab dem ersten Tage verpflichtet sind.

Praxistipp

Nichtsdestotrotz sollten Arbeitgeber eine Anpassung dieser Klausel anstreben, insbesondere, wenn der Vertrag aus anderen Gründen sowieso angepasst wird. Bei Neuverträgen sollten Arbeitgeber darauf achten, künftig die neue Rechtslage zu berücksichtigen und unmittelbar die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zum Gegenstand der Vertragsklausel machen. Für die Übergangszeit bietet es sich bereits jetzt schon an, die künftige Gesetzesänderung zu antizipieren und die Klausel entsprechend zweigliedrig zu gestalten.

Beweiswert der eAU

Schließlich lässt sich die Frage in den Raum werfen, ob einer eAU noch derselbe Beweiswert zugesprochen werden kann, wie der herkömmlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Aus der bisherigen Bescheinigung konnte der Arbeitgeber immerhin indizienartige Rückschlüsse ziehen. Häufig wechselnde Ärzte oder besonders weit vom Wohnort des Arbeitnehmers entfernt praktizierende Ärzte konnten bspw. Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit wecken. Auf derartige Informationen muss der Arbeitgeber nach derzeitigem Stand verzichten, da der Datensatz, den der Arbeitgeber erhält, den ausstellenden Arzt nicht mehr erkennen lässt. Reduziert sich allerdings der Informationsgehalt der Arbeitsunfähigkeitsbestätigung, so wäre es nur konsequent, wenn auch ihr Beweiswert reduziert werden würde.

Fazit

Die eAU wird wohl zumindest ein wenig Bürokratieabbau zur Folge haben, jedenfalls dann, wenn die digitale Kommunikation zwischen Ärzten, Krankenkassen und Arbeitgebern einmal voll etabliert ist. Damit einher gehen allerdings auch einige arbeitsrechtliche Neuerungen, die Arbeitgeber frühzeitig berücksichtigen sollten. Hierzu gehört insbesondere die Frage, wie künftig mit Verzögerungen sowie Störungen bei der Übermittlung von elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen umgegangen werden soll. Auch arbeitsvertragliche Klauseln sollten nach und nach angepasst werden.

Dr. Anne Dziuba
Benedikt Holzapfel

Zur besseren Lesbarkeit wird in dem vorliegenden Beitrag auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Es wird das generische Maskulin verwendet, wobei alle Geschlechter gleichermaßen gemeint sind.

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