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    14.02.2018

    Wieder kein Verlass auf gesetzliche Urlaubsverfallregeln: EuGH erhöht Risiken für Arbeitgeber weiter – v.a. bei Scheinselbständigen


    Am 29. November 2017 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf ein sog. Vorlageersuchen des Court of Appeal (England & Wales) entschieden, dass Ansprüche auf bezahlten Urlaub auch bei entgegenstehenden gesetzlichen Regelungen bis zum Zeitpunkt der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zu übertragen und ggf. anzusammeln sind, wenn die Ansprüche zuvor wegen der Weigerung des Arbeitgebers, diese Urlaubszeiten zu vergüten, nicht ausgeübt worden sind (Rs. King / The Sash Window Workshop Ltd. u.a. (C-214/16)).   Diese Entscheidung wird auch weitereichende Folgen für das deutsche Urlaubsrecht haben. Die Risiken für Arbeitgeber, langjährig angesammelte Urlaubsansprüche erfüllen zu müssen, werden massiv verschärft. Dies gilt v.a. bei Selbständigen, die sich im Nachhinein als scheinselbständig entpuppen.  

     

    Der Fall: Über 13 Jahre mehr als 24 Wochen Urlaub angesammelt

     

    Ein (vermeintlich) Selbständiger, Herr King, war seit 1999 für insgesamt 13 Jahre für die The Sash Window Workshop Ltd. ("SWW") auf reiner Provisionsbasis tätig. Ein zwischenzeitliches Angebot, als Arbeitnehmer tätig zu werden, lehnte Herr King ab. Ein vertraglicher Anspruch auf bezahlten Urlaub stand Herrn King nicht zu, so dass er einen solchen auch nicht nahm. Seine Tätigkeit für SWW unterbrach er daher nur wenige Tage im Jahr.   SWW beendete schließlich den Vertrag mit Herrn King. Daraufhin klagte er u.a. für 13 Jahre die Vergütung des nicht gewährten bzw. nicht bezahlten Urlaubs ein. Er vertrat die Auffassung, Arbeitnehmer gewesen zu sein, so dass ihm nach dem nationalen Urlaubsrecht (welches die europäische RL 2003/88/EG umsetzt) bezahlter Urlaub zustehe.   Und tatsächlich: Die englischen Gerichte stellten fest, dass Herr King die Arbeitnehmereigenschaft erfüllte (= Scheinselbständigkeit). Strittig blieb jedoch bis zuletzt, ob SWW auch den Urlaub zu vergüten hat, der eigentlich nach nationalem Recht verfallen ist (also ähnlich wie bei § 7 Abs. 3 BUrlG). Insgesamt betraf dies über 24 Wochen.   Herr King argumentierte, die Verfallregeln greifen hier nicht. Er habe nur deshalb keinen Urlaub genommen, weil SWW diesen nicht vergütet hätte. Dazu berief er sich auf die Schultz-Hoff-Entscheidung, in welcher der EuGH im Jahr 2009 unter Bezugnahme auf die RL 2003/88/EG entschieden hatte, dass nationale Verfallregeln gegen Unionsrecht verstoßen, wenn sie einen Verfall von Urlaubsansprüchen auch dann vorsehen, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub krankheitsbedingt nicht nehmen konnte (EuGH, Urteil vom 20. Januar 2009 - C-350/06 u.a.). Der Court of Appeal rief schließlich den EuGH an und fragte ihn, inwieweit die englischen Urlaubsregeln vorliegend mit Unionsrecht vereinbar sind.  

