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BAG: Entschädigung eines schwerbehinderten Bewerbers wegen fehlender Meldung des Arbeitsplatzes bei der Arbeitsagentur

Bundesarbeitsgericht vom 25. Januar 2021 – 8 AZR 313/21

Der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, begründet regelmäßig die gesetzliche Vermutung, dass der erfolglose schwerbehinderte Bewerber im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren wegen der Schwerbehinderung nicht berücksichtigt und damit benachteiligt wurde. Zu diesen Vorschriften gehört § 165 S. 1 des neunten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IX), wonach die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit frühzeitig freiwerdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze melden. Um dieser Bestimmung zu genügen, reicht allein die Veröffentlichung des Stellenangebots über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit (BA) nicht aus.

Sachverhalt

Ein mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehinderter Bewerber klagte aufgrund seiner erfolglosen Stellenbewerbung gegen einen Landkreis auf Zahlung einer Entschädigung. 2017 veröffentlichte der beklagte Landkreis über die Jobbörse der BA eine Stellenausschreibung für eine ab Januar 2018 zu besetzende Stelle als "Amtsleiter/in Rechts- und Kommunalamt (Jurist/in)". Nach der Stellenbeschreibung erforderte die Tätigkeit ein abgeschlossenes Hochschulstudium bzw. gleichwertigen Abschluss in der Fachrichtung Rechtswissenschaften sowie mehrjährige einschlägige Berufs- und Führungserfahrung. Obwohl der Kläger nicht darüber verfügte, bewarb er sich unter Angabe seiner Schwerbehinderung im November 2017 auf die ausgeschriebene Stelle. Der Landkreis lud den Kläger nicht zu einem Bewerbungsgespräch ein, sondern teilte ihm stattdessen im April 2018 mit, dass man sich für einen anderen Bewerber entschieden habe. Daraufhin machte der Kläger zunächst schriftlich einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) beim Landkreis geltend. Dabei rügte er, dass er als schwerbehinderter Bewerber bereits im Vorverfahren des Bewerbungsverfahrens nicht berücksichtigt worden sei. Nachdem der Kläger vom Landkreis keine Antwort erhielt, machte er den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG gerichtlich geltend.

Die Entscheidung

Während die Vorinstanzen die Entschädigungsklage unter Hinweis auf die festgestellte offensichtliche fachliche Ungeeignetheit des Klägers noch abgewiesen hatten, entschied das BAG zu dessen Gunsten. Er sei wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden. Ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG sei deshalb begründet. Entgegen der Vorschrift des § 165 S. 1 SGB IX habe der Landkreis die ausgeschriebene, mit schwerbehinderten Menschen besetzbare Stelle der zuständigen Agentur für Arbeit nicht gemeldet. Denn die Veröffentlichung der Stellenausschreibung über die Jobbörse der BA könne (noch) nicht als Meldung i.S.v. § 165 S. 1 SGB IX qualifiziert werden. Allein der Verstoß gegen die Meldepflicht aus § 165 S. 1 SGB IX begründe dagegen schon nach § 22 AGG die gesetzliche Vermutung, dass der Kläger wegen der Schwerbehinderung nicht berücksichtigt und damit benachteiligt worden sei.

Konsequenzen für die Praxis

Das Urteil führt öffentlichen Arbeitgebern vor Augen, wie streng die höchstrichterliche Rechtsprechung formale Verstöße im Bewerbungsverfahren gegen Vorschriften des Schwerbehindertenrechts bewertet. Obwohl der Kläger nach den Feststellungen der Vorinstanzen für die ausgeschriebene Stelle mangels mehrjähriger einschlägiger Berufserfahrung offensichtlich ungeeignet war, wurde dennoch wegen des formalen Mangels der unterlassenen Meldung des Arbeitsplatzes bei der Agentur für Arbeit eine Benachteiligung im Bewerbungsverfahren vermutet. Wäre die Meldung nicht unterblieben, wäre die Entschädigungsklage vermutlich auch beim BAG gescheitert.

Praxistipp

Nach dieser Entscheidung des BAG sollten öffentliche Arbeitgeber zukünftig noch genauer darauf achten, mit schwerbehinderten Menschen besetzbare Stellen der zuständigen Agentur für Arbeit vor der Ausschreibung ordnungsgemäß zu melden. Insoweit besteht nunmehr zumindest Klarheit, dass eine Veröffentlichung der Stellenanzeige über die Jobbörse der BA dafür nicht ausreicht.

Jonas Türkis

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Bewerbung Schwerbehinderung Bundesagentur für Arbeit Bewerbungsverfahren Stellenausschreibung