     

    EuGH: Kein Verfall, auch nicht nach 15 Monaten

     

    Die Entscheidung hat es in sich. Der EuGH entschied, dass sich der Arbeitgeber dann nicht auf die gesetzlichen Verfallregeln berufen kann, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub deshalb nicht nahm, weil der Arbeitgeber sich weigerte, den Urlaub zu vergüten. Weiter – und dies ist für Arbeitgeber besonders brisant – soll der Urlaub auch nicht etwa nach 15 Monaten verfallen, wie es der EuGH für den Fall der krankheitsbedingten Nichtnahme des Urlaubs später in der Rechtssache Schulte (EuGH, Urteil vom 22. November 2011 - C-214/10) präzisierte.   Der EuGH begründet dies damit, dass der in der RL 2003/88/EG verankerte Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub als besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts anzusehen sei. Wer im Unklaren darüber sei, ob er für Urlaub ein Entgelt bekomme, sei nicht in der Lage, den genommenen Urlaub zur Entspannung und Freizeit zu nutzen. Wer damit rechnen müsse, kein Urlaubsentgelt zu erhalten, werde ggf. auch davon abgehalten, Urlaub zu nehmen. Der Urlaubsanspruch verfalle auch nicht etwa nach 15 Monaten. Denn eine derartige Auslegung führe zu einer unrechtmäßigen Bereicherung des Arbeitgebers und liefe dem Zweck der Richtlinie, die Gesundheit des Arbeitnehmers zu schützen, zuwider.  

     

    § 7 Abs. 3 BUrlG hilft nicht; arbeitsvertragliche Klauseln schon – ein wenig jedenfalls

     

    Das Urteil wird auch massive Auswirkungen für das deutsche Urlaubsrecht haben, v.a. bezüglich der Auslegung des § 7 Abs. 3 BUrlG, der nach seinem Wortlaut eigentlich spätestens zum 31. März des Folgejahres einen Verfall von Urlaubsansprüchen vorsieht. Nicht nur wenn krankheitsbedingt der Urlaub nicht genommen wird, ist jetzt auf den gesetzlichen Verfall kein Verlass mehr, sondern nun auch im Falle der "Weigerung des Arbeitgebers, den Urlaub zu vergüten". So können sich immense Urlaubsansprüche ansammeln. Die entscheidende Frage wird nun sein, wann sich ein Arbeitgeber in diesem Sinne weigert, Urlaub zu vergüten, v.a. ob diese Voraussetzung ggf. dann schon gegeben ist, wenn der Arbeitgeber nicht darauf hinwirkt, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaub tatsächlich nimmt.   Für die Gestaltung der Arbeitsverträge ist dies ein Grund mehr, in den Urlaubsklauseln zwischen zwingendem Mindesturlaub und übergesetzlichem Urlaub zu differenzieren. Denn die EuGH-Entscheidung betrifft nur den in der RL 2003/88/EG verankerten Mindestjahresurlaub (vier Wochen), so dass der zusätzlich gewährte Urlaub eigenen Regeln zu Verfall etc. unterworfen werden kann.  

     

    Fremdpersonal-Compliance ist und bleibt das A & O

     

    Beim Einsatz von Freelancern & Co. helfen derartige Urlaubsklauseln nicht. So gehört es zum Wesen der Selbständigen, dass diese keinen Urlaubsanspruch haben. Denn ein solcher – das ist das Paradoxe – würde wiederum ihre Arbeitnehmereigenschaft und Abhängigkeit indizieren. Compliance ist also das A & O, wenn Risiken beim Einsatz von Selbständigen vermieden werden sollen. Nicht nur große, auch kleine Unternehmen sollten sich klare Vorgaben zum Einsatz von Selbständigen und anderem Fremdpersonal geben. Ohne solche Regeln zur Fremdpersonal-Compliance ist ein Einsatz von Selbständigen kaum noch vertretbar; die jetzige EuGH-Entscheidung ist ein weiterer Beleg dafür. Die Fragen bezüglich der Verjährung sind im Übrigen völlig ungeklärt. Es kann also durchaus auch ehemalige Selbständige geben, die jetzt noch für die Vergangenheit Urlaubsansprüche durchsetzen werden.   Dies ist ein Beitrag im Rahmen der zweiten #EFARBlogparade zum Thema "Brennpunkt Urlaub: Aktuelle Fragen zum Urlaubsrecht". Er ist bereits in ähnlicher Form im Human Resources Manager erschienen und wird hier mit dessen freundlicher Genehmigung veröffentlicht.   Wenn Sie Fragen zu diesem Thema haben, wenden Sie sich bitte an Henrik Lüthge und Dr. Franziska von Kummer.